Buchstaben tanzen in Musikvideos und in Titelsequenzen, sie fügen sich zu Kurzfilmen, werben für TV-Formate, Produkte und Dienstleistungen. Sie strahlen via Schriftband, Großleinwand und Medienfassade in den öffentlichen Raum. Wie vielfältig sich Schrift in Bewegung setzt, zeigt die Ausstellung „Bewegte Schrift" im Museum für Gestaltung Zürich.
Am Anfang steht ein Teleprompter: Das Gerät wirft über einen halbdurchlässigen Spiegel der Moderatorin den Text zu, so dass sie beim Ablesen direkt in die Kamera blickt, die hinter dem Spiegel platziert ist. Die Textzeilen tauchen auf und verschwinden im gewünschten Tempo. Satz für Satz rollt der Text ab und wird im Mund der Moderatorin zur Nachricht, die millionenfach an den TV-Geräten vernommen wird. Wer es als Ausstellungsbesucher ausprobieren will, stellt sich hin und liest den ablaufenden Text.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich in den Vereinigten Staaten nicht nur der Teleprompter durch, sondern auch Nachrichten- und Werbelaufbänder. Sie mussten gut lesbar sein, und sie sollten auffallen. An dem Punkt beginnt die Lust an formalen und inhaltlichen Experimenten, und davon gibt es unzählige. Andres Janser, der „Bewegte Schrift" für das Museum für Gestaltung Zürich kuratiert hat, trug eine Auswahl zusammen. Gruppiert in fünf Kapiteln, vermitteln mehr als 120 Arbeiten ein Stück Mediengeschichte der etwas anderen Art. Rund drei Stunden würde es dauern, wollte man alles sichten.
Den aufsehenerregendsten Einstieg in die Welt der bewegten Buchstaben bietet David Carsons hypernervöse Zusammenfassung der Menschheitsgeschichte. Sein Kurzfilm „The End of Print II" beginnt bei Zeus, es folgt Merkur, der das Feuer und damit die Kultur bringt, die Lust am Bild, am Erzählen, das dann vielfältig verschriftlicht wird, also aufgeschrieben, irgendwann gedruckt und im digitalen Zeitalter überall verfügbar und verflüssigt wird. Hier sind wir. Da fliegen einem in rund fünf Minuten die Schriftarten und Illustrationen, Wortfetzen, Textfragmente - gelesen von William S. Burroughs - und Musikschnipsel nur so um die Ohren, und man erinnert sich, dass David Carson seit den späten achtziger Jahren die Buchstaben auch im gedruckten Zustand so über die Seiten tanzen ließ, dass es die Götter erfreute.
Musikalische Typen
Im Musikvideo ging es erst handschriftlicher zu, gemächlicher und irgendwie melancholischer. Bob Dylan ließ bei seinem „Subterranean Homesick Blues" von 1967 stumm einen Papierbogen nach dem anderen auf den Boden fallen, Bögen, auf denen handschriftlich und grammatikalisch nicht immer korrekt Fragmente seines Songtextes notiert waren, der aus dem Off zu hören ist. Dieses Proto-Musikvideo, das den Tourneefilm „Don't Look Back" einleitete, machte Schule. Die Liste der Nachfolger und Variationen ist lang, ein paar sind auch in der Ausstellung zu sehen: bis hin zu Yello, INXS, Wir sind Helden oder Kanye West.
In Musikvideos ist der Rhythmus König, Synästhesie das Ziel. So wie es klingt, so sieht es aus - auch Buchstaben machen Musik. Diesen Zusammenhang knüpft ein französisches Video geradezu lehrbuchmäßig. Der Grafiker und Discjockey Arthur King Estienne führte 2002 die Techniken des Sampling vor. Tempo, Rhythmus, Klang, Tonhöhe kann man manipulieren, Fragmente lassen sich schneiden und neu zusammensetzen, das Ganze als Rap oder als Technosong ausgeben. Das Schöne daran: King zeigt das alles nur mit Buchstaben und einzelnen Wörtern, die vor einem schwarzen Hintergrund aufleuchten.
