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Dick kann jeder, dünn können nur wenige
von Sandra Hofmeister | 08.12.2009
Mark Werder

Wogg ist eine relativ junge Schweizer Firma, bekannt für besondere Materialien und Verarbeitungstechniken. Gibt es eine spezielle Philosophie, die hinter diesem Charakteristikum steckt?
Mark Werder: Unser Ziel war es schon immer, Produkte mit einem hohen Eigenwert und starker Eigenständigkeit zu entwickeln - also wirklich Neues zu schaffen. Deshalb haben wir von Anfang an mit neuen Materialien experimentiert und in diesem Bereich sehr viel ausprobiert. Wer so vorgeht, ist sicherer vor Kopien, weil die Produkte zwar einfach aussehen, aber schwierig nachzumachen sind.

Sie sind ein kleines Team und setzen trotzdem auf Innovation. Wie geht das?
Werder: Etliche Unternehmen arbeiten mit externen Firmen, bei denen sie Entwicklungen einkaufen. Bei uns hingegen war die Entwicklung schon immer im eigenen Haus. So haben wir mit den Jahren an Know-How dazu gewonnen. Außerdem haben wir von Anfang an mit guten Designern zusammengearbeitet, die sich auf solche Abenteuer und auf neue Technologien eingelassen haben. Im Moment bekommen wir sehr viele Anfragen von internationalen Designern, die mit uns zusammenarbeiten möchten. Das freut uns natürlich. Doch leider ist es schwierig für uns, alle Vorschläge auf ihr Potenzial hin zu überprüfen.

Als die Cousins Willi und Otto Glaeser die Firma Wogg 1983 gründeten, war ihr Ausgangspunkt die Holzverarbeitung. Heute scheint das Spektrum an Materialien deutlich größer.
Werder: Die klassische Holzverarbeitung in strengem Sinn war nie der eigentliche Kern von Wogg. Schon Anfang der achtziger Jahre hatte die Möbelschreinerei Glaeser eine maßgebliche Entdeckung gemacht, nämlich das Postforming-Verfahren. So entstand die erste Kollektion, in Zusammenarbeit mit drei Designern, die das Verfahren im Möbelbereich zur Anwendung brachten.

Postforming ist ein patentiertes Verfahren zur Ummantelung kleiner Radien mit formbaren Kunstharzplatten. Heute besitzen Sie mehrere Patente - auch auf spezielle Leichtbauplatten und auf ein Rollfrontsystem mit Aluminiumteilen. Wie entstehen diese Technologien und an welcher Stelle im Entwicklungsprozess kommt das Material ins Spiel?
Werder: Das ist unterschiedlich. Man muss sich das bei uns wie in einer kleinen Familie vorstellen. Wir führen viele Diskussionen, beim Abendessen, beim Mittagessen, tagelang. Meistens hat am Anfang ein Designer eine Idee, wie man etwas machen kann. Wir beginnen dann zu recherchieren und zu experimentieren. Es dauert zwei, drei oder vier Jahre, bis ein Produkt serienreif ist. Manchmal entstehen zufällig neue Zusammenhänge. Mit Atelier Oï beispielsweise haben wir lange an einem Hocker gearbeitet, dann an einem Paravent - und plötzlich war es ein Schrank: „Wogg 49" war also relativ schnell geboren. Doch die Vorlaufzeit zur Entwicklung und Professionalisierung des Rollfrontsystems dauerte mindestens zwei Jahre. Das System sieht einfach aus, ist aber recht komplex in der Fertigung. Es ist auf den zehntel Millimeter genau gearbeitet, damit der Schrank möglichst leicht läuft.

Die Leichtigkeit fällt bei vielen Wogg-Möbeln ins Auge, sowohl beim Rollfrontsystem des Schranks „Wogg 49" als auch bei den Leichtbauplatten für den Klapptisch „Wogg 16". Welcher Gedanke steckt hinter der Leichtigkeit?
Werder: Dick machen kann jeder, dünn machen nur wenige! Ein gutes Beispiel ist unser Regal „Wogg 25". Ein extrem dünnes Regal mit knapp fünf Millimeter und obendrein stabil. Das Regal so früh auf dem Markt zu lancieren, war durchaus gewagt. Viele Kunden und Händler wollten damals dicke Regale und haben unser Anliegen nicht verstanden. Acht bis neun Jahre später jedoch machen viele Möbelfirmen dünne Regale. Doch wir haben immer noch das Dünnste! Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Leichtigkeit fasziniert und macht Sinn, davon waren wir schon immer überzeugt. Die Möbel können so auch deutlich einfacher transportiert werden. Wir sind mit gewissen Entwicklungen früh dran und vielleicht dem Markt etwas voraus. Dafür verkaufen wir die Produkte auch länger.

