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Traditionelle Werkzeuge und Techniken bestimmen das Ambiente auf der Clerkenwell Design Week 2014: Pop-up-Pavillon von Studio Weave. Foto © Sophie Mutevelian
Windsor im Windschatten
von Antje Southern
08.06.2014

Die geradezu ehrfurchtsgebietende Präsenz des Designerbes und der meisterlichen Handwerksarbeit, wie sie viele der auf der Clerkenwell Design Week Ende Mai in London ausgestellten Möbel auszeichnen, dürfte manchen ambitionierten Designstudenten verwirren oder mitunter beruhigen. Traditionelle Werkzeuge und Techniken bestimmen das Ambiente und ganz praktisch lässt es sich in Workshops erkunden, wie Werkzeuge auf kreative Weise für die Herstellung von Produkten eingesetzt werden.

Für diesen Zweck haben die Architekten von Studio Weave einen Pop-up-Pavillon entworfen, der auf dem Smith Square errichtet wurde und der die vier Ausstellungsorte miteinander verbindet. Die meisten Firmen, die im viktorianischen Farmiloe Gebäude – das sinnigerweise auch als „Design Factory” bezeichnet wird – ausstellen, zeigen deutlich, dass Handwerkskunst ein Zeichen für Qualität und Langlebigkeit ist. Ein Großteil des hier präsentierten Möbeldesigns entspringt daher der Überzeugung, dass handwerkliches Können und Holz als Material Haltbarkeit und Nachhaltigkeit versprechen.

Die auf dem Boden des Standes von Benchmark bewusst verstreuten Holzspäne (sowie die in Trögen gepflanzten Birken und eine Reihe von Beiteln) lassen keinen Zweifel daran, dass das Unternehmen ausgesprochen viel Wert darauf legt, wie und was es produziert, indem jeder einzelne Schritt vom Baum bis zum fertigen Produkt überwacht wird. Dies wird besonders bei den Möbeln aus Kastanien- und Eschenholz von Sebastian Cox deutlich, die mit fein geschnittenen Kastanienholzschindeln verkleidet sind, die entlang der Maserung des Holzes als dünne Holzschichten mit einem Beitel abgespalten wurden.

Das Mailänder Unternehmen Discipline hat für sein Debüt in Großbritannien auf der CDW14 ein auffälliges Wanddisplay gewählt, das die natürlichen Materialkomponenten zeigt, die in seinem stapelbaren, flexiblen Stuhl „Touchwood” des norwegischen Designers Lars Beller Fjetland verarbeitet wurden.

Zukunftsfähiges Möbelhandwerk

Im Gegensatz zu den multinationalen Namen, denen die großen internationalen Designmarken ihren Erfolg verdanken, gibt es viele junge Firmen in Großbritannien, die sich auf ihre britische Wurzeln und Identität besinnen. Die konstante Zunahme von kleinen Nischenfirmen wie Dare Studio, Deadgood, Case und James UK und ihre Kunden (darunter solche Namen wie Google, Amazon, YouTube sowie Schulen und Universitäten) bestätigen, dass der Konsument diese Form von Handwerkskunst zu erschwinglichen Preisen, die ein Leben lang zu halten verspricht, zu schätzen weiß.

So auch bei James UK: Deren Designer bezeichnen die 3D-Technologie als technische Effekthascherei. Ihre Designethik fußt vielmehr auf dem traditionellen Holzhandwerk und prägt auch ihre Designästhetik. Ein mit seinen Schwalbenschwanzverbindungen folkloristisch anmutender Windsor Chair ist in Verbindung mit skandinavischer Eleganz beispielhaft für diese neue Generation echter britischer Antiquitäten der Zukunft. James UK, Dare Studio und Prooff zeigen ihre neu aufgelegten Versionen des traditionellen „Ohrensessels” und des Sofas mit erhöhtem Kopfteil, wie sie ursprünglich für zugige Tudor-Häuser entworfen worden waren, und nun in großen offenen Räumen eine Rückzugsmöglichkeit bieten.

Shin Azumis „Loku” Stuhl, der von Case vorgestellt wurde, ist die Ausnahme der Regel. Er entstand dank neuster 3D-Formholzfurniertechnologie, die komplexe Schichtholzformen ermöglicht, die die Maserung des Furniers unterstreichen.

