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Teilen statt Tatütata

Im belgischen Kortrijk ist eine alte Feuerwache zur experimentellen "Deelfabriek" geworden, einem Haus für gemeinnützige Vereine, Selbsthilfewerkstätten, Nachbarschaftsinitiativen und allen möglichen Formen von Gemeinsam. In der digitalen Zeit findet die Stadt, dass es solche Orte des physischen Austauschs umso Dringender braucht. Das Architekturbüro ATAMA hat dem bunten Treiben einen Rahmen verliehen.
von Florian Heilmeyer | 09.01.2024

So ein schönes Gebäude!, möchte man rufen, wenn man sich der alten Feuerwache in Kortrijk nähert. Sie befindet sich nur ein paar hundert Meter vom Hauptbahnhof und ihr hoch aufragender, schlanker Turm ist schon aus der Ferne zu sehen. Er wirkt ein wenig wie ein frühmoderner Kirchturm, schlank und kantig und mit einer transparenten Lichtkuppel abgeschlossen, in der jetzt ein Kunstwerk aus geschwungenen LED-Bändern in der Dämmerung leuchtet.

Die verlassene Feuerwache

Die alte Feuerwache stammt aus dem Jahr 1940. Mit elegantem Schwung besetzt ihr flacher, langgezogener Bau die Ecke einer Straßenkreuzung. Es ist durch und durch ein Haus der Moderne: In der Fassade aus dunklen Backsteinen wird die Horizontale durch ein langes Fensterband im hellgrauen Betonrahmen betont. Im Erdgeschoss überdecken schwungvolle Flugdächer entlang der Straße verglaste Arbeitsräume. Zur Kreuzung hin liegt die alte Wagenhalle, aus deren Halbkreisschwung die Feuerwehren durch sechs große Rolltore zum Einsatz ausrückten. Aber die Zeiten von Tatütata und Blaulicht sind lange vorbei. Schon 1982 waren Wache und Wagenhalle zu klein geworden, die Feuerwehr zog weiter. Die schöne Wache wurde als schnödes Spritzenhaus der freiwilligen Feuerwehr und als allgemeines städtisches Lagerhaus genutzt. Immerhin wurde sie 2003 unter Denkmalschutz gestellt, um jeder Abrissdiskussion eine rasche Absage zu erteilen.

Erst zum Ende der 2010er-Jahre gab es eine tragfähige Idee für eine neue Nutzung. 2017 hatte sich eine Initiative entwickelt, die als loser Zusammenschluss von mehreren Vereinen das Teilen, Tauschen, Reparieren und Selbst-Herstellen von allen möglichen Dingen in den Mittelpunkt stellte und dafür die erste "Deelfabriek" (wörtlich: Teilfabrik) in einem alten Lagerhaus einrichtete. Hierher konnte jeder kommen, der etwas zum Tauschen oder Teilen hatte. Schnell entstanden Selbsthilfewerkstätten für Fahrräder, Kinderspielzeug oder Kinderwagen, Tauschläden für Second-Hand-Klamotten, Bücher oder Brettspiele. Auch Materialien, Stoffe oder Werkzeuge konnten hier für wenig oder kein Geld abgegeben, ausgeliehen, genutzt oder getauscht werden. Innerhalb von kürzester Zeit platzte die Lagerhalle aufgrund der hohen Nachfrage aus allen Nähten. Die Initiative wandte sich an die Stadt und legte ein Konzept für die alte Feuerwache vor, auf die man ein Auge geworfen hatte.

Nur so viel Architektur, wie nötig

Die Stadt ließ sich überzeugen und lobte einen Architekturwettbewerb aus. Dabei zeigte sich, dass die Feuerwache tatsächlich ideale räumliche Bedingungen für die gewünschte Nutzung bot: Eine Reihe von kleinen Arbeitsräumen für die Vereine und Gruppen im Gebäude entlang der Straße; größere Räume um den gemeinsamen Innenhof als ideale Werkstätten; Dazu die große Wagenhalle mit ihrem beeindruckenden Betondach voller Oberlichter als neuer "Marktplatz", der durch die Rolltore direkt zum Bürgersteig geöffnet werden kann.

