Sie gehen davon aus, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Schichten unterschiedliche Vorstellungen von Zukunft haben, die zwischen High Tech und Katastrophe schwanken. Wie muss man sich das vorstellen? CRIT: Das sind zwei verschiedene Dinge. Zukunftsvorstellungen gehören historisch gesehen in das Reich von Utopien und Katastrophenszenarien. Wir denken hier an Zukunftsvisionen aus den Bereichen Architektur, Fiktion, Film. In diesen bedeutet Zukunft entweder High-tech-Utopie oder Niedergang. Auf der anderen Seite haben unterschiedliche Menschen – nicht nur im Hinblick auf Klassenzugehörigkeit, Gesellschaftsschicht, Politik etc. – auch ihre jeweils eigenen Vorstellungen von ihrer Zukunft. Diese sind von ihrem Alltag geprägt, d.h. wie sie ihre Gegenwart empfinden. Nehmen wir beispielsweise einen Mann aus der Mittelschicht, den der Stau auf den Straßen frustriert. Und im Gegensatz dazu den Straßenverkäufer, der sich vom Auflauf der Massen Geschäft verspricht. Das heißt, der eine wünscht sich eine Zukunft ohne Stau und Massen und der andere möchte das Potential der Masse anzapfen. Obwohl diese Vorstellungen oder Bestrebungen gegensätzlich sind, sind sie beide gleichermaßen begründet. Das ist es was die Stadt zu bieten hat – vielfältige Vorstellungen von Zukunft. Worin bestehen die Vorteile einer derartigen Vielfalt und Diversität? CRIT: Die Verschiedenheit der Menschen ist eine Tatsache. Sie ist vielleicht nicht sehr effizient, aber wir glauben sie ist nützlich, insbesondere wenn der Großteil der Menschen nicht sehr reich ist. Diese Verschiedenheit eröffnet Möglichkeiten, schafft Bedingungen in denen Menschen zusammenkommen, sich auseinandersetzen, in denen sie Voraussetzungen für Wachstum und Neues schaffen können. Beispielsweise Mumbai, eine Stadt von Migranten. Hier hat sich eine eigene Sprache entwickelt, eine neuartige Küche, neue Rituale, neue Glaubensinhalte… All dies sorgt für mehr Möglichkeiten. Durch Vielfältigkeit lässt es sich an einem Ort leichter leben, insbesondere ohne Geld oder staatliche Sicherheit. Wenn Menschen einen unterschiedlichen Hintergrund haben, sind ihre Vorstellungen von Zukunft auch divers. Daher gibt es viele verschiedene Zukunftsvisionen. Wir betrachten sie als Möglichkeiten – die vielen Möglichkeiten, die die Zukunft uns eröffnet – manche widersprechen sich, wie zuvor erwähnt, unter Umständen sogar. Und da es diese vielen Möglichkeiten gibt, bleibt die Zukunft offen und wird nicht von den Ideen eines Einzelnen bzw. einzelnen Ideen bestimmt. Jeder hat die Gelegenheit sich an der Gestaltung von Zukunft zu beteiligen. Und wir möchten herausfinden wie eine solche Beteiligung aussehen kann. Reichere fahren Auto, Ärmere nutzen öffentliche Verkehrsmitteln, fahren mit dem Rad oder gehen zu Fuß. Wodurch lässt sich die Situation verändern? Was schlagen Sie vor? Wie könnte die Mobilität der Zukunft in Mumbai aussehen? CRIT: Der Verkehr wird weiterhin von zahlreichen einflussreichen Faktoren bestimmt werden – von Ölkonzernen, Autoherstellern, Werbeagenturen, Umweltschützern, Autoliebhabern, Infrastrukturbetreibern etc. Eine einzelne Designlösung wird diesen unterschiedlichen Einflüssen sicherlich nicht gerecht werden. Es wird große und kleine Autos geben, öffentliche und private Transportunternehmen etc. Dadurch, dass sich die Märkte weiter herauskristallisieren, werden sie alle nebeneinander existieren. Zumindest in den nächsten 20 bis 30 Jahren. Die Zukunft kann nicht mit einem einzigen Projekt bewältigt werden. Die Zukunft hat viele Gesichter und jedes sagt etwas anderes. Es sind viele unterschiedliche Initiativen erforderlich. Die große Frage wie Verkehr zu regeln ist, wird sich vielleicht verschieben, von „Wie können wir uns schneller fortbewegen und weniger/andere Energie nutzen?“ hin zu „Wie reduziert/rationalisiert man die Fortbewegung in der Stadt?“. Dafür braucht es viele verschiedene Antworten – die Märkte müssen Möglichkeiten eröffnen, um von Zuhause aus oder in der Nähe des Zuhauses arbeiten zu können. Planungen sollten auf effiziente Mischnutzungen ausgerichtet werden und darauf, wie die Bedingungen für einen kleineren Fortbewegungsradius (Fußgänger) verbessert werden können. Und die Technologie muss Lösungen dafür bieten, wie ohne persönliche Anwesenheit Wissen generiert, Transaktionen durchgeführt und Unternehmen geleitet werden können etc.
Collective Research Initiatives Trust (CRIT) ist ein Zusammenschluss von einzelnen Personen, die gemeinsam ein kritisches Verständnis und Lösungen für die Problematik von Urbanität entwickeln möchten. Seit 2003 beschäftigt sich diese informelle Gruppierung, die sich konstant erweitert oder wenn nötig auch verkleinert, mit Forschung, Pädagogik und Intervention im urbanen Bereich.
CRIT oder Es gibt mehr als eine Zukunft
14.10.2012
Das Architektenteam CRIT aus Mumbai, Foto © CRIT
Das Architektenteam CRIT aus Mumbai, Foto © CRIT
Das Projekt des Architektenkollektivs CRIT, alle Bilder © CRIT