Schon auf den ersten Blick außergewöhnlich: Farbenfrohe Fotos liegen auf lang gestreckten Tischen oder sind in Leuchtkästen montiert und zeigen immer wieder fröhliche Kinder. Ganz anders, als es üblich ist in der Architekturfotografie, die meist zurückhaltend in der Farbe und in streng komponierten Aufnahmen den Raum, aber selten Menschen darstellt.
In der Ausstellung „Testify! The Consequences of Architecture" sollen vor allem die Nutzer der Gebäude, die Entstehungsgeschichte der Architektur sowie ihre Auswirkung auf die Gesellschaft vorgestellt werden. Die Ästhetik der knapp 25 Projekte – so unterschiedlich und teilweise auffällig bunt sie daherkommen – steht dabei weniger im Vordergrund. Denn Lukas Feireiss, Kurator der Ausstellung, die zuerst am Neederlands Architectuurinstituut (NAi) in Rotterdam zu sehen war, findet den gegenwärtigen Architekturdiskurs zu selbstbezogen, zu wenig mit dem realen Leben verbunden und ausschließlich auf die Fachwelt beschränkt. Vor allem stört es ihn, dass Architekten sich nach der Fertigstellung kaum noch für ihre eigenen Bauten und deren Nachleben interessieren, daher der Titel „Testify", für Feireiss geht es um eine Architektur, deren Qualität sich erst noch beweisen muss.
Das beste Beispiel für so eine engagierte Architektur ist die Open-Air-Bibliothek in einem Vorort von Magdeburg. In Salbke, einem Stadtteil, der stark unter Bevölkerungsschwund leidet, entstand mit dem „Lesezeichen" eine eigenwillige Mischung aus Platzgestaltung und Architektur. An einer stark befahrenen Straße bietet eine Wand auf der Innenseite überdachte Nischen mit Sitzplätzen für die Lesenden sowie geschlossene Fächer für die Bücher an. Zuvor gab es unter Beteiligung der Bürger einen Entwurfsworkshop, dessen Ergebnis zuerst mit Hilfe von Bierkästen als Modell im Maßstab eins-zu-eins für ein zweitägiges Lesefest visualisiert wurde. Danach sorgte die Materialwahl vom Leipziger Büro Karo-Architekten für einen richtigen Hingucker. Sie recycelten die charakteristischen weißen Fassadenelemente eines Horten-Kaufhauses und kontrastierten diese mit Flächen in einem kräftigen Grün. Getragen wird das Projekt bis heute von ehrenamtlichen Mitarbeitern und durch Bücherspenden, die den Bestand auf 30.000 Exemplare anwachsen ließen. Im Katalog zur Ausstellung erfährt man, dass dieses Projekt durchaus einen positiven Einfluss auf die Umgebung hat, Häuser renoviert wurden, aber auch, dass es dort Vandalismus gibt.
Es ist ein Manko der Ausstellung, dass die Fotos alleine nicht alle Projekte ausreichend erläutern und man erst in einem der ausliegenden Kataloge nachlesen muss, wie sie entstanden sind und wie sie von den Nutzern angenommen wurden. Die zahlreichen aufgestellten Tafeln mit kurzen plakativen Zitaten helfen da nicht weiter.
Nicht alle Projekte sind architektonisch überzeugend, aber es zählen ja der soziale Prozess und die Auswirkungen auf das Umfeld wie bei der „Eichbaumoper" vom Architekturbüro Raumlabor im Ruhrgebiet. Gestapelte Container an einer U-Bahn-Station inmitten von Schnellstraßen dienten als Anlaufstelle und Projektbüro. Treppenanlage und Bahnsteige der Station wurden zur temporären Bühne für unterschiedliche Darbietungen der Anwohner: eine zeitgenössische Oper, Boxkämpfe und Rap-Konzerte. Auch bei der Umgestaltung von Baulücken in Saragossa war die Rolle der Architekten eher die eines Vermittlers, der soziale Projekte mit den Anwohnern moderiert und gestalterisch betreut hat. In der dicht besiedelten Innenstadt wurden so aus vernachlässigten Brachflächen Sport- und Spielplätze oder improvisierte Grünanlagen. Die Rolle des Architekten war hier auch die des Treuhänders, denn die drei genannten Projekte entstanden im Rahmen von Bauausstellungen, Festivals oder Sanierungsprogrammen, initiiert von den Verwaltungen und nicht wie manchmal der Eindruck entsteht auf Eigeninitiative der Architekten.
Neben Projekten aus Bangkok, Rio de Janeiro oder Paris, die einen ähnlichen Ansatz der Beteiligung verfolgen, zeigen größere Bauten in aller Welt, wie mit Hilfe von Architektur Stadtteile zum Positiven verändert werden können. So in Kapstadt, wo ein Schulgebäude nicht nur die Abbruchquote senkte, sondern auch einen Ort der Sicherheit und der Identifikation für die Schüler schuf. Ein weiteres Schulgebäude, diesmal in China, überbrückt ein Gewässer und verweist auf historische Rundbauten aus Lehm, soll so Geschichte und Gegenwart verknüpfen. In Medellin, Kolumbien, dient ein Wissenschaftspark als touristische Attraktion, schafft aber gleichzeitig dringend benötigte Freiräume für die Anwohner und kostenlose Lernmöglichkeiten für ihre Kinder. Hier entstanden nicht einfach funktionale Gebäude, sondern die Projekte leisteten einen Beitrag zur Entwicklung der Stadt und der Gesellschaft – eine soziale Relevanz von Architektur wie sie in der westlichen Welt Seltenheit geworden ist. Andere vorgestellte Initiativen wie das Freiluftkino „Cinema Jenin" in Palästina oder die Skateboardschule „Skateistan" in Kabul erreichen dies sowie eine weltweite Medienpräsenz sogar ganz ohne architektonischen Anspruch. Da bleibt manchmal das Bauen auf der Strecke bei all den Nebentätigkeiten als Sozialarbeiter und Manager.
Testify! The Consequences of Architecture
Von 11. Februar bis 18. März 2012
Deutschen Architektur Zentrum Berlin
www.daz.de