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Raffiniertes Holzspalier: Francis Kéré entwickelte gemeinsam mit Vizona ein moduleres und multifunktionales Wandelement für die Läden des Modeherstellers Betty Barclay.

Bezahlt wird künftig am Central Table

Vizona ist zurück! Nachdem die Ladenbausparte von Vitra einige Zeit vollständig in die Vitra-Group integriert war, erscheint sie seit März diesen Jahres wieder als eigenständige Firma. Seit Juli 2017 ist Matthias Hummel der neue CEO von Vizona. Robert Volhard und Fabian Peters haben ihn zum Gespräch getroffen.
12.10.2017

Fabian Peters: Was hat zu der Entscheidung geführt, Vizona wieder als eigenständige Marke auszugründen?

Matthias Hummel: Vor der Vollintegration in die Vitra-Group gab es unter der Vitrashop drei Brands: Ansorg, Visplay und Vizona. Durch die Integration hatten wir uns Synergien erhofft, vor allem im Vertrieb – da wir viele gemeinsame Kunden haben. Aber die Ansprechpartner, die Verantwortlichkeiten und die Entscheidungsträger waren jeweils ganz andere. Vizona hat nun mal kein Produkt und es gab unterschiedliche Prioritäten. Das haben wir relativ schnell erkannt und dann den Hebel umgelegt und die Euroshop 2017 genutzt, um das zu kommunizieren. Im Übrigen sind wir mit unseren Mitarbeitern nach wie vor auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein angesiedelt.

Robert Volhard: Wie sieht die Verbindung von Vizona mit Vitra Retail, also mit dem Ladenbausystem, in der neuen Konstellation aus? 

Matthias Hummel: Wir sind diejenigen, die Projekte machen. Dabei arbeiten wir mit externen Designern und Architekten zusammen und letzten Endes sind wir die Problemlöser, denn wir liefern schlüsselfertige Läden. Natürlich ist Licht dabei ein Thema. Dabei nutzen wir natürlich gerne Produkte unseres Schwesterunternehmens Ansorg und wenn es Sinn macht, setzen wir auch das System der Vitra Retail ein. Beides muss aber nicht sein, auch wenn wir eine solche Kombination bevorzugen. Wir sind schließlich überzeugt von den Ansorg- und Vitra-Produkten.

Robert Volhard: Gibt es eigentlich eine Mindest-Losgröße für Vizona?

Matthias Hummel: Unsere große Stärke liegt sicherlich darin, dass wir international unterwegs sind. Das kann auch eine einzige Großfläche sein, aber unser Kerngeschäft liegt definitiv in internationalen Rollouts. Eine einzelne Boutique machen wir in der Regel nicht.

Mit Francis Kérés System können verschiedene Präsentationsformen flexibel umgesetzt werden. Es bildet das innovativste Element des neuen Shopdesigns von Betty Barclay.

Fabian Peters: Sie haben für Betty Barclay ein Shopkonzept zusammen mit Francis Kéré entwickelt, der ja nun alles andere als ein klassischer Ladenbauarchitekt ist. Ist es für den Kunden von Vorteil, dass er auch mit einem Avantgarde-Architekten zusammenarbeiten kann und weiß, dass eine Firma wie Vizona in der Lage ist, auch das zu managen?

Matthias Hummel: Genau das war unser Ansatz. Betty Barclay ist ein Anbieter von eher klassische Damenoberbekleidung. Deshalb wurde für sie anfänglich auch ein sehr klassisches Shopkonzept entworfen. Das begeisterte die Verantwortlichen bei Betty Barclay aber nicht. Deshalb haben wir dann Francis Kéré als Architekten vorgeschlagen – allerdings auch gleich mit dem Hinweis, dass wir uns dann gemeinsam stärker einbringen müssen – der Kunde mit seiner Erfahrung und Vizona in Hinblick auf Präsentationen und technische Anforderungen. Dass sich Betty Barclay darauf eingelassen hat, war mutig, aber es hat sich gelohnt: Das Konzept ist extrem innovativ. Es besteht aus einer Lamellenwand, funktional sehr flexibel und auch vom Erscheinungsbild her neuartig. Alles sehr clever – der Kunde ist vollkommen zufrieden. Aber keine Frage – es war ein Mehraufwand.

Fabian Peters: Lohnen sich solche Experimente?

Matthias Hummel: Ja, natürlich, der Retail-Bereich lechzt geradezu nach Neuerungen, nach Dingen, die anders sind. Unsere Kunden suchen händeringend nach Möglichkeiten, sich anders darstellen zu können. Ein gutes Beispiel dafür ist der Würth-Family-Store in Stuttgart, auch wenn der Ansatz ein komplett anderer ist als bei Betty Barclay. Als wir mit den Planungen begannen, wollte Firmenpatriarch Reinhold Würth sogar Bilder aus seiner berühmten Kunstsammlung im Laden ausstellen. Ich glaube, das sind die Konzepte, die in die Zukunft weisen. Der Konsument will inspiriert werden, er will emotional angesprochen werden, er will Entertainment, sonst bleibt er zu Hause.