Neu aufgelegtes Erbe

Für viele in der Design Factory gezeigten Möbel wurde klassisches Design aktualisiert und optimiert. Ein rostiger Kronleuchter aus einem Trödelladen etwa diente als Inspiration für die Hängeleuchte „Marionette” von Deadgood, die hier erstmals vorgestellt wird. Die nicht mehr zeitgemäße Konstruktion wurde in eine verspielte und funktionale Leuchte verwandelt, die lasergeschnittene und gefaltete Metallbleche kennzeichnet und die an einem geflochtenen Kabel in leuchtenden Farben hängt. Die tiefempfundene Sehnsucht nach Beständigkeit und Zuverlässigkeit mag auch den gegenwärtigen Trend für Neuauflagen beliebter englischer Designikonen angestoßen haben. So wird der Stuhl „675“ von Robin Day bei Case neu vorgestellt und Anglepoise präsentiert die „Type 75“ von Sir Kenneth Grange in einer neuen pastellfarbigen Interpretation von Paul Smith.

Ziemlich unbritisch zeigt sich dagegen der in Hongkong ansässige Designanbieter Stellar Works mit einer globalen und kulturübergreifenden Kollektion im großzügigen Showroom im Eingangsbereich der Design Factory. Deren Laval Collection etwa verbindet französischen Luxus mit japanischem Raffinement, Nic Grahams QT Collection (ebenso Stellar Works) zeigt neckische Retro-Nettigkeiten.

Gute Beziehungen

Es lässt sich jedoch eine markante Linie erkennen, Innovation scheint doch eine treibende Kraft zu sein. Jaguar, der Hauptsponsor der CDW14, hat gemeinsam mit Foscarini „Fearless Design” kreiert – Foscarinis neue totemartige LED-Leuchte „Tuareg”, die das „F-Type R Coupé” von Jaguar in Szene setzt und die die imposante Höhe des Innenhofes des Farmiloe einnimmt. Bemerkenswert ist, dass SCP als einer der ersten Förderer von britischen Designern der Stunde die erfrischend respektlosen Lichtinstallationen der New Yorker Designtalente Roll & Hill zeigt.

Draußen verfolgt Johnson Tiles – die Firma stammt aus Stoke-on-Trent, dem Kerngebiet der Porzellanherstellung – mit seiner Einführung von Neutral- und Akzentfarben in das bestehende Produktspektrum eine zukunftsorientierte Strategie. Das Unternehmen hat mit Textildesigner Ptolemy Mann für das Projekt „Prismatic Landscape” kooperiert, eine Wand aus 4224 Keramikfliesen, die ein enormes Farbspektrum aufweist und von der Farbtheorie des Bauhaus inspiriert ist.

Etwas weiter hinten in der Straße hat sich das Architekturbüro Russ & Henshaw für die Installation am mittelalterlichen St. John’s Gate intensiv damit beschäftigt, wie die Vergangenheit die Gegenwart prägt. Die im Auftrag von Turkishceramics – eine PR-Gruppe für Keramikhersteller – entstandene „Tile Mile” ist eine mit geometrisch angeordneten farbigen Fliesen gestaltete Bodenfläche unter einem Kreuzrippengewölbe. Die parallel in den Spitzbögen angeordneten Spiegel erzeugen die Illusion eines unendlichen Raums. Die Reflektion suggeriert einen nicht endenden Zyklus aus Tradition und Erneuerung.

Das vertraute Motto wiederbelebter Traditionen setzt sich auch im Showroom von Craft Central auf der anderen Straßenseite fort, wo der Bad- und Armaturenhersteller Drummonds mit Christopher Jenner kooperiert. Aus der Zusammenführung von Drummonds Erfahrung mit traditionellen Gusseisen- und Emailtechniken und Jenners Know-how im Holzhandwerk ist eine außergewöhnliche Kollektion von Badezimmermöbeln hervorgegangen.

Der Kerker der Tradition

Die besondere architektonische Kulisse des Areals trägt wesentlich zum Flair und zur Identität der CDW14 bei, wobei der dieses Jahr neu hinzu gekommene Standort in der Krypta von St. James Church (mit dem sinnfälligen Namen „Additions”) eine eindeutige Bereicherung darstellt. In der vom spanischen Online-Store „Triitme!” geförderten Ausstellung in der Krypta werden kleine kunsthandwerkliche Designobjekte und Textilien gezeigt, unter anderem Mini-Architektur-Skulpturen von Londoner Sehenswürdigkeiten von Chisel and Mouse sowie Textilien von Toghal, die traditionelle afrikanische Muster für Haushaltsprodukte übersetzen. Angesichts der allgegenwärtigen Retrostimmung fallen die Schnurrbartbecher (als Link zu Conchita Wurst) von Peter Ibruegger besonders aus dem Rahmen.

