Auch wenn es wenige amtliche Statistiken über die Gemeinde älterer Wohnmobilisten in den Vereinigten Staaten gibt, so beläuft sich, konservativen Schätzungen zufolge, ihre Zahl doch auf zwei bis drei Millionen Rentner. Ihren Lebensstil, der, nach den kanadischen Anthropologen Counts und Counts, seinen Ausdruck in der Maxime „Freiheit, Unabhängigkeit und Abenteuer" findet, verbindet man mit der Ablehnung von ortsgebundenen Tätigkeiten sowie mit Domizilen für ein ganzjähriges Nomadenleben ‚on the road'.
So gesehen ist der ältere Wohnmobilist womöglich das symbolischste Subjekt des Dritten Alters, das heißt, der Generation der „jungen Alten", die die Verpflichtungen von Kindheit (Ausbildung) und Erwachsensein (Arbeit und Kindererziehung) hinter sich gelassen haben und denen die physischen und geistigen Einschränkungen der späteren Phase des hohen Alters noch bevorstehen. Als historisch noch nie dagewesene Gruppe, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert aufkam, fungiert das Dritte Alter als eine demographische Petrischale, in der sich die Bildung von alternativen Modellen von Subjektivität, Kollektivität, Architektur und Städtebau beobachten lässt. Die vielleicht bemerkenswerteste Entwicklung unter ihnen ist die Gemeinde der Wohnmobilisten.
Als städtisches Phänomen bewegt sich die Gemeinde älterer Wohnmobilisten am Schnittpunkt von zwei großräumigen Infrastrukturen: Zum einem dem Netzwerk der US-amerikanischen Bundesautobahnen und -straßen, das offizielle und inoffizielle Campingplätze und Stellplätze zum Übernachten einschließt, und zum anderen der sozialen Netzwerke im Internet, die auch vom entlegensten Parkplatz aus mit Hilfe einer auf dem Wohnmobil installierten Satellitenschüssel und freier Sicht auf den Himmel in Richtung Süden zugänglich sind. Hunderte von Online-Clubs sind in den Vereinigten Staaten inzwischen entstanden als dominierender Sammelpunkt für die Wohnmobilisten-Gemeinde, die zahlenmäßig von einer Million Mitgliedern bis hin zu kleinen Subkulturen mit etwa einem Dutzend Mitgliedern rangieren und deren thematischer Bogen von den typischen Ausreißern oder „Good Sam Clubs" bis hin zu eher spezialisierten Wohnmobil-Swingerclubs oder so genannten „Motorisierten Einzelgänger"-Clubs für Singles reicht. Zusammen bilden diese Infrastrukturen ein geschlossenes urbanes Feld, dessen soziale Dichte sehr hoch, dessen räumliche aber zugleich sehr gering sein kann.
Als urbanes Feld kann die Struktur in ganz unterschiedlichen räumlichen Dichten verwirklicht werden: In Instant-Städten mit hunderttausenden von Wohnmobilisten in der Wüste von Arizona ebenso wie in Form einsamer Wohnmobilen in abgeschiedener Wildnis, die über Internetzugang verfügen und täglich mit anderen Wohnmobilisten und Familienmitgliedern „skypen". Im Allgemeinen fördern diese Infrastrukturen eine alternative Form dezentralisierten Städtebaus, die sich aus dem Aufeinandertreffen von städtischen und anti-städtischen Bedingungen entwickelt - und damit so etwas wie ein ‚technologisiertes Arkadien' darstellt.
Die Praktiken, die das Phänomen des Lebens von Senioren als Wohnmobilisten bestimmen, manifestieren sich architektonisch durch eine Form ‚kompensatorischer Häuslichkeit.' Wer einen solchen Lebensstil führt, muss in den meisten Fällen seinen materiellen Besitz in Menge und Maßstab radikal verringern und die Grundfläche des ehemaligen persönlichen Heims um einen Faktor von vier bis zehn reduzieren. Diese Erfahrung wird in anthropologischen Beschreibungen des Wohnmobil-Lebens als traumatisch, aber auch als emanzipatorisch beschrieben. Ein derartiges Ereignis kann als Abnabelung vom angestammten Ort etwa einer Vorortwohnung interpretiert werden, denn in dieser Wohnung beziehungsweise An diesem Ort haben die meisten Wohnmobilisten bis dahin ihr gesamtes Leben verbracht. Folglich verwandelt sich der Begriff von „Heimat" in ein Mischkonstrukt bestehend aus dem Wohnwagen als konstantem und stabilem Wert, der sich auf dem variablen und instabilen Boden von temporären Tätigkeiten auf der Basis von öffentlichem und privatem Eigentum befindet. Dieser Prozess der Entwurzelung des heimischen Domizils führt im Falle der Wohnmobilisten typischerweise zu übermäßigen häuslichen Tätigkeiten, die für die potentielle emotionale Bedrohung, die mit einer Heim-Losigkeit und mit Heimweh verbunden ist, entschädigen sollen. Derartige Praktiken lassen sich sowohl innerhalb als auch außerhalb des Fahrzeugs beobachten.
