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Atmosphärenproduktion oder Von der Nähe zur Kunst
von Carsten Krohn | 08.09.2010

Zwar hatte schon vor zwei Jahren in Venedig das Motto „Architektur jenseits des Bauens" zu einer Häufung von Installationen geführt, doch sind nun auch gezielt Arbeiten integriert, die bereits im Kunstkontext ausgestellt wurden. Während auf der letzten Architekturbiennale eine Selbstreflexion der Disziplin propagiert und das spekulative Denken angeregt wurde, wobei dies in einer Leistungsschau aus opulenten Objekten und utopischen Projekten gipfelte, hat die aktuelle Direktorin Kazuyo Sejima nun einen Gegenentwurf konzipiert.

Da Architektur im Gegensatz zur bildenden Kunst an sich nicht „ausstellbar" ist, da Zeichnungen, Modelle und Fotografien auf das Eigentliche, den Bau, nur verweisen können, wirkt sich dieses Dilemma vor allem auf die Wahrnehmung aus. Während das Durchschreiten eines Bauwerks es jedem ermöglicht, dessen Architektur unmittelbar zu erleben, ist das Lesen und Dechiffrieren eines Grundrisses oder Schnittes ein Akt der Vorstellung. Indem die japanische Architektin nun auf dem langen Parcours durch die ehemaligen Arsenale fast ganz auf die sonst üblichen Renderings, Texttafeln und Diagramme verzichtet und eine Abfolge von unterschiedlichen Atmosphären inszeniert, setzt sie ganz auf die sinnliche Erfahrung.

Sensibilisierungen

In Sejimas architektonischer Promenade werden extreme Gegensätze in ein Spannungsfeld gebracht. Die Besucher können sich in einen schmalen Schacht eines mit duftendem Holz ausgekleideten Steins legen und, über einen geschwungenen Steg, durch einen Raum mit künstlichen Wolken und verschiedenen Klimazonen schreiten. Sie werden unter einem gigantischen, massiv erscheinenden und weit auskragenden Träger hindurchgeführt und mit einem denkbar zarten Modell konfrontiert, dessen konsequente Minimierung an den Rand des Umsetzbaren getrieben wurde.

Dieser poetische Minimalismus ist für die gesamte kuratierte Ausstellung bezeichnend, die jede protzige Geste zu vermeiden sucht. Wenn dennoch bombastische Effekte auftauchen, wie ein perfekt produzierter 3D-Film von Wim Wenders mit pathetischer, eigens komponierter Musik, dann befremdet dies - zumal hier eine Arbeit der Kuratorin wie in einem Werbefilm gehuldigt wird. Hinzu kommt: Während frühere Biennalen stets die aktuellen Entwicklungen und Trends präsentiert hatten, blendet die aktuelle Schau die führende Riege der „wichtigen" Architekten fast vollständig aus, mit der Ausnahme von Rem Koolhaas, der selbst als Kurator einer „Ausstellung in der Ausstellung" fungiert, und von Toyo Ito, bei dem Sejima gelernt hat.

Von der 3D-Technik zeigte sich der Regisseur Wim Wenders in seinem Film über das Rolex Learning Center vor allem deshalb überzeugt, weil es ihm darum gehe, die Raumwahrnehmung zu vermitteln. Während die permanenten Kamerafahrten die Verführungskraft des Hauses widerspiegeln, die dazu verlockt, es unentwegt durchwandern zu wollen, taucht an anderer Stelle in der Ausstellung auch der konzeptionelle Gegenpol zu diesem Film auf. Die Biennaledirektorin hatte die Künstlerin Fiona Tan engagiert, ein von ihr und ihrem Büropartner Ryue Nishizawa entworfenes Gebäudeensemble auf einer japanischen Inselgruppe zu dokumentieren. Die daraus entstandene, meditative Filminstallation hat Sejima mit einem bombastischen Modell der umgebenden Landschaft kombiniert, in der die baulichen Eingriffe fast bescheiden anmuten.