Dass neben dem vielen zeitlosen Design auch Innovation auf der CDW14 zu finden ist, lässt sich bei „Platform”, der neue Ausstellungsort für junge Talente in den unterirdischen Kerkern des alten Gefängnisses in Clerkenwell, bestens nachvollziehen. So hat Aleksandrina Rizova für ihren hybriden Tisch digitale Werkzeuge benutzt. Johanna Tammsalu überträgt die Zacken von Schlüsseln in das Zickzackprofil ihrer von Hand gedrehten, keramischen Hängeleuchten. Und Paul Hodge versucht mit seinen Kaffee- und Beistelltischen „Chill & Charge” für Evoni der digitalen Anforderung einer ständigen Erreichbarkeit zu genügen – sie verfügen über die zukunftsweisende Qi-Wireless-Technologie, die weltweit kompatible Aufladetechnologie für mobile Geräte. Die Retrospektive der Stuhlentwürfe der Campana Brüder für Edra im St. John Kloster – sie ist in das Licht getaucht, das durch die Bleiglasfenster der ruhigen Krypta fällt – erinnert uns daran, dass die Meisterschaft im Handwerk schon immer bahnbrechende und unerwartete Formen hervorgebracht hat. Die einzigartige Knüpfkunst, wie sie den im Zentrum der Ausstellung stehenden „Vermelha” Stuhl auszeichnet, ist dafür ein gutes Beispiel.

In der Ausstellung „Tailor my Tom Vac” anlässlich des 15-jährigen Jubiläums von Ron Arads Stuhl „Tom Vac” im Showroom von Vitra zeigt sich der Ungehorsam als gestalterische Tugend. Für dieses Projekt wurden Architekten und Designer aufgefordert, den „Tom Vac” neu zu interpretieren und dabei Altes und Neues aus Design, Kunst und Architektur einfließen zu lassen. Die Idee von Studio Tilt, den Stuhl innerhalb drei Tage langsam in 198 Teile zu zerlegen, die jeweils ein Andenken darstellen sollten, ist ein ansprechendes Beispiel dafür, wie ein solch „ungehöriges” Vorgehen die notwendige provokative und skeptische Auseinandersetzung mit unserem Designerbe anstößt.

www.clerkenwelldesignweek.com


MEHR auf Stylepark:

Immer schön britisch bleiben: Wie sieht die wahrhaft britische Interpretation internationaler Designtendenzen aushaben wir uns auf der Clerkenwell Design Week 2013 angesehen.
(5. Juni 2013)

Vom Baum zum Produkt: Sebastian Cox‘ Arbeiten für Benchmark. Foto © Antje Southern
Wiederbelebte Tradition: Christopher Jenners neuste Kollektion für den Bad- und Armaturenhersteller Drummonds. Foto © Christopher Jenner
„Fearless Design”: Foscarinis neue LED-Leuchte „Tuareg” setzt den „F-Type R Coupé” von Jaguar im Farmiloe Building in Szene. Foto © Foscarini
Illusion eines unendlichen Raums: „Tile Mile” von den Architekten Russ & Henshaw für Turkishceramics am St. John’s Gate. Foto © Sophie Mutevelian
Schablonenmalerei mal anders. Foto © Antje Southern
„Lean Man Side” von And Then Design. Foto © And Then Design
15 Jahre „Tom Vac”: Studio Tilt hat den Stuhl von Ron Arad zerlegt. Foto © Antje Southern
„Solid Spin Lamps“ von Johanna Tammsalu. Foto © Jim Stephenson
Johnson Tiles kooperierte mit Textildesigner Ptolemy Mann für das Projekt „Prismatic Landscape”, eine Wand aus 4224 Keramikfliesen. Foto © Johnson Tiles
St. John Kloster: Retrospektive der Stuhlentwürfe der Campana Brüder für Edra.
Foto © Jim Stephenson
„Lana Dressing Table” vom Londoner Unternehmen Pinch. Foto © Antje Southern