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Prof. Dr. Klaus Klemp

Haltung zur Haltbarkeit

"Dieter Rams. Ein Blick zurück und voraus" heißt die Ausstellung im museum angewandte kunst in Frankfurt am Main, die vor kurzem eröffnet hat. Anna Moldenhauer hat vorab mit dem Kurator Prof. Dr. Klaus Klemp über das Konzept, Dieter Rams Gestaltungshaltung und die Bedeutung des Teamworks gesprochen.
16.04.2021

Anna Moldenhauer: Herr Prof. Klemp, das Design von Dieter Rams hat Sie in Ihrer Laufbahn immer wieder begleitet, unter anderem für die Publikation "Less and More: The Design Ethos of Dieter Rams". Darüber hinaus sind Sie Vorstand der Dieter und Ingeborg Rams Stiftung und haben gemeinsam mit Studierenden der HfG Offenbach begonnen, das Werk von Rams wissenschaftlich aufzuarbeiten. Was fasziniert Sie an seiner Arbeit?

Prof. Klaus Klemp: Ausschlaggebend war die Ausstellung "Less and More" in Osaka, die ich vor 15 Jahren mit kuratieren durfte. Von da aus ergaben sich immer neue Projekte mit ihm. Ich habe natürlich zwischendurch auch andere Ausstellungen realisiert, aber die Braungeräte lösen bei mir schon eine große Faszination aus. In der Beschäftigung mit dem Design von Rams und seinem Team entdeckt man immer wieder etwas Neues, ebenso in der Unternehmensgeschichte von Braun. Über 40 Jahre ist da ein großer Kosmos entstanden und nach einer Phase unter Peter Schneider, in der man zeittypisch versucht hat mehr Emotionalität einfließen zu lassen, setzt der jetzige Designchef Oliver Grabes ganz bewusst wieder da an, wo Rams 1995 aufgehört hat.
Der Erfolg der aktuellen Appleprodukte, die vom Design der Braunprodukte inspiriert sind, hat glaube ich viel dazu beigetragen zu sagen "Wir haben eine Gestaltungshaltung entwickelt, die für andere heute ein Vorbild ist, die sollten wir auch selber wieder pflegen." Und das machen sie seit 10 Jahren. Auch wenn es heute viel komplizierter ist, weil Braun zu einem sehr großen Unternehmen, Procter & Gamble, gehört. In den 50iger Jahren war das Team von Braun übersichtlich, als GestalterIn hatte man direkten Kontakt zu den Söhnen des Firmengründers, Artur und Erwin Braun, die das Unternehmen führten und zu dem Kunsthistoriker Dr. Fritz Eichler, der viel dazu beigetragen hat einen kulturellen Background zu verankern.

Warum ist es gerade jetzt Zeit für eine Ausstellung der Arbeiten von Dieter Rams im museum angewandte kunst?

Prof. Klaus Klemp: Bei der Ausstellung geht es Dieter Rams weniger um ihn selbst, auch wenn es eine sehr personalisierte Schau ist. Es geht ihm um sein Anliegen im Design. Sie kennen ja seinen Kernsatz "Weniger, aber besser" und das ist heute mit Blick auf den Massenkonsum sehr aktuell. Auf der anderen Seite gibt es ebenso ein wachsendes Bewusstsein für Umwelt, für unsere Zukunft. Das ist ein ganz großes Thema auch bei jungen Leuten, was ich prima finde. Und darum geht es ihm: Ein Umdenken zu erreichen, weg vom ständigen Konsumieren und Wegwerfen. Stattdessen die Entscheidung für Design, was man lange "ertragen" kann, wie Adolf Loos das einmal formulierte. Unsere Ausstellung möchte diese Haltung zur Haltbarkeit vermitteln, wir zeigen Geräte, die 50, 60 Jahre alt sind und die man heute auch noch in sein Wohnzimmer stellen kann.

Produktpalette des Unternehmens Braun, ca. 1960

Nach welchen Kriterien wurden die Exponate ausgewählt?

Prof. Klaus Klemp: Nach der umfangreichen Ausstellung "Less and More" haben wir als Stiftung nun eine kleinere Schau konzipiert, die darauf ausgelegt ist an unterschiedliche Orte zu reisen, da wir regelmäßig Anfragen von internationalen Institutionen bekommen, die das Werk von Dieter Rams zeigen wollen. Wir stellen so nur circa 30 Objekte, aber gut 100 Fotografien und Texttafeln aus. Dieter Rams hat sich gewünscht, dass diese Reiseausstellung im museum angewandte kunst in Frankfurt am Main beginnt, da er das Museum sehr schätzt.

