Der Pavillon Britanniens ist diesmal ein Kinosaal. Man muss sich anmelden, wenn man den Film „Giardini" von Steve McQueen sehen will, denn es passen nur etwa sechzig Zuschauer gleichzeitig in den mit Sitzstufen ausgestatteten Saal. Vierzig Minuten dauert der Film, bei dem zwei Bilder in extremem Querformat und brillanter Qualität nebeneinander projiziert werden. Nur auf den ersten Blick handelt es sich bei „Giardini" um eine weitere Nabelschau der Biennale. McQueen nutzt vielmehr den im Winter verlassenen und völlig menschenleeren Park mit all den verbarrikadierten Länderpavillons zu einer zuweilen recht meditativen Reflexion über den Zustand der Kunst. Nebel hängt in den kahlen Ästen, Februarregen treibt durch den Park. Die Fassade des Palazzo delle Esposizioni ist so weiß wie frisch gefallener Schnee, der Busch davor hat etwas von der Strenge japanischer Gärten. Menschenleer sind die Pfade. Windhunde, elegante Greyhounds, erkunden den Park, streifen umher, schnuppern hier und da an herumliegenden Abfällen. In ruhigen, melancholischen Bildfolgen verfolgt man, wie das Tageslicht in der grauen Dämmerung verlöscht und die Straßenlaternen aufflackern, wie sich der riesenhafte Bug eines Kreuzfahrtschiffs vor die Sonne schiebt, eine Wanze über ein Mooskissen kriecht oder eine rostrote Spinne auf Flechten sitzt, die wie kleine Inseln aus Grünspan leuchten. Oder es wandert eine alte Frau mit ihrem Einkaufstrolley durch die Gärten, wo sie jeden Tag die streunenden Katzen füttert. Zwei Männer treffen sich in der Nacht vor einem der Pavillons, ohne dass klar wird, ob es sich um eine homoerotische Liebesgeschichte inmitten dieser verlassenen kleinen Welt handelt, die aus nichts als leeren Fassaden und Einsamkeit zu bestehen scheint. Mit einem Mal wirken die venezianischen Giardini wie ein verwunschener Park; alles Touristische, aller Glamour ist verschwunden. Was bleibt, ist eine Welt voller Geheimnisse. Untermalt sind die ruhigen, langsam wechselnden Bilder von den Geräuschen des Parks, vom sonoren Tuckern von Schiffsmotoren und dem fernen schwebenden Klang des Glockengeläuts der vielen Kirchen der Serenissima. Nur manchmal schwillt der Lärm, der vom nahegelegenen Fußballstadion herüberweht, zu einem monumentalen vielstimmigen Chor an. Geduldig durchstreift der Blick der Kamera das verlassene Terrain der Kunst wie die Hunde den Park, stellt das große Ganze neben das mikroskopisch Kleine. Doch McQueens Film regt nicht nur dazu an, wieder und genauer hinzuschauen, die kleinen, unscheinbaren Dinge ebenso zu beachten und zu achten, wie das Spektakel der Kunst, das sich nun, im Sommer, draußen vor der Tür, zum 53. Mal abspielt. Der Film lässt sich auch als melancholisch-sentimentale Parabel auf die Kunst und den aktuellen Kunstbetrieb verstehen. Dann sind es andere Windhunde, die Händler und Geschäftemacher, die das Terrain sondieren, hier und da schnuppern und ihrer Duftmarken setzen. Doch so sehr sie sich auch mühen, das Spektakel hat Pause; die Paläste sind geschlossen, die Kunst ist abwesend. Es gibt nur Abfall - vom letzten Mal. Allein die Fassaden und leeren Gehäuse sind noch da. Welche Geschichten sich zwischen diesen Ruinen auf Zeit abspielen, ist eine andere Sache, eine Geschichte der Käfer und der Pflanzen, eine der Liebenden und der Fürsorglichen, die nichts mit Kunst zu tun haben. Man hört den Lärm der Welt - manchmal klingt das Fangeschrei wie wütender politischer Protest. Doch er bleibt fern. Er findet keine Entsprechung in diesem fernen, winterkalten Garten der Kunst.
53. Internationalen Kunstausstellung der Biennale Venedig
7. Juni - 22. November 2009
www.labiennale.org
Die Windhunde des Kunstbetriebs: Venezianische Streifzüge Folge 7
von Thomas Wagner | 11.08.2009
Bildauszug aus dem Film „Giardini" von Steve McQueen
Bildauszug aus dem Film „Giardini" von Steve McQueen
Steve McQueen