Den Wettbewerb gewann das Atelier for Transformative Architecture & Masterplanning, kurz: ATAMA, von Carolien Pasmans und Bram Aerts. Ihr Entwurf zeugt von großem architektonischem Fingerspitzengefühl, denn sie gehen besonders behutsam mit dem bestehenden Gebäude und den klar formulierten Wünschen der Nutzer um. Manchmal übertreiben es ja die ArchitektInnen und meinen, besonders viel eigene Ideen mitbringen zu müssen. Aber in Kortrijk wurden die Gebäude entlang der Straße und die Wagenhalle äußerst genügsam wiederhergestellt, mehr Reparatur als Restaurierung. Man tat eben genau so viel, wie nötig, um die Räume nutzbar zu machen. Hier wurde eine Wand entfernt, dort neue Technik verlegt – Kabeltrassen und Leitungen liegen offen, die Materialien der Wände bleiben unverkleidet. Die Architektur sorgt lediglich für einen robusten Rahmen – den Rest können die Nutzer mit ihrem Arsenal an Werkzeugen, Ideen und Akteuren sowieso besser selbst machen. Die spindeldürre Spiraltreppe, die in ihrer eigenen Glasröhre seitlich am Turm hinaufführt, ist durch neue Glasscheiben endlich wieder sichtbar und der spektakuläre Glasraum in der Turmspitze ist nun wieder nutzbar, für kleine Veranstaltungen, Workshops oder Yoga-Kurse mit weitem Blick über die flache Stadt ringsum. So ganz genau weiß man das aktuell noch nicht, vieles ist noch im experimentellen Stadium des Ausprobierens.

Rund um den rückseitigen Innenhof brauchte es allerdings größere Eingriffe. Um die Räume für Werkstätten und Läden zu schaffen, wurde der Bestand zuerst begradigt, bereinigt und befreit von allen möglichen Einbauten, die sich über die Jahrzehnte gesammelt hatten. Der eine Seitenflügel wurde dabei erweitert, der andere verkürzt, sodass ein klar formulierter, großzügiger Hofraum entstanden ist. Zu diesem Hof hat jeder Ladenraum einen eigenen Eingang unter einer neuen, schlichten Kolonnade. Über die Eingänge kommt der Name der jeweiligen Organisation in geschwungener Leuchtschrift steht – was sich wiederum mit dem geschwungenen Lichtkunstwerk in der Turmspitze verbindet. Nur einen Gag erlaubten sich die ArchitektInnen: Rings um den neuen Hof wurden die erhaltenen Fragmente der alten Feuerwache sowie die Brüstung über der Kolonnade mit polierten Metallstreifen verkleidet, die ihre Umgebung spiegeln. So entsteht ein fröhliches Verwirrspiel mit allerlei Spiegel-, Vervielfältig- und Überlagerungen von Menschen und Räumen, die den Hof noch einmal größer erscheinen lassen.

Minimaler Eingriff, maximale Nutzung

Mit vergleichsweise wenigen Handgriffen und einem bescheidenen Budget von 3,1 Millionen Euro ist ein durch und durch poröses und vor allem: öffentliches Gebäude entstanden, wie es die Stadt zuvor noch nicht kannte. Durch die großen Tore an der Markthalle gelangen BesucherInnen und NutzerInnen in den gemeinschaftlichen Innenhof. Anlieferungen und Fahrräder nutzen die breite, ehemalige Nebeneinfahrt. Im Hof breitet sich bereits das öffentliche Leben aus, reparieren die Menschen Fahrräder oder stellen Tische für gemeinsames Essen auf. Sofort gibt es genau die Synergien, die man sich erhofft hatte: Man kommt miteinander ins Gespräch über dieses und jenes, nicht nur Materialien werden getauscht, sondern auch Gedanken und schon entstehen neue Ideen. In der lokalen Presse ist von einem "alternativen Kaufhaus" die Rede, das die alten Kommerztempel in ihrer Dauerkrise endgültig ablösen könnte. Da kann man also wirklich guter Hoffnung sein, denn hier ist zusammengekommen, was zusammengehört: Ein schönes Gebäude mit einer wunderschönen, äußerst fruchtbaren Nutzungsidee.

Situation vor dem Umbau
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