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Der Berg ruft, das Tal kommt!
von Nina Reetzke | 28.12.2010

Nicht nur Kinder rodeln gern, auch Erwachsenen zieht es im Winter auf die Piste. Jedoch wird der Gipfelsturm meist in einer Almwirtschaft begossen. Man stapft am frühen Nachmittag den Berg hoch, speist und trinkt ordentlich und fährt dann im Dunkeln wieder ins Tal. Während die Waghalsigen die Abfahrt zum sportlichen Wettkampf erklären, fahren die Genießer lieber entspannt den Berg hinunter. Je nach Schlitten, Fahrstil - und Trunkenheit - gibt es so manchen Zwischenfall: der eine bleibt in einer Schneewehe stecken, der andere schafft eine Kurve nicht und landet im Tiefschnee. Allein die winterliche Landschaft mit den verschneiten Bäumen, die klare, kalte Luft und der fast unwirklich helle Sternenhimmel verzaubern unabhängig von seinen Fahrkünsten vermutlich jeden Rodler.

Natürlich kann man auch mit Hilfe einer Plastiktüte unterm Hintern einen Hang hinunter rutschen. Schlitten, Bobs, Reifen und Airboards bieten jedoch wesentlich elegantere Möglichkeiten, um an den Fuß des Berges zurückzukehren. Je nach Form, Material und Größe des Gefährts variiert die Fahrtgeschwindigkeit vom Stillstand - wenn der Schlitten wegen rostiger Kufen ständig im Schnee stecken bleibt - bis zur Autobahngeschwindigkeit - mit Airboards können mehr als hundert Kilometer pro Stunde erreicht werden. Gegenwärtig sind vor allem Schlitten aus Holz, Kunststoff, Stahlrohr oder Aluminium auf den Rodelpisten vertreten. Bei der Wahl des Gefährts sollten Kriterien wie Gleitverhalten, Spurtreue, Lenkbarkeit und Bremsmöglichkeiten berücksichtigt werden. Einige Modelle lassen sich aufgrund ihres minimalistisches Designs oder eingebauter Klappmechanismen besonders gut transportieren und lagern.

Alle kennen den guten alten „Davoser Holzschlitten", der heute zu den am weitesten verbreiteten Modellen gehört. Ein Vorgänger wurde im neunzehnten Jahrhundert aus Norwegen in die Schweiz eingeführt, dort weiterentwickelt und kam in seiner heutigen Form 1883 bei einem Schlittenrennen in Davos zum Einsatz. Nach allen Regeln des Handwerks produziert heute beispielsweise das Allgäuer Traditionsunternehmen Sirch den Davoser Holzschlitten - wahlweise aus schichtverleimter Buche oder aus dampfgebogener Esche.

Den Designliebhaber erfreuen natürlich die Illustrationen der historischen „Thonet`schen Rutsch- und Rodelschlitten" aus Bugholz, die vor mehr als hundert Jahren in Produktion waren, heute jedoch nicht mehr hergestellt werden. Dafür gibt es von Thonet aktuell einen Schlitten aus gebogenem Stahlrohr. Der „S 333" besteht aus zwei seitlichen Kufen und einem Bügel, der gleichzeitig als Spanner für den Sitz aus Netzgewebe dient. Als dahingleitender Freischwinger gleicht er beim Fahren Bodenunebenheiten aus. Zum Tragen lässt er sich gleich einem Rucksack über die Schultern hängen.

Auch Autohersteller wie BMW, Mercedes Benz und Volkswagen haben sich in den letzten Jahren des Themas „Schlitten" angenommen. Schließlich weiß man, was man seinen Kunden in Sachen exklusive Accessoires schuldig ist. Aus gestalterischer Sicht überzeugt vor allem der „Rodel" vom Porsche Design Studio, hergestellt von der Firma Swiss Rodel - als Inspiration dienten Eiskanalrennrodel aus dem Profisport. Der Schlitten aus schwarzem Kunststoff besteht aus einer Sitzschale mit fünf seitlichen Öffnungen, die auf zwei auffallend schräg gestellten Kufen ruht. Die Biegung in Längsrichtung verbessert die Lenkbarkeit; durch die Winkelstellung der Kufen berühren nur deren äußeren Kanten den Boden - die Spurentreue erhöht sich.

Dabei hatte Konstantin Grcic bereits 2003 den traditionellen Schlitten quasi für tot erklärt. Die klaren und einfachen Regeln des Handwerks seien, so Grcic, heute in Zeiten vielfältiger Interpretationsansätze überholt. Der traditionelle Holzschlitten, wie er im fünfzehnten Jahrhundert im norditalienischen Valle d`Aosta verwendet wurde, inspirierte Grcic daher zu einem Schlitten in der Form eines Reifens mit neun Griffen. „...mein Schlitten hält sich an keine Regeln: Er ist nicht aus Holz und man kann mit ihm auch nicht kopfüber den Berg hinunter rodeln", äußert sich Grcic. „Der neue Schlitten ist rund und wird aufgeblasen. Er ist außer Kontrolle und gefährlich!"

Ebenfalls auf aufblasbaren Gefährten, jedoch deutlich zielgerichteter als bei Grcic' Modell, rauschen Airboarder die Berge herunter. Auf den Luftkissen - entwickelt wurden sie von dem Schweizer Joe Steiner - legt sich der Fahrer auf den Bauch mit dem Kopf in Richtung Tal: Er kann sich an Griffen festhalten; Rippen am Boden des Boards helfen, die Spur zu halten; der niedrige Schwerpunkt erhöht die Geschwindigkeit; gebremst wird über eine Schrägstellung des Boards; bei Stürzen ist der Fahrer - gleich einem Airbag - durch das Board geschützt.

Aber wir dürfen beruhigt sein: Der Schlitten ist keineswegs tot. Neben Luftreifen und Airboards arbeiten Designer und Ingenieure auch heute an immer neuen Schlittenentwürfen. Zu nennen ist hier zum Beispiel der „Alurunner" von Hans Deiseroth und Thomas Breen. Er besteht aus einem Aluminiumrahmen mit einem Kunststoffsitz und ist wie - bei einem Mountainbike - mit einer Gabelfederung ausgestattet; eine Krallenbremse hilft beim Bremsen.

Auch wenn Schlitten zunehmend sportlicher daher kommen und immer höhere Fahrtgeschwindigkeiten ermöglichen, eignen sich natürlich auch die neuen Modelle für einen abendlichen Ausflug zur nächsten Almhütte. Der Berg ruft! Und das Tal kommt manchmal schneller, als einem lieb ist.

www.sirch.de

shop1.porsche.com
www.alurunner.com
www.konstantin-grcic.com
www.airboard.com

Reduce to the max: Der Porsche-Schlitten
"Airboard", Foto: Bernard van Dierendonck
Foto: Bernard van Dierendonck
"Alurunner" von Hans Deiseroth und Thomas Breen
"Alurunner" Gasfeder
Hörnerrodel "h 11" von Sirch
Zeichnung von Konstantin Grcic
"S 333" von Holger Lange für Thonet
Einfach und elegant ist der Porsche Schlitten
Foto: Bernard van Dierendonck
Lenkbarer Rennrodel "r 13" von Sirch
Davoser Rodel von Sirch
Historische Broschüren von Thonet
Lord von Konstantin Grcic