Biennale Interieur Kortrijk 2016
Im Ungefähren verheddert
Sie haben geordnet und inszeniert, sie haben ausgewählt und eingeladen, sie haben kollaboriert, und selbst ausgestellt haben sie auch noch: Das Kuratorenteam aus den Architekten Kersten Geers und David van Severen von „Office“, dem Künstler Richard Venlet und dem Grafiker Joris Kritis hat die aktuelle, 25. Ausgabe der „Biennale Interieur“ mit ihrer Szenografie und dem Ausstellungsprogramm zweifellos entscheidend geprägt. Auf die Frage „Was ist ein Interior?“, die ihnen die Biennale-Leitung mitgegeben hatte, haben sie jedoch keine Antwort gefunden.
Die „Biennale Interieur“ ist ein Hybrid: Anders als bei vielen anderen Designmessen, soll in der belgischen Stadt Kortrijk alle zwei Jahre nicht allein der Markt zu seinem Recht kommen. Die Auftritte der Hersteller werden gerahmt von einer eigens entworfenen Szenografie und begleitet von einem kulturellen Programm. Und das nicht als unterhaltsame Ergänzung, sondern mit Anspruch: „Das Programm kann neu definieren, was zeitgenössisches Design ist“, sagt der Architekt David Van Severen im Gespräch mit Stylepark. „Wenn wir aufhören nachzudenken und den kommerziellen Ausstellern die Entscheidung darüber überlassen, was heute Design ist – das wäre mir nicht genug.“
Gelegenheiten zum Nachdenken bieten sich einige in den Messehallen: Unter dem Titel „Interiors“ haben die Kuratoren eine Reihe von Ausstellungen zwischen die Stände gemischt. Die Biennale hat ihnen dabei nicht reingeredet, wie Künstler Richard Venlet betont: „Das ist wirklich selten, dass man so viel Freiheit hat. Die Freiheit, darüber zu entscheiden, wie wir in diesen großen Hallen intervenieren, welche Räume wir schaffen.“
Diese Freiheit haben die Kuratoren genutzt, um der Biennale einen starken, gut funktionierenden Rahmen zu geben. Quer durch die Messehallen haben sie Schneisen geschlagen, die wie ein rechtwinkliges Straßenraster die gesamte Fläche erschließen. Sehr hilfreich bei der Orientierung im Standgewirr: Die Achsen sind mit farbigen Teppichböden und einem silbrig-glänzenden Textil hervorgehoben, das in weiten Bögen unter der Decke hängt.
An den Kreuzungen der Achsen befinden sich Bars, Sonderflächen und schon von weitem sichtbare, silberne Boxen. In dem ansonsten sehr offenen Gefüge der Biennale schaffen diese Boxen einen abgeschlossenen Raum für die „Interiors“-Ausstellungen. Die Boxen bestehen aus gefalteten Stahlpaneelen, die normalerweise als Deckenelemente verwendet werden – wie ein Blick nach oben zeigt. „Ich nenne die Boxen auch öffentliche Gebäude“, sagt David van Severen, Sohn des Designers Maarten van Severen und Bruder von Hannes van Severen, einem Teil des Designduos Muller van Severen. „Das ist wie in einer Stadt. Der Besucher kann selbst entscheiden, ob er eintreten möchte oder nicht. Ich denke, das ist der beste Weg, um kommerzielles und kulturelles Programm zu verbinden.“
Räumlich ist die Verbindung zweifellos gelungen, inhaltlich allerdings tun sich teilweise weite Gräben auf zwischen den Ständen der Aussteller und den kuratierten Schauen. Ein Grund dafür ist sicher bei den Ausstellern zu suchen: Anders als bei vorangegangenen Ausgaben der Biennale Interieur, konzentrieren sich die meisten auf ihre Produkte. Kaum ein Unternehmen wagt eine überraschende Inszenierung. Inspirierende Präsentationen sind rar. Es mag der unsicheren wirtschaftlichen Lage geschuldet sein, dass sich die Aussteller eher konservativ und risikoscheu zeigen. Das ambitionierte kuratorische Programm aber wird so zum Fremdkörper. Statt Funken zu schlagen beim Zusammentreffen mit dem Markt, wirkt es distanziert und vage. Das liegt allerdings auch am Thema und der recht allgemein formulierten Frage: „Was ist ein Interior?“, die nur schwer dazu geeignet ist, so etwas wie Relevanz oder Virulenz zu erzeugen.