Robert Volhard: Sie versuchen dem niedergelassenen Einzelhandel Möglichkeiten an die Hand zu geben, um dem Onlineshopping etwas entgegenzusetzen. Zu dem Zweck haben Sie beispielsweise eine Umkleidekabine entwickelt, in welcher der Kunde auf einem eingebauten Screen ganz neue interaktive Möglichkeiten hat. Befindet sich dieses Produkt bereits im Einsatz?

Matthias Hummel: Die Anwendung wird bei verschiedenen Kunden gerade von den Mitarbeitern getestet. Wirklich auf der Fläche ist sie noch nicht. Das Interesse ist aber gewaltig.

Das Berliner Studio Gonzalez Haase gestaltete die Ladenflächen des Münchner Edelkaufhauses Oberpollinger mit schwarzen Zementfliesen und blanken Versorgungsleitungen. Auch hier übernahm Vizona die Realisierung.

Robert Volhard: Sehen Sie sich in vielen Retail-Bereichen als "Forward Thinker"? Wie darf man sich die Forschungstätigkeit bei Vizona vorstellen?

Matthias Hummel: Beispielsweise haben wir 2015 einen Pop-Up-Store der Schuhmarke "Camper" bei uns in Weil am Rhein im Buckminster Fuller Dome eingerichtet. Bei diesem Projekt haben wir viel experimentiert und viele Dinge kennengelernt, die funktionieren, aber auch andere, die vielleicht nicht so gut funktionieren. Zudem machen wir immer wieder Workshops zu bestimmten Themen – auch mit Hilfe externer Agenturen –, bei denen wir uns fragen, wo einzelne Entwicklungen hinführen könnten? Was wäre wichtig für wen? 

Robert Volhard: Wo sehen Sie die wichtigsten Herausforderungen in Bezug auf Retail-Konzepte? Welche Lösungsansätze zeichnen sich in Ihren Augen ab?

Matthias Hummel: Es ist eine sehr spannende Zeit für den Retail-Bereich, extrem herausfordernd – unsere Kunden sind teilweise sehr verunsichert. Momentan steht permanent die Frage im Raum, ob das Retail-Modell "Warenhaus", das seit Jahren in der Krise steckt, zukunftsfähig ist. Wir sind völlig überzeugt davon, dass es das ist – sofern es richtig gemacht wird. Leider gibt es viel zu viele negative Beispiele, aber eben auch sehr gelungene, etwa das Kaufhaus der italienischen Kette "La Rinascente" in Mailand, ein sehr gelungenes Konzept, bei dem die Marke "La Rinascente" auch wirklich in den Vordergrund rückt. 

Fabian Peters: Gibt es noch andere positive Beispiele?

Matthias Hummel: Die KaDeWe-Group macht das momentan auch sehr gut. Da warten natürlich alle mit Spannung auf die Umsetzung des Entwurfs von Rem Koolhaas für das Berliner KaDeWe. Bei Oberpollinger in München, das ja auch zur KaDeWe-Group gehört, ist die Umgestaltung schon größtenteils abgeschlossen. Dort waren John Pawson und Gonzalez Haase die Architekten, zwei Büros, die beide sehr minimalistische Ansätze verfolgen. Eben das macht das Besondere aus. Der Kunde wird auf neue Art und Weise angesprochen und das ist genau richtig.

Beim Ladenkonzept, das Vizona für die Modekette Cecil verwirklichte, ersetzt ein Central Table den konventionellen Kassenbereich.

Fabian Peters: Eine solche Architektur umzusetzen ist sicher eine größere Herausforderung als klassischen Ladenbau zu betreiben. Wo liegen die Unterschiede?

Matthias Hummel: Es ist individueller. Die Materialauswahl ist anders, die Lösungen sind andere. Aber trotzdem: Uns interessiert das natürlich besonders, weil wir glauben, dass in solchen individuellen Konzepten die Zukunft des Kaufhauses liegt. Auch andere Branchen arbeiten intensiv an Laden- und Verkaufskonzepten für die Zukunft – beispielsweise der Automobilbereich. Hier wird viel experimentiert, nehmen Sie etwa das Konzept von "Rockar" und Hyundai in der Innenstadt von London, das extrem interaktiv ist. Im Automobilbereich sieht man natürlich, was im Bereich "Fashion" passiert: Das Verkaufsverhalten verändert sich. Den klassischen Autokäufer im klassischen Autohaus wird es in der Form vielleicht bald nicht mehr geben.

Robert Volhard: Die Bandbreite bei Vizona reicht von der Telekom, wo alle Shops gleich aussehen, bis hin zu Retailern, die individuell auf die jeweiligen Standorte eingehen. 

