Bei einer Veranstaltung wie der Architekturbiennale in Venedig ist das Symbolhafte per se inhärent. In Venedig selbst, das über Jahrhunderte in einer ungewöhnlichen Lage – exponiert und isoliert zu gleich – entlang einer komplizierten gesellschaftlichen Struktur gewachsen ist, die neben aller höfischen und standesmäßigen Abgrenzung auch das gemeinschaftliche Gefüge im Sinn hatte. Auf dem Feld der Architektur, die mit den politischen, gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen durch die Zeit gegangen ist und noch heute eine zentrale Stellung in der Gesellschaft, bisweilen auch in der Wissenschaft, für sich einfordert. Eine Architektur, die wohl öfter nach Abgrenzung gesucht und diese wirksam aufgebaut hat, als das Gemeinsame und Verbindende herauszuarbeiten oder eine diskursive Offenheit in den Vordergrund zu stellen. Unbelastet von Bestehendem und Imaginiertem startet ein solcher Event also nicht, auch wenn der Titel „Common Ground“ sich leicht und griffig gibt.
Galt es nun für die Biennale den „Common Ground“, das Gemeinschaftliche in der Architektur zu suchen und zu finden? Eine visionäre Essenz, die Architekten rund um den Globus wie um einen Gral vereint? Oder ging es eher um die Entdeckung dessen, was als öffentlicher Raum benannt, aber leider allzu selten so gedacht, geplant, be- und umbaut wird? Weil Raum allein als technisches Konstrukt statt als gesellschaftliche Dimension betrachtet wird? Dies sind nur zwei gedankliche Linien, die man um die 13. Architekturbiennale ziehen könnte.
So wird offensichtlich, dass der Großevent zwischen Arsenale und Giardini kaum einen roten Faden finden kann, vielleicht auch gar nicht muss. Wenn man das Geschehen denn als Marktplatz – auch der Eitelkeiten –, als Angebot begreift, wird der Gang durch die Länderpavillons und die Arsenale-Hallen leichter, wenn auch nicht allzu beschwingt. Dafür sind die Architekten und mit ihnen die Positionen, die Biennale-Direktor David Chipperfield für die Ausstellung ausgewählt hat, zu widersprüchlich und oft zu bekannt.
Am zentralen Biennale-Pavillon in den Giardini taucht das Collagenhafte, das unkontrollierte Überlagern von Möglichkeiten, schon vor der Fassade auf. Mit der Installation „The Big Balcony“ verweist Alison Crawshaw auf illegale Bauten und bauliche Erweiterungen, die sie in Rom untersucht hat, und thematisiert damit das Bestreben des Einzelnen, Raum individuell und ohne gesetzliche Einschränkungen zu nutzen. Dass Einschränkungen und Umwege jedoch nicht zwingend in einen Verlust oder Mangel münden, lässt sich am deutschen Pavillon exemplarisch ablesen. Aus dramaturgischen, aber auch ganz praktischen Gründen haben Kommissar Muck Petzet und Ausstellungsgestalter Konstantin Grcic das mächtige Hauptportal geschlossen gehalten und den Zugang bescheiden an die linke Seite verlegt. Die eigentlich symmetrische Raumfolge wirkt dadurch neu und aufgelockert und es entstehen erlebbar ungewohnte Perspektiven, wie sie auch die ausgewählten Architekturprojekte liefern. „Reduce, Reuse, Recycle“ ist der Dreiklang, der den kuratorischen Grundgedanken und den Filter bei der Auswahl der Projekte bildet.
Kann ein Ansatz, der den Rückschritt und das Zurücknehmen als Credo formuliert, den Weg nach vorne und in eine andere, bessere Zukunft vorzeichnen? Muck Petzet spricht von einem „architektonischen Wertesystem“, das „allerdings dem Selbstverständnis vieler Architekten diametral entgegen“ stehe, „die einem Ideal nacheifern, das längst überholt ist: dem Architekten als unabhängigem Schöpfer neuer Welten“. Dieses sympathische Rütteln am eitlen Gestus der Altvorderen bleibt im Arsenale fast ohne Wirkung.
Dort sammeln sich Bilder und Modelle bekannter Projekte und Arbeitsweisen, denen in der Inszenierung die Kraft fehlt, klare Standpunkte zu formulieren oder eine unbekannte Perspektive zu skizzieren. Wie sollen denn vielfach gesehene Fassaden-Modelle eine lebendige Diskussion anregen über das Kopieren in der Architektur? Kann denn eine typische Inszenierung von Architektur überhaupt mehr sein als eine Wiederholung? Wie immer man auch argumentieren möchte – dass die Präsentation doch für die Inhalte nur eine untergeordnete Rolle spiele oder im Gegenteil, dass man als Architekt Argumente für den eigenen Standpunkt zur und in der Architektur bitte klar darstellen möge –, die Beiträge einer internationalen Architektur-Ausstellung sollten einen Ausdruck finden, der sich auf der Höhe der Zeit bewegt.