Gab es neben der Reisetauglichkeit noch einen Punkt, der Ihnen in der Kuration von Bedeutung war?

Prof. Klaus Klemp: Ich habe voriges Jahr gemeinsam mit Dieter Rams ein Werkverzeichnis erstellt, welches chronologisch angelegt ist. Da sind auch alle Arbeiten enthalten, die er abseits von Braun für weitere Unternehmen realisiert hat, wie für Vitsoe oder FSB. An dieser Chronologie sieht man, dass sein Werk über das für Braun hinausreichte. Er hat immer parallel an weiteren Projekten gearbeitet, unter anderem im Möbelbereich. Dieses Verzeichnis war somit auch Grundlage für die jetzige Ausstellung.

Sprich, man bekommt einen tieferen Einblick in sein Gesamtwerk?

Prof. Klaus Klemp: Ja, genau. Sein Regal 606 von 1960 wird beispielsweise immer noch weltweit mit großem Erfolg verkauft. Wenn man es einmal hat, hält es ewig, auch weil es visuell so zurückhaltend ist. Es hat etwas Skulpturales. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass Rams ein großes Gespür für Proportionen hat.

Haben Sie die Exponate im Dialog mit ihm ausgewählt?

Prof. Klaus Klemp: Die Zusammenarbeit für das Werkverzeichnis ging eigentlich nahtlos in die Vorbereitung der Ausstellung über. Wir haben die Arbeiten zusammen ausgesucht und da gab es durchaus manch intensive Diskussion, aber am Ende konnten wir uns immer auf einen gemeinsamen Nenner einigen.

Dieter Rams präsentiert nach einem Vortrag in Stockholm seinen Heizlüfter H1, 1959

Braun legt in der letzten Zeit Neuauflagen der Produktklassiker vor, wie zusammen mit Off White, die den ursprünglich weißen Wecker "AB1" in knalliges Orange und helles Blau getaucht haben. Virgil Abloh verpasste der "HiFi-Wandanlage" kürzlich ein metallisches Finish. Ist das Ihrer Meinung nach Hommage oder Verunstaltung?

Prof. Klaus Klemp: Braun versucht über diese Kooperationen jüngere Leute zu erreichen, die nicht mit den typischen Braunklassikern großgeworden sind. Meiner Meinung nach wäre die Verchromung der "HiFi-Wandanlage" allerdings nicht unbedingt notwendig gewesen. Chrom hat sowieso für Braun eine Rolle gespielt, wie bei dem Toaster "HT 2" von Reinhold Weiss oder dem Tischfeuerzeug "T 2" von Dieter Rams. Aber nun, warum nicht.

"Gutes Design ist umweltfreundlich", ist eine der 10 Thesen von Rams, die er vor über 40 Jahren formulierte. Der Ruf für nachhaltiges Design scheint aber erst jetzt wirklich Gehör zu finden. Woran würden Sie sagen liegt das?

Prof. Klaus Klemp: Wenn die Dinge wirklich nachhaltig sind, die aktuell als "nachhaltig" beworben werden, ist das gut. Da es aber gerade kaum noch ein Produkt gibt, das nicht das Label "nachhaltig" trägt, ist wohl auch viel Greenwashing dabei. Schon an der bedeutenden Hochschule für Gestaltung in Ulm gab es Überlegungen, Objekte zu entwerfen die lange haltbar und umweltfreundlich sind. Als diese 1968 aufgelöst wurde, fasste in der Nachfolge das "Institut für Umweltplanung", den Begriff noch weiter. Dass Rams diese Ansätze in den Achtziger Jahren aufgegriffen hat, war außergewöhnlich, denn diese Dekade war im Plastikzeitalter ein Höhepunkt. Das Team hat untersucht, wie der Kunststoff länger haltbar gemacht werden kann, ohne das er vergilbt oder porös wird. Und wie man ein Design bieten kann, das visuell auch über viele Jahre ertragbar ist. Eine Kaffeemaschine mit Blümchen ist beispielsweise eine Weile ganz witzig, aber man hat sich meist schnell sattgesehen. Die "KF 40" von dem Braundesigner Hartwig Kahlcke hingegen wird heute immer noch verkauft. Das ist im Prinzip auch das Plädoyer der Ausstellung – Weniger, aber besser. Design das in jeder Hinsicht lange Bestand hat, auch visuell.