Matthias Hummel: Auf der einen Seite machen wir natürlich sehr gerne Multiplikationen – am liebsten weltweit. Auf der anderen Seite glauben wir, dass die Zukunft in individuellen Konzepten liegt. Deshalb lautet für uns die Frage: Wie kann man eine gewisse Standardisierung erreichen, bei der das Ergebnis nicht immer genau gleich aussieht? Das ist nicht ganz einfach. Ich denke, Module sind hier eine gute Möglichkeit, denn eine hundertprozentige Individualisierung wird sich keiner leisten können oder wollen. Das ist zu teuer und zu langsam und die großen Marken wollen 100 neue Stores im Jahr eröffnen. Da kann man nicht alles individuell machen, da muss man geschickte Lösungen finden. Vermutlich wird eine absolute Standardisierung, wie sie momentan noch die Regel ist, in der Zukunft zurücktreten.

Robert Volhard: Welche Rolle spielen zukünftig elektronische Bezahlsysteme und wie wird sich das auf die Shopgestaltung auswirken?

Matthias Hummel: Solche Bezahlsysteme verändern den Ladenbau bereits jetzt erheblich. Kassenmodul, Kassenrückschrank – die gibt es dann schlichtweg nicht mehr, weil ich einfach beim Verkäufer bezahle. Beim Ladenkonzept „Retail Laboratories“ für die Modekette "Cecil" haben wir einen "Central Table" verwendet, einen Kommunikationstisch, an dem ich auch bezahle und in den die Technik unsichtbar eingebaut ist. Damit ist die klassische Struktur des Ladens aufgelöst. 

Der neue Würth Family Store in der Innenstadt von Stuttgart richtet sich an Erlebniskäufer und präsentiert sich deshalb vollkommen anders, als die übrigen Filialen des Eisenwarenhändlers.

Robert Volhard: Wo liegt für Sie die Zukunft des Einkaufens ­– in den Innenstädten oder in Shopping Malls?

Matthias Hummel: Ich sehe beides. Die Shopping Malls haben ihre Berechtigung, die Innerstädte aber auch. Im Übrigen kann ich die vielbeschworene Verödung der Innenstädte nicht erkennen. Die Wachstumsdynamik der Städte ist ungebremst und die B-Lagen entwickeln sich eher zu A-minus-Lagen als zu C-Lagen, und die C-Lagen werden zu B-Lagen. Die Frage ist nur: Wie präsentiert man sich am besten? Es werden andere Modelle nötig sein. Wir haben den Würth-Family-Store in Stuttgart mitten in der Königstraße installiert. Das ist ein Modell, das hätte man vor drei Jahren wahrscheinlich nicht für möglich gehalten.

Fabian Peters: Muss sich dieser Laden tatsächlich wirtschaftlich rechnen oder ist das in erster Linie eine Firmenrepräsentanz mit einer angeschlossenen Verkaufsstelle?

Matthias Hummel: Es ist zunächst ein Test von Würth, der aber funktioniert. Zielgruppe war zunächst der Privatmann, der gern heimwerkert. Deswegen ist die Ware auch ganz anders präsentiert. De facto kauft aber auch der Professional, der gerade in der Innenstadt arbeitet und dem ein Teil fehlt, jetzt auf der Königstraße ein. Auf diese Weise kommt durch die Hintertür eigentlich der gute alte Eisenwarenladen wieder.

Robert Volhard: Welche Retail-Modelle versprechen Ihrer Meinung nach besonders große Wachstumschancen?

Matthias Hummel: Gerade im Bereich des Travel Retail steckt noch unglaubliches Potential. Wir haben ja alle keine Zeit zum Einkaufen und reisen im Geschäftsalltag immer mehr - und dummerweise verspätet sich immer alles. Also verbringen wir unsere Zeit oft am Flughafen. Aus welchem anderen Grund gäbe es sonst an den Airports Shopping Malls? Man hat plötzlich Zeit, es gibt ein tolles Angebot, vielleicht sogar noch "duty free" – und man kann alles nach Hause schicken lassen. Das ist aber noch nicht alles. Es werden Konzepte entwickelt, die, je nachdem, welche Maschine gerade landet, andere Produkte in den Vordergrund stellt: Ist gerade ein Jumbo-Jet aus Tokio gelandet, werden Produkte beworben, die bei Japanern hoch im Kurs stehen. Die gesamte Produktinformation erfolgt elektronisch und schaltet um auf Japanisch. Kurz danach kommt ein Flieger aus Texas an und der Shop reagiert erneut. Aber Travel Retail gibt es ja nicht nur an Flughäfen. Denken Sie etwa an Kreuzfahrtschiffe, da hat man ebenfalls Zeit – und die Ozeane sind groß.

Detail der Systemwand von Francis Kéré für Betty Barclay.
Die ausklappbaren Elemente ermöglichen hängende und liegende Warenpräsentation.
Neben Gonzalez Haase arbeitete John Pawson an der Neugestaltung des Kaufhauses Oberpollinger mit. Die von ihm entworfenen Bereiche fallen erwartungsgemäß minimalistisch aus.
Auf der Euroshop 2017 übernahm Vizona die Umsetzung des Standes der gesamten Vitra-Familie. Es entstand eine ganze Mall mit unterschiedlichen Shopkonzepten.