So wie es Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner von Urban-Think Tank gemeinsam mit Justin McGuirk plakativ gelungen ist. Das Restaurant „Gran Horzionte“ auf halbem Weg durch die Arsenale-Flächen präsentiert auf lebendige Weise, was das hinterlegte Projekt „Torre de David“ ausmacht. Auf 45 Etagen eines nie fertig gestellten Bank-Hochhauses in Caracas hat sich eigenmächtig Leben ausgebreitet, das dort nie geplant war. Ungenutzte Flächen werden in Gebrauch, nicht in Besitz genommen, das Leben dort gemeinschaftlich, lebendig organisiert. Wohl nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern weil der tägliche Bedarf an Raum andere Alternativen gar nicht zulässt. Möglicherweise lässt sich an den Strukturen und Gemeinschaften, die sich in diesem „vertikalen Slum“ gebildet haben, ganz anders erforschen, wie menschliches Miteinander in enger und voller werdenden Städten, in gegebenen oder vorgefundenen Räumen funktioniert. Mit gutem Grund hat die Biennale-Jury den Beitrag mit dem Goldenen Löwen für die beste Projektpräsentation ausgezeichnet.
Die Frage nach den Möglichkeiten stellt auch der Beitrag im japanischen Pavillon, der den Goldenen Löwen der Länderbeiträge gewann. Die Ausstellung des Projektes „Home-for-All“ sucht nicht nach einer architektonischen Idealkonstellation als Neubeginn, nachdem der Tsunami im Jahr 2011 für Tabula Rasa gesorgt hat. Nicht am grünen Tischen wurden Pläne und Konzepte für eine Bebauung des Katastrophengebietes ausgelotet, sondern ein pragmatischer Ansatz zum Dialog initiiert, wie Architektur nach einer Katastrophe Antworten geben kann auf die Grundbedürfnisse der Menschen. Wie lassen sich Orte – Common Ground – schaffen, wo die Menschen sich treffen können zum Essen, Trinken und Erzählen? Kommissar Toyo Ito hat dazu die Macher, die Architekten und Behörden sowie die vorherigen und zukünftigen Bewohner, für die gemeinsame Entwicklung der Gebäude an einen Tisch geholt. Kann, ja muss Architektur in Zukunft nicht immer und von Beginn an partizipativ sein?
Wenn Architekten so direkt reagieren, bekommt Architektur eine konkrete politische Dimension. Die muss sich nicht in gebauten Projekten manifestieren, im Gegenteil. Oft reicht es, die Zusammenhänge kräftig zu skizzieren, um zu verdeutlichen, wie Architektur auf gesellschaftliche Prozesse reagieren und in diese somit auch eingreifen kann. Der kroatische Beitrag unter der Überschrift „Unmediated Democracy Demands Unmediated Space“ mag auf Projektdarstellungen verzichten, doch die Inszenierung findet durch die Überlagerung von bewegten Bildern im Raum eine Möglichkeit, die Prozesse vor der Entstehung von Architektur, die auslösenden gesellschaftlichen Veränderungen in ihrer Dynamik abzubilden und für die Diskussion bereit zu stellen.
Dass solche Argumentationen kaum dauerhaft sein können, sondern im Spannungsfeld von offensichtlichen Abhängigkeiten und verdeckten Parametern stets zu prüfen und einzuordnen sind, wird im polnischen Pavillon deutlich. Im neutral grau gestrichenen Raum verschiebt sich die Wahrnehmungsebene – faktisch und im übertragenen Sinne. Der solide wirkende Boden, der uns üblicherweise die Basis für ein Verständnis des umgebenden Raumes liefert, irritiert mit leichtem Gefälle, eine Soundinstallation aus Stimmen und Geräuschen schallt von der Decke und aus Nischen. Wenn das gewohnte Bezugssystem ins Wanken gerät, braucht es neue Fundamente und Gewissheiten. Architektur kann demnach nur funktionierende Räume schaffen, wenn der Nutzen und die Funktion laufend hinterfragt werden.
Dass Veränderung in der Architektur not tut, stellen die Briten in ihrem Pavillon nicht mehr in Frage, sondern binden einen bunten Strauß aus hübschen Ideen. Doch reicht die Erinnerung an Oscar Niemeyers Idee von standardisierten Schulgebäuden für ein neues Statement? Ist eine solche Rückbesinnung schon ein ausreichend kräftiger Veränderungsimplus? Interessanter ist da schon die Auseinandersetzung mit dem Ansehen des Architekten. Klingt da Verzweiflung oder Anerkennung an, wenn ein Befragter in seinem Statement den Architekten Omnipräsenz zuschreibt?
Das Rotterdamer Büro MVRDV stutzt die Rolle des Architekten als Planer bei der Entwicklung von „Freeland“, einem experimentellen Stadtentwicklungskonzept, kräftig zurück. Liberal soll sich die Planung aus der Initiative und den Bedürfnissen der Einzelnen entwickeln. Verliert der Architekt in Zukunft also seine Position als vordenkender Baumeister und gerät lediglich in die Rolle des fachkundigen Moderators?
Auch mit der 13. Architektur-Biennale scheinen die Begründungen für Architektur nicht klarer geworden zu sein. Eine breit getragene, selbstbewusste Versicherung der eigenen Position sieht anders aus. Unter dem Strich sind wohl mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben worden. Die Vielzahl der Argumente und die Varianz der Positionen stecken zwar ein erkennbares Feld ab: Doch ist das schon ein „Common Ground“?
13. Architekturbiennale Venedig,
bis 25. November 2012
www.labiennale.org