Ist das Miteinbeziehen der menschlichen Bedürfnisse an Design für Sie ein Faktor, der die Entwürfe von Dieter Rams so erfolgreich macht?

Prof. Klaus Klemp: Sicher. Er hat immer gesagt, er will niemanden etwas aufdrängen. Dieter Rams geht es nicht darum, sich mit besonders exaltierten Formen in den Vordergrund zu spielen. Sein Design soll relativ dezent im Hintergrund stehen, obwohl viele Produkte das Zeug zum Vordergrund durchaus haben, da sie einfach eine besondere Ästhetik zeigen. In den 60iger Jahren gab es eine starke Kritik am Funktionalismus, sowohl in der Architektur als auch im Design, man empfand den Fokus auf die Funktion als "emotionslos". Diese Bewegung war durchaus wichtig und hat zu postmodernen Alternativen geführt, aber auf die Produkte von Braun traf die Kritik eigentlich nicht zu. Der Mensch kann auch zu einer Braun Kaffeemaschine eine emotionale Beziehung entwickeln. Es ist nur eine andere als zu einem Teddybären. (lacht)

Weltempfänger "T 1000" von Dieter Rams
Radio-Phono-Kombination "SK 4" von Dieter Rams und Hans Gugelot

Wissen Sie wie Dieter Rams die aktuelle Diskussion um nachhaltiges Design bewertet?

Prof. Klaus Klemp: Es ist ihm zu wenig Diskussion, auch wenn er diese an sich tendenziell gut findet. Mit unserer Ausstellung können wir auch nur einen kleinen Beitrag leisten. Aber ich bin überzeugt davon, dass es keinen anderen Weg mehr geben wird, sei es mit Blick auf den aktuellen Klimawandel oder den steigenden Ressourcenverbrauch. Da muss sich etwas verändern.

Um Dieter Rams hat sich in den letzten Jahrzehnten ein Personenkult entwickelt, auch wenn er stets betont hat, dass er Teil eines Teams bei Braun war. Inwiefern ist das Team für die Ausstellung von Bedeutung?

Prof. Dr. Klaus Klemp: Die Teamarbeit war ein Vorteil, denn so konnte die gemeinsame Linie über lange Zeit fortgeführt werden, da immer neue Einflüsse dazukamen. 1972 hat Florian Seiffert beispielsweise die Kaffeemaschine "KF 20" in plakativen Farben und mit großen Radien gestaltet. Das war eine neue Ausrichtung, aber sie war im Rahmen des Ganzen, entsprach immer noch der gemeinsamen Grundhaltung. Im Team wurde ständig diskutiert und Rams hat viel dafür getan, dass die Gestaltung zwar eine relativ große Breite hatte, aber der Konsens gleichblieb. So hätten die Produkte von Braun alle ohne Logo bleiben können, es gab nie zu viele visuelle Störfaktoren. Dieter Rams hat die Logos auf den Geräten auch immer möglichst klein gehalten. Es ging nicht nur um den Erfolg der Einzelentwürfe, sondern auch darum, das corporate design aufrecht erhalten zu können. Das hat dank der Teamarbeit sehr gut funktioniert und war und ist für alle Designprozesse bei Braun extrem wichtig.

Greifen Sie das Team von Braun auch in der Ausstellung auf?

Prof. Klaus Klemp: Ja, es gibt neben den Produkttafeln auch sogenannte Themeninseln, und eine ist dem Braun-Designteam und ihrer gemeinsamen Arbeit gewidmet.

Dieter Rams in seiner ersten Dachgeschosswohnung in Frankfurt, ca. 1960

Gibt es bei Braun oder Vitsœ noch Entwürfe von Dieter Rams, die in Schubladen schlummern und eines Tages produziert werden könnten?

Prof. Klaus Klemp: Wir zeigen tatsächlich ein paar Modelle in der Ausstellung, die nicht realisiert worden sind. Braun hat uns von Beginn an mit Leihgaben sehr stark unterstützt, sei es für die Schau in Osaka oder für den Stilraum im museum angewandte kunst. Die Sammlung von Braun ist sehr umfangreich, was vor allem Horst Kaupp zu verdanken ist. Dieser war für Braun im Messe- und Ausstellungsbau tätig und hat nach den Fachmessen die gezeigten Produkte in seinem Lager in Offenbach gesammelt, anstatt sie wie damals üblich nach Messeende zu verramschen. Seiner Initiative gegenüber dem Vorstand von Braun zur Bewahrung der Produkte liegt die heutige "BraunSammlung" zugrunde, die seit 2005 am Firmensitz von Braun in Kronberg ihren Platz hat. Dieter Rams hatte sich zudem gewünscht, dass Braun dem Museum auch die Produktmodelle überlässt und das haben sie auch getan. Ich konnte während meiner Lehrtätigkeit an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach mit den Studentinnen und Studenten nur zu einem kleinen Teil diesen großen Fundus an Ideen rekonstruieren und zuordnen, da steckt noch viel Arbeit drin. Aber wenn Sie fragen, ob es noch Entwürfe in der Schublade gibt, die man produzieren könnte, dann würde ich sagen Nein. Die Technik wie die Bedürfnisse haben sich gewandelt. Wenn das Werk einmal aufgearbeitet ist, kann man aber sicher noch eine interessante Ausstellung dazu zeigen.