Innerhalb des Wohnmobils zum Beispiel kann man eine Form von Hyper-Domestizität feststellen, die eher zum Vorstadt-Bungalow als zum fahrenden Gefährt passt. Aufgrund der offensichtlichen Volumen- und Gewichtsbeschränkungen der Vehikel wird dieser Effekt häufig mit einer bemerkenswerten Sparsamkeit an Materialien erzielt. Der Grundriss und die vorgesehenen Funktionen der vertrauten häuslichen „Räume" der amerikanischen Mittelklassewohnung sowie ihre typische Material- und Farbpalette werden nicht nur verkleinert, sondern auch vergrößert. Zu den gewohnten häuslichen Elementen zählen Teppiche, Fliesen und die Möbelstoffe des ‚Wohnzimmers', die mit gebeiztem Eichen- beziehungsweise Mahagoniholz verkleideten Küchenschränke sowie typische Elemente der Innenausstattung wie Kissen, Blumen und Nippes, die während des Fahrens verstaut und beim Halten wieder hervorgeholt werden. Derartige Arrangements manifestieren sich in der Konstruktion einer Wohnmobil-Häuslichkeit, die der Logik des „beweglichen Domizils" näher steht als der des „häuslichen Fahrzeugs".
Die Produktion eines vertrauten und gesteigerten Bildes von Häuslichkeit im Innern spiegelt sich auch in der unmittelbaren äußeren Umgebung des Wohnmobils wieder. Die Aufteilung dieses Raumes mit seinen halbprivaten, halböffentlichen und öffentlichen Arealen ähnelt häufig der Strukturierung der typischen Häuser-Landschaft in einem Vorort. In diesem Rahmen spielen die Anordnung des Wohnmobils in Bezug auf die bestehenden Eigenschaften und Vorgaben des Geländes - Bäume, Sonneneinfall und andere Fahrzeuge sowie die Anordnung von besonderen Gegenständen und Möbeln - eine entscheidende Rolle. Die meisten Wohnmobile haben ein Vorzelt, das ausgefaltet und oft durch eine zusätzliche Bodenfläche verstärkt wird und so der heimischen Veranda als einen halb-privaten Raum nachempfunden ist. Diese Bodenfläche besteht meist aus künstlichem grünen Rasen, der dem häuslichen Rasen nachempfunden ist und oft von einer Fußmatte mit der Aufschrift „Herzlich Willkommen" sowie Klapptischen und -stühlen ergänzt wird. Zusätzliche Gegenstände wie Grill, provisorischer Kamin, Topfpflanzen, Fitnessgeräte und eine bemerkenswerte Vielfalt an Zierobjekten wie Windräder, Neon-Palmen und Gartenzwerge machen den domestizierten Außenraum des „Heims" nicht nur persönlicher, sondern demarkieren ihn auch. Die wohl markanteste Form dieser Personalisierung und Demarkation ist das Aufstellen von Liegestühlen unter den ausgezogenen Vordächern von Wohnmobilen, die auf dem Parkplatz eines Walmart-Supermarkts stehen.
Aus der Luft erkennt man über inoffiziellen Stellplätzen eine Vielzahl an Wohnmobil-Formationen - von rechteckigen Häusern mit Innenhof über kreisförmige Wagenburgen bis hin zu eher spärlichen Arrangements, bei denen sämtliche Wohnmobile den gleichen Abstand voneinander haben und einer Vorortsiedlung ähneln. Diese Formationen weisen eine Bandbreite an Zwischenräumen zwischen Fahrzeugen auf, die oft für Gemeinschaftszwecke genutzt werden. Soziale Praktiken und Ereignisse, die hier stattfinden, sind etwa Lagerfeuer oder Treffen, bei denen man gemeinsam singt, isst, backt, und tanzt. Am weitesten verbreitet ist vermutlich das sogenannte „Potluck"-Dinner, bei dem jeder ein Gericht mitbringt - eine Form der sozialen Interaktion, die sich mit den grundlegenden Einschränkungen des Wohnmobils deckt, denn schließlich verfügt keiner über genügend Geschirr und Besteck für eine größere Gruppe oder eine Küche, in der man für mehr als vier oder sechs Personen kochen kann. Derartige Vorbereitungen sind mit taktilen Praktiken seitens der Wohnmobilisten verbunden, bei denen das Timing der ersten Portion sowie die Größe des Tabletts, mit dem man sich bewaffnet, entscheidend sind.
Viele Wohnmobilisten verbinden das Ethos solcher Praktiken mit dem der Pioniere des 19. Jahrhundert im amerikanischen Westen. Count und Count zufolge arbeitet sich die heutige Gemeinde der Wohnmobilisten aber nicht an der sich nach Westen verschiebenden Grenze jener Zeit ab, sondern an einer dazwischen liegenden Grenze. Heutigen Wohnmobilisten geht es darum, Lücken zu finden beziehungsweise zu füllen, die von urbanen Strukturen (im traditionellen Sinn einer Stadt) noch nicht besetzt wurden oder in denen urbane Formen noch nicht deutlich hervortreten. Derartige kolonisierende Praktiken in den leeren Räumen der Wüste von Arizona oder auf den Parkplätzen eines Walmart, basieren weniger auf dem Überlebensinstinkt von Migranten, die im Westen nach neuen Möglichkeiten suchen; sie entstehen vielmehr aus einem nomadischen Impuls heraus, der sich dafür eignet, die grenzenlose Freizeit heutiger Rentner zu maßregeln.