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Die Karre ist Wow!
von Tumminelli Paolo | 21.09.2009

Der Tag ist gekommen, der IAA-Besuch beginnt im bunten Petersdom, der in diesem Fall „Festhalle" heißt: Mercedes Benz stellt sich hier zur Schau. Nicht nur die Produkte, sondern die Pracht, die Historie und schließlich die Macht der Erfinder des Automobils werden zelebriert. Zuerst das Gerede einer jeden Pressekonferenz, dann in eben der Reihenfolge: heroische Musik, psychedelische Lichtspiele und betäubende Rauchwolken. Dann das Neue. Mit einem unüberhörbaren „Wow" grüßt der Vorstandvorsitzende die Auferstehung des heiligen Kindes.

Mercedes - Auf der Suche nach der verlorenen Design-Balance

Gar nicht so einfach, den legendären Flügeltürer 300 SL nachzuahmen. Die gewählte Farbe des neuen SLS AMG, eine Art Lambrusco-Rotmetallic, macht den Vergleich schwer - waren doch die Silberpfeile mehrheitlich Thyssen-Grau. Die Farbverwirrung muss ja absichtlich sein, denn eine logische Begründung für die sich nach oben öffnenden Türen ist heute nicht mehr gegeben. Dazu kommt natürlich, dass der Neuwagen viel größer ist und so weniger sportlich wirkt, also in jeder Hinsicht nicht attraktiver als das Original. Weniger schlüssig ist auch das Design: knapp und sanft das Heck, mollig und satt das Dach, breit und steinig die Front. Eine merkwürdige Gestalt, wie eine durchtrainierte Frau mit flachem Po und dickem Penis. Hier modisch, dort klassisch, hier heutig, dort gestrig. Mercedes-Benz sucht erkennbar weiter nach der verlorenen Designbalance.

Jaguar - Ein Koloss, wie aus Wachs geschnitten

Das Schicksal teilt man mit Jaguar. Der ebenfalls neugeborene XJ, lange erwartetes Erbe der wahrhaftig katzenartigen Limousine, scheint mit einer Axt aus einem Wachsblock geschnitten worden zu sein. Hier klobig (die unerhört hohe Seitenwand), dort kurvig (die geschmolzene Fensterlinie), hier majestätisch (der imposante Chromgrill), dort vulgär (die glänzenden Plastikgarnituren) - nichts stimmt wirklich an diesem Koloss, der zugleich Lexus, Quattroporte, Panamera und Phantom sein könnte. Heutig und gestrig auf einmal, das geht wirklich nicht.

Aston Martin, Bentley, Rolls Royce - Klassische Proportionen

Dann lieber ganz gestrig: wie Aston Martin Rapide (sehr sportlich), Bentley Mulsanne (sportlich-aufrecht), und Rolls Royce Ghost (sehr aufrecht sitzend). Alle interpretieren, durch ihre völlig unterschiedliche Persönlichkeit (stimmt doch nicht, dass alle Autos gleich aussehen!) die Quintessenz des britischen Upper-Class-Geschmacks. Klassische Proportionen und zeitlose Details, denen man eine Neigung zum dimensionalen Overstatement gerne verzeiht - weil es einfach dazu passt.

Ferrari - Rank und schlank nach erfolgreicher Diät

Oder lieber ganz heutig, wie der Ferrari 458 Italia. Ausgerechnet dieser sonst so protzigen Marke gelingt es plötzlich wieder, mit wenigen Pinselstrichen ein Meisterwerk zu schaffen. Nein, es geht hier nicht darum, zu entscheiden, ob eine Straßenrakete heute noch sozialverträglich sei, es geht um die Vorbildfunktion eines Designkonzeptes. Wie nach einer Slim-Fast-Kur ist der Supersportwagen gegenüber dem Vorgänger schlanker, reduzierter, stringenter geworden. Aus zwei markanten Lufteinlässen wurde ein simpler, horizontaler Grill. Von vier runden Rückleuchten sind nur zwei geblieben, von vier Auspuffrohren nur drei - warum auch immer, bei einem Achtzylinder. Und wo man glaubt, eine gestalterische Spielerei zu entdecken, täuscht man sich: Der Schlitz an den Scheinwerfern entpuppt sich als aerodynamisch optimaler, von einem unwiderstehlich zierlichen Metallnetz geschützter Lufteinlass. Jetzt gekonnt hinter dem Kotflügel integriert, verschwindet mit dem seitlichen Lufteinlass obendrein eine optische Speckrolle. Man sieht schlanke Muskel und fühlt sich in einer neuen Dimension ästhetischer Leichtigkeit.

Opel - Von kompakt kann keine Rede mehr sein

Noch folgt das Massendesign diesem Beispiel nicht. Nicht, dass der Opel Astra unschön wäre. Doch ist er so groß wie einstmals ein Opel Rekord, satte 22 Zentimeter länger als ein neuer Golf. Von Kompaktwagen kann also keine Rede mehr sein. Uns so ist es bei diesem Größenzuwachs kein Wunder, dass die Volumen dynamisch ineinander fließen, und keine Leistung, dass es überall mehr von allem gibt. Ob Body-Building-Design noch zeitgemäß ist, bleibt auch beim neunen Astra die Frage, ebenso, ob das vierte, unnötige Seitenfensterchen vorne und die Zig-Zag-Linie der Heckklappe, die konstruktiv, funktional und ästhetisch nicht komplizierter sein könnte, wirklich nötig sind. Schließlich kostet dieser unnötige Designaufwand Zeit, Material und Energie - und der Nutzer zahlt dafür. Der Astra ist einfach in schlechter Gesellschaft entstanden: Im heutigen Automobildesign korrespondiert die Form nicht mit dem Inhalt, und zumeist fehlt es beiden an Bedeutung. Alles ist auf Schein statt auf Sein ausgerichtet - wobei Schönsein eine nicht unerreichbare, goldene Mitte darstellt.

Saab - Kraftvolle ästhetische Ruhe

Ein Beispiel dafür ist der Saab 9-3. Zwar passt die konventionelle Stufenheck-Limousinenform so wenig zu Saab wie zu Porsche, trotzdem wirkt der Wagen (nicht zu groß, nicht zu klein, nicht unauffällig, nicht protzig) in seinem „Smooth Design" gleichzeitig so stringent wie manch ein Volkswagen und so vollendet wie manch ein Audi aus früheren Tagen. Eine kraftvolle ästhetische Ruhe, mit der man sich schnell anfreunden kann.

Die Freiheit des Hässlichen

Als Alternative gilt nur die wunderbare Freiheit des Hässlichen. So ist auf der Basis der Kombi-Version des Billigautos Dacia Logan, von Hymer-idc entworfen, ein intelligentes und lustiges Auto-Spielzeug entstanden: Ein faltbares Dachzelt transformiert das Wageninnere in einen mobilen Lebensraum. Keine Dynamik, kein Progress, keine Spielerei: Ein bisschen Ostblockdesign und ein bisschen IKEA stören nicht, schließlich ist das hier kein Concept-Car (die mittlerweile hauptsächlich langweilig wirken) sondern ein unprätentiöses und deswegen auf Anhieb sympathisches Produkt mit Ecken, Kanten und einem sehr attraktiven Listenpreis. An Dynamik fehlt es völlig, wozu auch? Schließlich reicht ein Panda, um Wüstenpisten zu erkunden. Erst mit der Vision eines Wohnraums auf Räder kann man endlich beginnen, das Automobil-Leben neu zu gestalten.

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