Das Gesicht der globalisierten Welt ist geprägt von den großen amerikanischen und japanischen Konsumgüter-Marken. In jedem Winkel der Welt kann man Kaffee bei Starbucks trinken, bei McDonalds einkehren und Coca-Cola kaufen. Wichtigster Träger von Markenbotschaften sind Verpackungen, denn der überwiegende Teil der Kaufentscheidungen wird erwiesenermaßen direkt am Supermarktregal getroffen. Der visuelle und haptische Eindruck des Produkts wiegt also schwerer als jede andere Werbeform und ist somit die wichtigste Manifestation der Marke.
Was aber geschieht, wenn Produkte weltweit angeboten werden? Wird durch die Globalisierung das Markendesign immer gleichförmiger? „Nein", meint Thekla Heineke, Kreativdirektorin bei der Agentur Kakoii, die mit Büros in Berlin und Tokio Unternehmen beim Eintritt in neue Märkte begleitet, „auch international auftretende Markenführer müssen ihr Packaging auf die Spezifika lokaler Märkte abstimmen - das gilt für Premium-Produkte genauso wie für das Billigsegment."
Das Entwerfen von Verpackungen für fremde Märkte ist für Designer und Kunden ein Lernprozess mit offenem Ausgang. Selbst die strategische Vorarbeit der Marketingabteilung wie Marktforschung und Zielgruppenanalysen reichen nicht aus, um die Spezifika oder Befindlichkeiten einer lokalen Identität vollständig zu kommunizieren. Die meisten Konzerne, die multinational auftreten, beziehen deshalb Designer aus den jeweiligen Zielländern in den Entwicklungsprozess ein, wenn es um die lokale visuelle Sprache geht, oder sie schicken ihr eigenes Design-Team zur Feldforschung in das jeweilige Land. Auf diese Weise werden kulturelle Bildung und Intuition - kurz: „Crosscultural Awareness" - entwickelt. Denn derselbe visuelle Code wird in jeder Kultur anders entschlüsselt. Werden Farben, Formen und Namen schon im jeweiligen Nachbarland anders interpretiert, so funktioniert eine einheitliche Designsprache in weiter entfernten Ländern überhaupt nicht mehr. Global Player verstehen das Geschäft der subtilen Anpassung an den jeweiligen kulturellen Hintergrund besonders gut, indem sie Setting, Packaging und andere Werbemaßnahmen kombinieren. Dabei müssen freilich auch sie anscheinend unvermeidliche Flops im gestalterischen Try-and-Error in Kauf nehmen. Denn oft erfahren die Designer erst über Tests innerhalb des kleinteiligen Zielmarkts, ob die Konsumenten ihr Produkt „verstehen". „Selbst direkt vor der Markteinführung," berichtet Thekla Heineke, „werden noch überraschende Missverständnisse aufgedeckt."
Die Akzeptanz von Verpackungen wird bei den Käufern hauptsächlich von Emotionen gesteuert; die Entwurfsarbeit der Designer nicht minder: „Es werden ziemlich viele Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen", erläutert Heineke. Das fängt schon damit an, wie man mit fremden Schriftzeichen umgeht: Diese werden nicht selten so verwendet, wie man glaubt, dass die anderen es machen. Manchmal ist es dann „japanischer" für den Europäer, wenn es „chinesisch" aussieht. Umgekehrt wundern sich die Eurpäer, wenn japanische Typografen mit lateinischen Schriftzeichen arbeiten.
Andere Gründe für fehlgeleitetes Design erklärt die Designpsychologie - etwa , dass die Farbe Weiß in Mitteleuropa oft mit Reinheit assoziiert wird, während in manchen asiatischen Ländern Weiß als Farbe des Todes gilt. Ebenso werden bestimmte Füllmengen und Packungsgrößen mit Zahlen in Verbindung gebracht, die Unglück verheißen. In Japan zum Beispiel werden niemals vier Einheiten zusammen abgepackt, denn die Zahl vier verspricht Unheil. Missverständnisse gibt es aber nicht nur zwischen weit voneinander entfernten Kontinenten; auch innerhalb Europas gibt es ländertypische Design-Sprachen. In Frankreich ist das Verpackungsdesign weitaus verspielter, femininer und weicher als in Deutschland. Das wird schon am Beispiel des Mineralwassers deutlich: Was dort mit Bildern ätherischer Models in Rosétönen beworben wird, präsentiert sich in Deutschland mit kraftvoll donnernden Wasserfällen und der urwüchsigen Natur des Waldes. Im Osten Europas begegnet man hingegen in der Farbwahl neuen Vorstellungen und Maßgaben: „Durch die „orangefarbene Revolution" in der Ukraine 2004 ist die Farbe Orange für das Design nun mit politischer Bedeutung aufgeladen. Genauso ist es in den ehemaligen Ostblockstaaten mit der Farbe Rot, die mit dem Kommunismus in Verbindung gebracht wird." erklärt Thekla Heineke. Generell steigt in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs und der Neupositionierung der nationalen Identität die Sensibilität für Farben, Codes und Zeichen. Der russische Markt beispielsweise ist geprägt von einer wachsenden, besser verdienenden Oberschicht, die sich an teueren ausländischen Marken orientiert. „Das führt zu Produkten, für die es in Deutschland keinen Markt gäbe, zum Beispiel einem Premium-Kaffee für russische Männer, der japanisch aussehen soll."
Auch in Deutschland gibt es spezifische Vorstellungen von gutem Verpackungsdesign. Diese ist in weitaus größerem Maße von historischen Einstellungen beeinflusst, als uns bewusst ist. „Der amerikanische Einfluss nach dem Zweiten Weltkrieg schwächt sich derzeit ab", sagt Stefan Mannes, Geschäftsführer von Kakoii, „es kommt sogar zu Abwehr- und Gegenbewegungen". In Deutschland ist die neu definierte Zielgruppe der gut verdienenden „Ökos" derzeit eine der wichtigsten Themen für das Packaging, wird aber im Detail anders als in den Vereinigten Staaten kommuniziert: „Das Thema gesunde Ernährung ist für uns recht neu und besteht auch in einer starken Abgrenzungshaltung gegenüber Fast Food und amerikanischen, lauten, bunten Designkonzepten." erklärt Mannes. „So kommt es zu den reduzierten, eleganten Entwürfen, die wir in diesem Marktsegment sehen." Als typisch deutsch bezeichnet Mannes auch das Verlangen nach Prüfsiegeln und Hervorhebungen von Bezeichnungen wie „Bio". „In vielen anderen Ländern ist die Natürlichkeit der Lebensmittel viel selbstverständlicher und wird auf der Verpackung meist gar nicht herausgestellt."
Weltweit misst man sich bei Neuentwicklungen im Packaging-Bereich nicht mehr unbedingt an der Vereinigten Staaten und Europa. Wichter für den globalen Stil-Mix sind inzwischen asiatische Einflüsse. „Mit Sicherheit entsteht gerade aus der gestalterischen Zusammenarbeit, aus dem gegenseitigen Interpretieren der Kulturen etwas ganz Neues", resümiert Thekla Heineke. Dass wir uns,was Vorlieben und Abneigungen angeht, immer ähnlicher werden, kann die Designerin aus ihrer Sicht nicht feststellen: „Jede politische und soziale Verschiebung lässt neue Haltungen zu Farben und Formen wachsen, Design bleibt also immer spannend." Am liebsten rät Kakoii Kunden dazu, mit mehr Mut in fremde Märkte einzusteigen: „Es gibt in Japan eine Menge Produkte, die sich in Deutschland sehr gut verkaufen ließen, ohne sie anzupassen."