Das sehe ich auch so, schließlich inspiriert das Design bis heute Kreative – und Apple hat auch wirtschaftlich maßgeblich von diesem Denkanstoß profitiert.

Prof. Klaus Klemp: Stimmt, ich fand es allerdings sehr fair von Sir Jony Ive, damals Apples Chief Design Officer, dass er immer offen gesagt hat, dass ihm die Designs von Braun zur Inspiration dienten. Steve Jobs hatte auch eine große Sammlung Braunprodukte. Oft wurde behauptet, Apple hätte das Design kopiert, das wäre aber schon aufgrund der weiterentwickelten Technik gar nicht möglich gewesen. Was Ive verstanden hat, ist die Gestaltungshaltung von Dieter Rams und dem Designteam von Braun. Er hat es geschafft, diesen Ansatz in die Gegenwart zu übertragen. Als Apple 2007 das erste Smartphone vorstellte, war die dazugehörige digitale Taschenrechner App fast identisch mit der Oberfläche des "ET 66", den Dieter Rams und Dietrich Lubs 1987 entworfen hatten. Sir Jony Ive hat Rams ein Exemplar des Smartphones geschickt und sich in einem Brief bedankt, dass er so viel von seiner Gestaltung lernen konnte. Dass sein Design Apple als Inspiration diente, hat Dieter Rams immer als Hommage gesehen.

HiFi Anlage von Dieter Rams, 1965

Bis zu Ihrer Pensionierung Ende letzten Jahres haben Sie viele Jahre an diversen Hochschulen Designgeschichte und -theorie sowie Public Design unterrichtet. Mit Blick auf das Werk von Dieter Rams – was war Ihnen in dieser Zeit wichtig der jungen Generation von GestalterInnen zu vermitteln?

Prof. Klaus Klemp: Zu Beginn hat es mich überrascht, dass sich die StudentInnen für die Arbeit von Dieter Rams interessiert haben. Da hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden – in den Neunziger Jahren spielte eher noch die Postmoderne eine Rolle und Do-it-Yourself-Ansätze. Heute zählen wieder Rationalität, Nachhaltigkeit und Langlebigkeit. Zudem haben viele StudentInnen verstanden, dass sie teamfähig sein müssen, um erfolgreich zu sein. Design ist immer Teamarbeit.

Stimmt, das Team hinter den großen Namen findet seit einer Weile im Design mehr Beachtung. Auch aktuelle Gestalter wie Stefan Diez oder Konstantin Grcic zeigen diese Teamarbeit ganz selbstverständlich in der Kommunikation auf, was ich sehr sympathisch finde.

Prof. Klaus Klemp: Ja, die beiden vermitteln den Teamgedanken im Design sehr gut. Auch dass Stefan Diez den Ansatz von Dieter Rams aufgegriffen hat und seine Thesen mit dem Fokus auf nachhaltiges Design weiterentwickelt hat, war richtig so. Dieter Rams hat immer gesagt, die 10 Thesen sind nicht in Stein gemeißelt. Trotzdem sind sie bis heute eine sehr positive Anregung, auch für den Austausch mit der jüngeren Generation.

Gibt es ein Projekt, an dem Sie und Dieter Rams in den nächsten Jahren verstärkt arbeiten möchten?

Prof. Klaus Klemp: Ja, das ist der Aufbau des Dieter Rams Archivs in Kooperation mit dem museum angewandete kunst. Dieses soll später einmal öffentlich zugänglich sein und mit authentischem Quellenmaterial zur Recherche dienen, auch digital.

Dieter Rams. Ein Blick zurück und voraus
16. April bis 8. August 2021

museum angewandte kunst
Schaumainkai 17
60594 Frankfurt am Main

Dieter Rams’ 10 Principles of Good Design