Dabei waren die Kuratoren auf der richtigen Spur: „Ich habe das Gefühl, mit Phänomen wie Zara Home oder H&M Home wird das Interior mittlerweile so durchkommerzialisiert wie die Mode“, sagt David van Severen. „Man kann sich ständig etwas Neues kaufen und gleich wieder wegwerfen. Diese Entwicklung im Design und Interior finde ich sehr fragwürdig. Denn Möbel und Architektur sind eigentlich langsam. Diese Qualität sollten wir feiern, und uns nicht an der Modewelt orientieren.“ Doch statt ihre Freiheiten für präzise Statements zu nutzen und die Mechanismen der Branche zu thematisieren, bleiben die Kuratoren im Ungefähren eines interdisziplinären Crossover. Sie haben sich für ihre „Interiors“-Ausstellungen Künstler, Architekten und Gestalter eingeladen – gute Freunde, Szenelieblinge. Diese haben sie zu Paaren oder ganzen Teams zusammengespannt, denn heute kollaboriert schließlich jeder mit jedem, auf dass sich die Bedeutung gegenseitig verstärke. Die Gäste wurden also nicht nur von den Kuratoren kuratiert, sondern haben sich auch noch gegenseitig kuratiert. Mit dem Erfolg: Viele Kuratoren verderben die Ausstellung. Etwa bei der Schau der Schweizer Design-Altmeister Trix + Robert Haussmann, die gemeinsam mit Fredi Fischli und Niel Olsen von „Studiolo“ auftreten. Gezeigt werden eine Reihe kleiner Kuben, eine Variation über die Gestaltung der Ecke. Den Kuratoren reichte das offensichtlich nicht, also musste auch noch eine Ecke des Ausstellungsraums verspiegelt werden. Hübsch, aber banal.
Pointierter schon das Duo aus dem Kurator Moritz Küng und Künstler Heimo Zobernig, die sich allerdings konzeptionell dabei verheddern, eine Ausstellung von 2004 in verfremdeter, vielfach gebrochener Form wiederaufzuführen. Mit Zobernigs Spanplattenmöbeln, dem lackierten Teppich und der roten Beleuchtung entsteht zwar ein „Interior“, aber die Besucher gucken trotzdem so ratlos, als kämen sie aus dem falschen Film. Hier passen Inhalt und Kontext nicht zusammen, die Schau „Schoner Wöhnen“ operiert mit den Strategien der zeitgenössischen Kunst, ohne Erkenntnisgewinn für die Besucher einer Designbiennale. David van Severen ist sich darüber sogar im Klaren: „Installationen wie ,Schoner Wöhnen’ sind vielleicht irrelevant für die Art und Weise, wie Design heute unterrichtet, präsentiert und kommerzialisiert wird.“ Es sei aber sehr wichtig, zu verstehen, dass nicht nur der Markt entscheide, was relevant sei und was nicht.
Und wer entscheidet stattdessen? Im Zweifelsfall die Kuratoren selbst, die mit ihrem Projekt „Solo House“ ebenfalls zu den Ausstellern gehören. „Solo House“ ist eine Ferienvilla, die Kersten Geers und David van Severen gerade in Spanien bauen, ein transparenter Ring mit Betondach, ein maximal minimiertes Haus, beinahe ohne Grenzen zwischen innen und außen, in dem nur noch ein paar Einbauten und Möbel Halt bieten. Eigentlich also ein guter Gegenstand, um zu untersuchen, was ein „Interior“ sein könne. In einem der Interior-Kuben zeigen die Architekten ein Arrangement aus originalgroßes Fragmenten des Hauses wie den Stützen oder einem Ausschnitt des Dachs, bespielt mit Hockerleuchten von Richard Venlet und Gittermöbeln von Muller van Severen. Doch auch hier bleibt alles vage: Wer das Projekt nicht kennt, versteht nicht, dass hier ein Wohnraum zitiert wird, sondern wähnt sich in einer etwas unaufgeräumten Möbelausstellung.
Einzig dem Schweizer Architekten Philippe Rahm gelingt mit „The Anthropocene Style“ ein interessanter Beitrag. Er zeigt ein abgedunkeltes Interieur aus Stuhl, Vorhang, Teppich, Leuchte, Raumteiler und Spiegel, die Wärme speichern, den Wohnkomfort verbessern und uns sobeim Energiesparen helfen sollen. Seine Antwort auf den Klimawandel ist zwar fiktiv, schafft es aber, unsere Gewohnheiten und Gewissheiten in Frage zu stellen. Es ist die einzige Installation, die es tatsächlich schafft, etwas von der kritischen Relevanz zu vermitteln, wie die Kuratoren sie fordern. Vielleicht auch einfach deshalb, weil Rahm ganz
alleine arbeiten durfte. Ein Mann, ein Konzept, fertig.