Legen Sie ihre Produkte also auf längere Zeitdekaden aus und ändern nicht regelmäßig ihr Sortiment?
Werder: Das ist für uns selbstverständlich. Der neue Stuhl nach dem Entwurf von Jörg Boner zum Beispiel - „Wogg 42" - nutzt als erstes Möbel in dieser Art die Technik des Textilverschweißens. Wir hatten ihn vor vier Jahren in Mailand gezeigt und dann noch einmal komplett von vorne angefangen, das heißt, den gesamten Stuhl noch einmal neu entwickelt. Das Handling des Know-Hows ist sehr komplex bei diesem Möbel, da sind wir in der Tat an unsere Grenzen gegangen.

Viele Verarbeitungstechniken bei Wogg sind ungewöhnlich. Da wird Aluminium zu elliptischen Körpern gebogen oder Textilien werden verschweißt. Offenbar gibt es ein großes Potenzial, die Dinge anders anzugehen als üblich.
Werder: Viele Mitbewerber haben die Strategie, eine Marke aufzubauen. Das bedeutet, möglichst günstig herzustellen und dafür möglichst viel Geld für Marketing übrig zu haben. Das macht in unseren Augen keinen Sinn. Wir geben die Arbeit nicht weg, produzieren und entwickeln selbst und profitieren davon. So können wir letztendlich auch noch an dem Ort produzieren, an dem wir wohnen, und verlegen die Produktion nicht in Billiglohnländer. Das ist wichtig und sollte immer ein Ziel sein. Letztendlich ist es auch eine Leidenschaft, die man als Unternehmen haben sollte. Das Textilverschweißen ist zwar neu in der Möbelindustrie, aber in der Textilindustrie ist das Verfahren schon lange bekannt. Wir probieren viele Sachen aus, es kommen aber längst nicht alle unserer Experimente auf den Markt.

Viele Wogg-Möbel - auch wenn sie von unterschiedlichen Designern entworfen sind - wirken wie ein Stück Modellarchitektur. Da werden Schranktüren zur einheitlichen Fassade und Möbelkörper zu freistehenden Volumen. Ist das eine Art Markenzeichen?
Werder: Auch Architekten gehen oft nicht von der Fassade aus, sondern von der Nutzung des Gebäudes. Wir sehen das ähnlich und agieren in diesem Punkt vielleicht wie Architekten: Wir analysieren den Nutzen, fragen nach, wie er entsteht und bauen einen Schritt auf den anderen auf. So wird die Fassadenfrage sozusagen nebenbei gelöst, weil sie konsequent aus den Grundfragen heraus entwickelt ist. Reine Optik interessiert uns selten.

Was dürfen wir in Zukunft von Wogg erwarten?
Werder: Wir werden unsere Kollektion an verschiedenen Punkten verbessern - durch neue Materialien und Technologien. Dann sind wir schon relativ lange daran, gemeinsam mit Jörg Boner einen neuen Holzstuhl zu entwickeln, den wir hoffentlich nächstes Jahr in Mailand präsentieren werden. Wir halten viel von Jörg Boner - ein hervorragender Designer!

„Der weltbeste Schweizer Designer", wie Stefan Diez ihn mir einmal vorstellte...
Werder: Ja, er hat Recht. Wir setzen auf die Familie, eine langfristige Zusammenarbeit erbringt deutlich spannendere Produkte als der ständige Wechsel zu neuen Designern. Das erste Produkt, das man zusammen entwirft, ist selten das Beste. Im Dialog, der sich langsam entwickelt, entstehen immer bessere Ergebnisse. Deshalb werden wir auch in Zukunft weiter mit unseren wenigen Designern zusammenarbeiten, statt ständig neue Kooperationen einzugehen.

Mark Werder