Drei Fragen an Jorinde Voigt
Anna Moldenhauer: Das Gesamtkunstwerk "Gefaltete Zeit" besteht aus einer Wandarbeit, einer Skulptur sowie passenden Möbeln. Wie sind Sie in das Projekt gestartet?
Jorinde Voigt: Ich habe mich hauptsächlich mit philosophischen Themen beschäftigt und diese mit der Hand gezeichnet – Algorithmen, Strukturen und Rotationsformen. Erkundet, wie man über Dinge sprechen kann, die man nicht sieht. Dass ich den Auftrag hatte, einen Raum in ein begehbares Bild zu verwandeln, war für mich ein großes Glück, da ich diesen als Wunschtraum bereits in mir hatte. Die Herangehensweise war dabei ähnlich wie zu meiner Arbeit generell, die Basis ist der Ort an sich. In Frankfurt an Main, der Stadt, aus der ich selbst stamme, in den oberen Stockwerken eines Hochhauses nah am Himmel, in einem Empfangsraum, der eine soziale Funktion hat. Das Briefing sah zudem eine Barista Bar und einen Tresen vor sowie Sitzmöglichkeiten, daher fließen unterschiedliche Themen ineinander. Die Wandzeichnung habe ich mit Ölkreide realisiert und mich dafür von dem Studium der Wasser- und Himmelsbewegungen leiten lassen. Die Linien fließen in dieser frei in Formen. Die Stellen, an denen sie sich als Nut zusammenschließen, sind mit 24 Karat Blattgold versehen. Die Farben, für die ich mich entschieden habe, sind alle dem Himmel und Main entnommen. Sie bilden ein Hybrid. Es ist keine Illustration, sondern ein Extrakt aus dem Gesamteindruck. Der dynamisch gebogene Edelstahlspiegel für die Verkleidung der Theke basiert ebenso auf einer handgezeichneten Linie. Gefertigt hat ihn das Frankfurter Unternehmen Arnold, die unter anderem für Jeff Koons arbeiten.
Die Radien der gepolsterten Skulptur, der "soft sculpture", auf der wir sitzen, habe ich nach dem Fibonacci-Prinzip ermittelt, eine unendliche Folge von Zahlen, bei der sich die jeweils folgende Zahl durch die Addition ihrer beiden vorherigen ergibt. Eine Art Urprinzip für alles Lebendige, für Wachstum, das darauf verweist, das es alles, was wir sehen, nur einmal gibt. Realisiert wurde sie gemeinsam mit dem Architekten Michael Bayer und einem Möbelbauer. Die Sitze sind modular, sprich man kann sie in zahlreichen Formationen zusammenstellen und auf die lebendige Situation in der Lobby reagieren. In der Kunst ist die Skulptur etwas Erhabenes, Unantastbares. Ich möchte hingegen eine Interaktion mit ihnen anregen und aus dieser Überlegung kam das Sofaelement zustande. Die hängende Skulptur besteht indes aus vier Formen, die miteinander verbunden sind, Loops bilden und in das Rosa des Abendhimmels getaucht sind. Mittels der Beleuchtung erhalten sie an den Bodenkanten eine Art Goldschimmer, wie man ihn bei einem Sonnenuntergang am Horizont beobachten kann. Die Form kommuniziert mit uns auf einer intuitiven Ebene, so wie wir im Grunde mit unserem Körper den Raum lesen, anstatt nur rein intellektuell. Die weiche Linie setzt sich im rosa Quarzit fort. Die Gewerke, wie der Steinmetz, hatten die kompliziertesten Aufgaben in diesem Projekt. Selbst die Wellen in den Edelstahlflächen folgen keinem gewöhnlichen Radius, sondern wurden extra angefertigt. Jeder Bestandteil des Ganzen ist ein Unikat, was ich großartig finde. Anderthalb Jahre haben wir an diesem Raum bis zur Fertigstellung gearbeitet, allein daran sieht man wieviel Herzblut in das Projekt geflossen ist.
Warum war Ihnen die Dynamik in den Formen wichtig?
Jorinde Voigt: Es gibt eine interessante Abhandlung des französischen Philosophen Gilles Deleuze über die Falte: Die Informationen, die auf einer Geraden weit voneinander entfernt sind, sind plötzlich benachbart, wenn man diese in eine Falte legt. Diese Idee hat mich besonders im Lockdown der Corona-Pandemie beschäftigt, da es ein Moment des Wartens war, in der die Energie nicht wie sonst geradeaus ging, sondern sich sammelte. Die Falte ist in dem Sinne eine Art des Speichermediums, die viele Informationen gleichzeitig an einer Stelle verdichtet. Dieses Bild habe ich in den Raum übersetzt und damit dessen Grenzen hinterfragt. Welche Wirkung haben die Formen auf die Interaktion, wenn die Linien nicht gerade sind, sondern weich, offen und von jedem Standpunkt anders wirken? Dieser Aspekt wiederholt sich im Spiegelbild, das sich mit uns stets mitbewegt. Ich finde darüber hinaus die unterschiedlichen Materialität spannend. Das Ziel war eine immersive Erfahrung von Körper, Raum und Zeit zu entwerfen.
Gab es eine Herausforderung, mit der Sie nicht gerechnet hätten?
Jorinde Voigt: Für die Skulpturen waren juristische Vorgaben über Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Dafür musste die Form bis auf den Millimeter diesen angepasst werden. Ich habe mir dazu die Unterstützung eines Architekten geholt und viele, viele Zeichnungen angefertigt. Im Endeffekt war auch das ein spannender Prozess.

