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Design kommt vor und nach Design

Bald ist es soweit, dann lädt der Salone del Mobile in Mailand wieder zur ultimativen Neuheitenparade. Nachdenkliches soll die Triennale beisteuern,
die nach 20 Jahren Pause wiederbelebt wird.
Was kommt da alles auf uns zu?

01.04.2016
Die größte Herausforderung besteht darin, den eigenen Kopf einzurichten: Fabio Novembres Entwurf für die „Stanze“. Foto © Triennale

Voltaire besaß ein kleines Notizbuch, das er „Le sottisier“, seine Stilblütensammlung, nannte. Er hat ihm manch eigenwilligen Gedanken anvertraut, unter anderem jenen, Gott habe uns das Leben geschenkt, es liege aber an uns, uns ein schönes Leben zu schenken. Was Alberto Savinio prompt zu einer ganz besonderen Liebeserklärung an den guten Geschmack in seiner Stadt und an „la bella vita“ veranlasste: „Gott hat den Mailändern das Leben geschenkt, und die Mailänder sorgen selbst dafür, sich ein schönes Leben zu schenken.“

La bella vita

Der Verschönerung des Lebens hat sich – zumindest, was das Wohnen angeht – auch der Salone del Mobile verschrieben. Der wird in diesem Jahr 55 Jahre alt und bereitet – vom 12. bis zum 17. April und wie schon in der Vergangenheit im Zeichen von Internationalität und Innovation – in und um die Messehallen in Rho die große ultimative Bühne für Hersteller, Designer, Architekten und Innenarchitekten, Fachleute und interessierte Besucher aus aller Herren Länder.

Zum Programm gehören dieses Mal (in den Hallen 9-11 und 13-15) die Internationale Küchenmesse „EuroCucina“ samt dem Begleitevent FTK (steht für „Technology For the Kitchen“) sowie (in den Hallen 22-24) die Badmesse „Salone Internazionale del Bagno“. Fester Bestandteil und unverzichtbar ist auch 2016 der SaloneSatellite (ebenfalls in den Hallen 13 und 15) samt dem „SaloneSatellite Award“ für Designer unter 35 Jahren.

Klassik kommt vor Design

Da alles an seinem Platz zu sein scheint und sich die EuroCucina im Zweijahreszyklus so zuverlässig mit der Lichtmesse EuroLuce abwechselt wie Tag und Nacht, wäre also im Prinzip alles wie gehabt. So ist es aber nicht. Allein schon das Projekt „Before design: Classic” ergänzt – samt einem Kurzfilm des Regisseurs Matteo Garrone, der in einer der Messehallen gezeigt wird – die funkelnde Möbelparade mit einem Verweis auf den klassischen Geschmack „Made in Italy“, den und dessen Aktualität „visuell und sensorisch“ darzustellen sich das Unternehmen vorgenommen hat.

Aus Vergangenheit wird Zukunft

Aus der schön ausgemalten Vergangenheit auf eine nicht minder schöne Zukunft verweisen soll auch eine Ausstellung in den gleichen Räumlichkeiten, die überdies Impulse zum Nachdenken über „die klassische Seele des zeitgenössischen Wohnens“ geben möchte. Wer schon gespannt darauf wartet, was das Visuell-Sensorische dieser oder jener Seele anzubieten hat, dem sei gesagt: Die Mobilisierung einer wie immer gearteten vergangenen italienischen Design-„Klassik“ zum Zweck der gegenwärtigen (und weiteren) Aufhellung der Zukunft passt derzeit gut ins Bild, werden doch auch an vielen Messeständen „Klassiker“ derzeit neu belebt oder fürs Kommende umgemodelt. Man muss wahrlich kein Prophet sein um vorauszusagen, dass heuer eine Menge Revivals und Evergreens dazu werden herhalten müssen, das eine oder andere Schwächeln der Gegenwart auszugleichen und so manche Blöße zu bedecken. Vielleicht gelingt es der Branche ja, sich mit etwas Retro und neuen Farben den schon Jahre währenden Trend zu Mid-Century und Vintage noch erfolgreicher zu Nutzen zu machen?

Geschäft mit Kultur

Nun hat es die Gegenwart so an sich, notorisch recht kurzsichtig oder gar blind zu sein gegenüber dem, was in ihr gerade geschieht. Auch wird Design gern von Kultur- und Kapitalismuskritikern jedweder Couleur als zweifelhaftes Make-up für ebenso überflüssige wie überteuerte Produkte geschmäht. Was auf Produktschauen immer besonders offenbar zu werden scheint, bleibt der Prozess, aus dem Stuhl, Tisch oder Sofa hervorgegangen sind, doch weitgehend unbemerkt. Schon deshalb empfiehlt sich eine möglichst direkte Verbindung zwischen Geschäft und Kultur, was auch in Mailand kaum überrascht, gehört solch inniges Beisammensein doch schon lange zur Philosophie des Salone. Zumal der Schauplatz, dies zu demonstrieren, in diesem Jahr ein ganz besonderer sein kann.