Wenn Buchstaben die Regie übernehmen
In Werbeclips und in kurzen, so genannten „Motion Graphics" stehen die Buchstaben im Dienst einer Botschaft. Die muss ankommen. Zum Beispiel, wenn die gewünschte Meinung der Kunden über eine Telefonbank typografisch wieder gegeben wird. Das ist so gekonnt gemacht, dass man sogar den Dialekt der Kundin in den Buchstaben zu erhaschen meint. Oder wenn der Clip einen Ratgeber für effizientes Arbeiten bewirbt und rein typografisch vermittelt, wie sehr der Liebe Gott bei der Erschaffung der Welt geschlampt hat: Er schob seinen Job trotz Kalender und mahnenden Post-it-Zettelchen auf die letzten fünf Minuten auf. Entsprechend schnell musste es dann gehen. Die Folgen sind bekannt.
Was hier immer noch einen bestehenden Text illustriert, weicht in Kurzfilmen und Musikvideos zuweilen Buchstaben, die eine Geschichte erzählen. Das Video zu Alex Gophers' Song „The Child" von 1999 macht die Geschichte im wörtlichen Sinn lesbar. Eine schwangere Frau fährt im Taxi durch die Stadt, um gerade noch rechtzeitig zur Geburt im Krankenhaus zu landen. Sie, ihr Mann, alles, was sie auf dem Weg dahin sieht, sind Wörter: das Taxi, die Ampeln, der kreuzende veryverylong Cadillac, die Straßen, die Häuser, die Fußgängerstreifen, einfach alles. Verwandt - und mit einem Oscar ausgezeichnet - ist der Kurzfilm „Logorama" von H5 mit seinen Mitgliedern François Alaux, Hervé de Crécy und Ludovic Houplain: Statt Worte setzt dieser Film Logos ein und inszeniert eine apokalyptische Verfolgungsjagd von zwei Michelin-Männchen, die den Verbrecher Ronald McDonald jagen.
Remix und Sampling
Vieles, was heute zirkuliert, hat Vorgänger. Inspiration finden Werber und Grafiker nicht zuletzt in den Titelsequenzen von Filmen, der Paradedisziplin für bewegte Schrift. Denn hier gilt es, Namen kund zu tun, die außerhalb der diegetischen Welt des Films stehen, und doch muss die Titelsequenz bereits in den Film führen. Immer ein Treffer: James Bond-Filme, in der Ausstellung mit „From Russia with Love" von 1963 und Robert Brownjohns Sequenz vertreten, bei der der Titel auf den Körper einer Tänzerin projiziert wird. Natürlich darf Saul Bass nicht fehlen, etwa mit dem Vorspann von Hitchcocks' „North by Northwest" von 1959. Die Namen integrieren sich in das Raster einer gezeichneten Hochhausfassade, die real wird, und am Schluss folgt die Kamera den Menschen, die aus dem Gebäude strömen. Ein Klassiker.
Was die bewegte Schrift im öffentlichen Raum bewirkt, wird in der Ausstellung nur summarisch behandelt. Eine Darstellung von Laufschriften und wie sie entstanden sind, sucht man ebenso vergebens wie Beispiele für Medienfassaden oder LED-Displays sowie die Diskussion darüber, was diese Medien in der Öffentlichkeit dürfen. Etwas getröstet durch den Hinweis auf Kunstprojekte - Jenny Holzer ist mit der Arbeit „For Novartis" von 2006/07 vertreten - verlässt man die Schau. Wer sich in der interaktiven Installation „Being not truthful works against me" von Stefan Sagmeister und Ralph Ammer verfangen hat, weiß zumindest, dass bewegte Buchstaben niemals unschuldig sind.
Bewegte Schrift
Vom 2. Februar bis 20. Mai 2011
Museum für Gestaltung Zürich
www.museum-gestaltung.ch