top
Wie man in die Küche hineinruft…
von Thomas Edelmann | 04.05.2011

Eine gute journalistische Idee, befand einst Henri Nannen, Gründer der Illustrierten „Stern", müsse man in die Küche rufen können. „Hast du schon gehört, die in Bonn wollen schon wieder die Steuern erhöhen." Das beispielsweise war ein Küchenzuruf à la Nannen. Journalisten, die beim Stern arbeiteten, so Nannens Vorstellung, sollten Texte fabrizieren, die am besten Woche für Woche als Vorlage für den Küchenzuruf taugten. All das ist schon eine Weile her.

„Shifting Contexts" lautete das Motto eines Abends im Showroom von Bulthaup an der Mailänder Via Durini. Wie wäre es, fragte sich der Beobachter, statt am selben Abend auch noch weitere 399 Events aufzusuchen, bliebe man einfach an Ort und Stelle? Warte ab, was im Laufe des Abends passiert? Eine absurde Idee. Und doch: Es ist schon warm genug, um sich draußen mit den Rauchern zu unterhalten. Angekündigt sind eine außergewöhnliche Küche, der Firmenpatriarch Gerd Bulthaup, der seinem Unternehmen einst die entscheidende Richtung gab und dessen Neffe Marc O. Eckert, der seit 2009 die Geschicke des Familienunternehmens leitet. Außerdem treten auf: Mike Meiré, der als Designer, Art Director und Kurator für internationale Marken tätig ist. Man denke nur an die Neugestaltung der „Neuen Zürcher Zeitung" und der Zeitschrift „Arch+". Viele seiner Kunden hat er zu kulturellen Projekten ermutigt, zu Grenzüberschreitungen, aus denen sich neue Themenfelder ergeben, die womöglich anschließend mit neuen Produkten oder Dienstleistungen zu füllen sind, mitunter aber auch nicht. Besonders intensiv und beständig ist etwa die Zusammenarbeit mit dem Armaturenhersteller Dornbracht. So präsentierte Meiré im Rahmen der Reihe „Dornbracht Edges" 2006 (ebenfalls in Mailand) das „Farm Project", das einerseits als Gegenbild zu Hightech und puristischem Design gelesen werden konnte, anderseits aber durch die Gegenwart lebender Tiere unterstrich, genauer: dass Nahrungsmittel ebenso wenig aus der Tiefkühltruhe kommen wie Strom aus der Steckdose. „Das Farm Project", sagt Mike Meiré, „war so etwas wie meine Anti-Bulthaup-Küche". Dabei interessieren ihn feste Rollen und ihre Beachtung herzlich wenig. Ist er Künstler, Designer, Regisseur, Kurator? Wer Meiré auf eine Aufgabe festlegen möchte, dem entgleitet er.

Nun aber geht es darum, Kontexte zu verschieben, Irritationen auszulösen. Mike Meiré ist nicht der Designer der Systemküche „Bulthaup b3". Auch sie wurde vor Jahren in Mailand vorgestellt. Da ist Herbert Schultes, der ist heute auch da und verweigert die Aussage, was er von der Bearbeitung seines Entwurfs hält. Wie stets freundlich und verschmitzt lächelnd, scheint er dennoch ein wenig zu leiden. Und das ist nachvollziehbar. Denn Mike Meiré vergreift sich mit seiner Neuinterpretation am Allerheiligsten der deutschen Designszene. Bulthaup steht – obwohl in Aich im katholischen Niederbayern beheimatet – für Läuterung und Purismus, für die Verbindung von Technik und Handwerk zum Nutzen von Kochenthusiasten verschiedener Generationen. Die Marke verkörpert nicht zuletzt die Werte der westdeutschen Nachkriegskultur. Zudem steht sie für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Unternehmer und Designer. Denn einstmals ließ sich Gerd Bulthaup von Otl Aicher (wie Mike Meiré im Grunde Kommunikations- und nicht Produktdesigner) überzeugen, dass man die Grundlagen der Kultur der Küche kennen müsse, bevor man daran geht, Küchenmöbel zu entwerfen. Eine gemeinsame Reise durch Küchen von Profiköchen führte zu Aichers Buch „Die Küche zum Kochen – Das Ende einer Architekturdoktrin". Statt umgehend ein neues Erscheinungsbild zu entwerfen, wofür er ursprünglich beauftragt werden sollte, beriet Aicher den Unternehmer in strategischen Fragen, nachhaltig, wie man heute sagen würde. Aicher stellte seine Erfahrungen als passionierter Koch, seine Erwartungen an eine Küche als inselartige Werkstatt vor, um die herum gearbeitet wird. Und er propagierte, sich von den herkömmlichen, an der Wand entlang gebauten und in eine Zelle eingepferchten Küchenmöbeln zu verabschieden. Sein Buch, 1982 erstmals erschienen, ist bis heute lesenswert. „Heutige Küchen mit ihrer Designklarheit verströmen eine Ästhetik der Passivität und Repräsentation", befand Aicher damals. „Sie sind schön, aber aktionslos." Fast liest sich das schon wieder als Gegenwartsanalyse. Denn die Küche zum Kochen ist im Grunde ein Auslaufmodell. Eher schon geht es – gerade bei den Luxusanbietern – um die Küche zum Vorzeigen, zum Repräsentieren, die selbstverständlich von Technik, Materialität und Handwerklichkeit der Verarbeitung her, perfekt funktionieren könnte, wenn, ja wenn man sie denn nutzen wollte.