Nachdenken über das Wohnen als innere Landschaft: Die klugen Köpfe einer der Ausstellungen der Triennale, Foto © Triennale

Die Wiederkehr von XX1T

Zwanzig Jahre lang war Pause, jetzt taucht die Triennale di Milano wieder aus der Versenkung auf und wird – sie beginnt schon am 2. April und geht bis zum 12. September – unter der Seriennummer 21 zu neuem Leben erweckt. Ihr Motto lautet ganz unbescheiden: „21st Century, Design after Design“. Zumal sich die im Rahmen der Triennale stattfindenden Ausstellungen nicht mehr allein auf den Palazzo dell’Arte am Mailänder Schloss beschränken, sondern weitere Orte in der Stadt einbezogen werden, darunter der Hangar Bicocca, das neue Museum der Kulturen, das Politechnikum und das Museum für Wissenschaft und Technik Leonardo da Vinci. Sogar die Villa Reale in Monza, wo die Triennale 1923 entstanden ist, bevor sie zehn Jahre später nach Mailand umzog, gehört zu den Lokalitäten.

Schon in jungen Jahren hat sich die Triennale mit drängenden gesellschaftlichen Fragen auseinandergesetzt und einen starken interdisziplinären Charakter offenbart. Entsprechend sollen auch heute Kreativität und Technologie, Tradition und Innovation, Industrie und Markt, Produktion und Konsum nicht isoliert betrachtet und die ästhetische Seite eines Produkts als entscheidender Faktor einbezogen werden.

Fenster oder Screen, wer weiß das schon: Carlo Rattis Vorschlag für die „Stanze“. Foto © Triennale

Neue häusliche Landschaften

Wobei sich für eine Messe wie den Salone die Frage nach einem „Design nach dem Design“ quasi von selbst beantwortet, da nach dem Design (oder den Designs und Trends) dieses Jahres notwendig das Design und die Möbel des nächsten Jahres kommen. Weshalb Messen notorisch auf Innovationen setzen und auch daran glauben müssen, es gäbe sie wirklich. Wohl auch deshalb hat der Salone im Rahmen der Triennale die von Beppe Finessi kuratierte Ausstellung „Stanze. Nuovi paesaggi domestici” – Räume. Neue häusliche Landschaften – initiiert. In und mit ihr soll die besondere Aufgabe der Innenarchitektur unterstrichen und der Blick abermals in Richtung des Alltagslebens der Menschen und auf ihr zukünftiges Wohnen gelenkt werden. Eben weil die Innenarchitektur innig mit der Praxis und – ganz nebenbei – mit der Einrichtungsbranche verwoben ist.
Man darf gespannt sein, ob die Schau mit Seitenblick auf die legendäre, tatsächlich epochemachende Ausstellung „Italy. The New Domestic Landscape” 1972 im Museum of Modern Art in New York, es nach einer Einführung anhand von elf Projekten und elf Räumen vermag, eine ebenso experimentelle wie originelle Bilanz zu ziehen und über den Stand der Dinge aufzuklären. Dass kluge Köpfe wie Alessandro Mendini, Carlo Ratti und andere mit von der Partie sind, klingt vielversprechend, auch wenn noch vage bleibt, was man sich unter „philosophischen Bezugshorizonten“ und von „zeitgenössischen Schriftstellern entwickelten Themen“ vorzustellen hat.

Design nach Design

Die Triennale selbst will mit der Ausstellung „21st Century. Design after Design“ ebenfalls neue Orientierungspunkte anbieten und sogar Fundamente einer künftigen Kultur entwerfen. Es soll sich beobachten lassen, wie aktuellen Widersprüchen, Inkonsequenzen und Ausweglosigkeiten etwas entgegengesetzt werden kann. Wie das aussehen könnte, ist einstweilen noch ein Geheimnis. Kenya Hara stellt jedenfalls schon fest, das Schaffen neuer Dinge sei nicht die einzige Form von Kreativität, wogegen Bruce Mau fragt, was wir tun wollen, jetzt, da wir alles tun können. Und während John Maeda erklärt, der Computer sei kein Instrument, sondern ein Material, spricht John Thackara von einer Entwicklung vom „Designen für“ zum „Designen mit“. Man merkt: Das Unternehmen wirft der Welt einfachen Gestaltens und einem gängigen Verständnis von Design den Fehdehandschuh hin. Es will dazu herausfordern, den Blick vom bloßen Gestalten abzuwenden, das Augenmerk auf brennende Fragen lenken – und nicht zuletzt Lösungen für die großen anstehenden Probleme anbieten. Probleme gibt es wahrlich genug. Mal sehen welches Design nach dem Design kommt. Es müssen ja nicht nur Mailänder dafür sorgen, sich selbst ein schönes Leben zu schenken.

Salone Internazionale del Mobile
EuroCucina
Salone Internazionale del Bagno
SaloneSatellite
12. bis 17. April 2016
Mailand, Messegelände Rho
www.salonemilano.it

Fuorisalone
Mailand, 12. bis 17. April 2016
www.fuorisalone.it

XXI. Triennale di Milano
2. April bis 12. September 2016-03-28
Palazzo dell’Arte und weitere Orte
www.triennale.org