Mittels solch unterschiedlicher, zum Teil extremer Perspektiven soll dennoch auf einen Wesenskern, auf das Architektonische an sich, verwiesen werden. Selbst wo Arbeiten aus dem Bereich der Kunst herangezogen werden, die nichts Materielles, Festes und Dauerhaftes an sich haben, wie die Sound- und Lichtinstallationen von Janet Cardiff und Olafur Eliasson, vermitteln alle gezeigten Arbeiten und Installationen am Ende doch den Ansatz, Architektur als Atmosphärenproduktion zu begreifen.

Vergangene Zukunft

Nach einer solchen Sensibilisierung für die physische Präsenz der Architektur erscheinen ironischerweise viele der Mammutinszenierungen in den Länderpavillons, die mit ungebremstem Optimismus eine futuristische Zukunft beschwören, seltsam veraltet. Aber in den Länderbeiträgen zeigt sich hier und da die gegenwärtige Kunstaffinität der Architektur - häufig allerdings von ihrer Schattenseite. Die Besucher werden permanent mit Installationen konfrontiert, die für Laien nicht von einer Kunstbiennale zu unterscheiden sind, vor denen sich Künstler allerdings gruseln. Es sind insbesondere die allgegenwärtigen Pathosgesten, die im Kunstkontext als unreflektiert und als hoffnungsloser Kitsch erscheinen.

Trotz der Unbeschwertheit, mit der das Ausstellen hier betrieben wird, und vielleicht auch gerade deshalb, lohnt sich die Reise nach Venedig dieses Jahr insbesondere auch für Nicht-Architekten. Denn es wird ein äußerst vielfältiges Spektrum an Positionen und Ansätzen präsentiert, phänomenologischen wie konzeptionellen, das vielfältiger ist als bei den meisten Kunstausstellungen. Es reicht von sozial engagierten Projekten wie dem der Architektin Lina Bo Bardi zu megalomanen Stadterweiterungsvisionen im Geiste der 1990er Jahre und archaisch anmutenden Urhütten bis zu durchdigitalisierten Verkehrskonzepten. Nach dem einen Trend in der Architektur wird man allerdings vergeblich suchen.

Was aber verspricht das Phänomen der Annäherung von Architektur- und Kunstausstellung? Architektenzeichnungen wie Kunstwerke zu sammeln, sie zu rahmen und wie in einer Galerie oder einem Salon aufzuhängen, um sie dann andächtig zu betrachten, kann eigentlich nur eine Persiflage sein. Angesichts der gigantischen Summen, die bei derartigen Veranstaltungen regelrecht verbraten werden, kann nur daran appelliert werden, die gesellschaftliche Verpflichtung der Architektur nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

http://labiennale.org


In unserer Serie zur Architekturbiennale sind bislang erschienen:
› Oliver Elser über die zentrale Ausstellung der Biennale-Leiterin Kazuyo Sejima
› Dirk Meyhöfer über „Sehnsucht" im deutschen Pavillon
› Sandra Hofmeister über urbane Freiräume und Leerstand in den Pavillons von Frankreich und den Niederlanden
› Annette Tietenberg über den britischen Pavillon, in den eine Schule des Sehens Einzug gehalten hat

Arsenale: Ukrainischer Pavillon “Paradise or Sanctuaru”
Giardini: Exhibition kuratiert von Kazuyo Sejima
Giardini: Tschechischer Pavillon “Natural Architecture”
Giardini: Griechischer Pavillon “The Ark”
Arsenale: Valerio Olgiati, Kunstmuseum in Perm
Arsenale: Smiljan Radic und Marcela Correa, Alle Fotos © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Arsenale: Balancing Act von Anton García Abril & Ensamble Studio
Arsenale: Isobiotope von R&Sie(n)
Giardini: Italienischer Pavillon “Ailati”