Insofern liegt Meiré mit seinem überspitzten Programm, der mit Leder bezogenen schwarzen Küche völlig richtig. Denn er erinnert – so das überhaupt nötig war – das Unternehmen daran, was heute tatsächlich verlangt wird. Zugleich ist sein mit schwarzem Leder bezogener Küchenfetisch auch ein ironischer Kommentar. Er bezieht die Materialität und Farbigkeit seiner Interpretation der Systemküche aus dem Wohnraum, mit dem die Küche bekanntlich mehr und mehr verschmilzt. Armaturen und Griffe sind versilbert. Alles in Allem ein Alptraum für Aicher und seine Idee von der offenen Küche, die auch als gesellschaftlicher Modellraum zur Austragung von Konflikten, zur Kommunikation bei und durch Arbeit konzipiert war.

Natürlich machen sich Schubladen, deren Böden aus dem gleichen Material wie die Arbeitsplatte gefertigt sind, hervorragend. Sicher sind Sideboard-Schubladen, die im Innern in Hellblau, Türkis, Hellgrün und Schwefelgelb erstrahlen, sobald man sie öffnet überwältigend. Aber: Kommt es darauf an? Und doch werden bald einige Käufer genau dies haben und bestellen wollen.

Am Mailänder Premierenabend haben sich viele Designer eingefunden, Stefan Diez ist da oder Nitzan Cohen, der am nächsten Abend Mitveranstalter einer wunderbaren Party mit Stühlen von Mattiazzi ist. Die Stühle – auch sie eine Verbindung von moderner Technik und traditioneller Handwerklichkeit, stehen herum, parallel sind Videoclips zu sehen, die von den Designern der Stühle ausgewählt wurden. Nun ja, bis auf Konstantin Grcic haben jeweils die Assistenten der Designer die Musik ausgesucht. Denn auch das gehört zu ihrer Arbeit: Dinge zusammenstellen, die Journalisten später in die Küche oder sonst wohin rufen können.

Doch zurück in die Via Durini: Manche granteln schon ein wenig, andere sind entsetzt. Vor allem von der versilberten Küchenarmatur, deren Bedienelement mit leuchtend schwefelgelbem Leder bezogen ist. Kunstgewerbe sei das, sagt einer. Da fehlten neue Impulse fürs Design behauptet ein anderer. Und am nächsten Tag wird der Münchner Designer Fritz Frenkler rhetorisch fragen: „Muss denn oben immer Theater sein?" Drinnen werden jetzt Reden gehalten. Zunächst eine kurze von Gerd Bulthaup, der an unverrückbare Traditionssäulen seines Unternehmens erinnert. Da ist die Marke, jetzt unter der Art Direction von Mike Meiré. Da ist das Familienmanagement in dritter Generation. „Unser Produkt", sagt Bulthaup, an diesem Abend, „bezeichnen wir als klassisch und vor allem als zeitlos." Eine weitere wichtige Säule sei das Thema Distribution, der selektive Vertrieb und ein Exportanteil von über achtzig Prozent. Herkunft präge die Zukunft bei Bulthaup, endet er.

Nun spricht, weniger knapp, aber auf Englisch Marc O. Eckert. Die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts habe den informierten Kunden gebracht, erklärt der Geschäftsführer. Und gibt eine Devise aus, die ebenso von einem pampigen Halbwüchsigen oder von einstigen Spontis stammen könnte, die als Situationsbeschreibung aber womöglich gerade die Lage von Luxusherstellern wie Bulthaup präzise beschreibt: „Wir leben nicht in den Zeiten des „entweder-oder", sondern des „sowohl-als-auch." Im Klartext heißt das: Selbstverständlich wird Bulthaup weiter seiner DNA folgen, die, wie Eckert sagt, von Bauhaus und „form follows function" geprägt sei. Zugleich allerdings müsse man stärker auf die Erwartungen eines internationalen und zahlungskräftigen Publikums eingehen. Werte wie Veredelung durch Reduktion, die einst zum internationalen Erfolg der Marke beigetragen haben, treten bei einem neuen Publikum womöglich zurück. Eine Käuferschaft wächst heran, die mit der Aussage des Kritikers Wolfram Siebeck nichts mehr anzufangen weiß, der in einem Interview konstatierte: „Ich habe festgestellt, dass man viele Dinge nicht braucht, vor allem keine Ornamente." „Shifting Contexts" wird als Programm fortgeführt. Gesucht werden neue Protagonisten für Bulthaup wie Eckert sagt, „kreative Köpfe aus Asien, USA und Europa", Architekten, Künstler und Designer, die „eine Bulthaup-Küche durch ihre Augen sehen" sollen.

Die drei Präsentationsflächen des Showrooms in der Via Durini verbindet eine Wendeltreppe, die mit Glas verkleidet ist. Hinter ihr, im Salon, dessen Wandtäfelung aus geräucherter Eiche mit teils versilberten Schattenfugen ausgeführt ist, singt, spielt, ruft nun die amerikanische Popmusikerin Joan Wasser, bekannt als Joan as Police Woman. Ihre klugen, traurigen, überschwänglichen Songs gleiten durch den Raum. „Die ganze Woche müsst ihr Party machen?" fragt sie begeistert ins Publikum. Wie auch immer sie beschaffen sein mag, die Küche ist eben doch ein wunderbarer Ort für Küchenzurufe aller Art.

www.bulthaup.com

Oberflächen sind nicht lackiert, sondern mit feinem Leder bespannt sind.
Bulthaup hat die Programmatik „Shifting Contexts“ ins Leben gerufen. “Shifting Contexts“ lädt Protagonisten der internationalen Architektur- und Designszene ein, bulthaup neu zu interpretieren und zu inszenieren.
Den Auftakt macht die bulthaup b3 von Art Director Mike Meiré, die anlässlich der Möbelmesse in Mailand gezeigt wurde.