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Peter Cachola Schmal

Drei Fragen an Peter Cachola Schmal

Peter Cachola Schmal ist leitender Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt am Main. Welchen Eindruck die 17. Architekturbiennale in Venedig bei ihm hinterlassen hat, die unter dem Motto "How will we live together?" vor kurzem eröffnet wurde und vor welchen Aufgaben die ArchitektInnen zukünftig stehen werden, sagt er uns im Interview.
26.05.2021

Anna Moldenhauer: Utopie oder Dystopie – was ist Ihr Eindruck, wie wir laut den Beiträgen der Architekturbiennale 2021 in Zukunft zusammenleben werden?

Peter Cachola Schmal: Gemischte Resonanz. Es überwiegt noch die Dystopie, und darunter verstehe ich auch sehr ernsthafte Untersuchungen im Auftrag der European Space Agency an SOM Architekten über die Errichtung und den Betrieb einer Mondbasis. Realistisch, aber natürlich grausam. Einiges esotherisches, manches fantasievolles, und vieles allzu verkopftes und textlich verquastes kam besonders aus den amerikanischen Eliteuniversitäten. Dieser Teil im Biennale-Pavillon Giardini war schon schwer durchzustehen. Schön und sehr sinnlich, wohlduftend ist der Ring aus hohen Baumstämmen von Elemental Architects am Arsenale Wasserbecken, der als Begegnungsstätte für die Chilenen und die Indigenen Völker ihrer Region dienen soll und auf früheren Beispielen basiert.

Welcher Beitrag ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Peter Cachola Schmal: Architektonisch wurde recht wenig geboten, was wohl am Thema und am Kurator lag. Eine große Entdeckung für viele könnte die libanesisch-französische Architektin Lina Ghotmeh sein und ihr brutalistischer Wohnturm im Hafen von Beirut, dessen Inneneinrichtung kurz nach Fertigstellung von der berüchtigten Explosion zerstört wurde. Was dem skulpturalen Bauwerk nichts ausmachte. Gefallen hat mir auch der russische Pavillon in den Giardini, den der frühere OMA-Partner Ippolito Pestellini Laparelli auf eine Weise renoviert hatte, die befreiend wirkt. Beim früher oft düster wirkende Bau wurden die ursprünglichen räumlichen Bezüge zu den Nachbarn, zur Lagune und zur umgebenden Natur wieder aufgenommen. Fenster und Türen wurden verglast und durchlässig für Blicke sowie das Licht. Diese sollen schon vorher existent gewesen sein, waren aber viele Jahre verdeckt. Der Keller wurde zum Ausstellungsraum hinzuaddiert und insgesamt ist ein wahres Meisterwerk des Architekten Alexey Shusev von 1914 wieder zum Vorschein gekommen.

Die Beiträge reichen über das Thema Architektur hinaus und hinterfragen auch kritisch unsere Entwicklung als Gesellschaft – wie im Rahmen des deutschen Beitrags als Rückblick aus dem Jahr 2038. Welche Aufgabe kommt Ihrer Meinung nach in dieser Umschwungphase auf die ArchitektInnen zu?

Peter Cachola Schmal: Der deutsche Beitrag hat in seiner radikalen Zurückweisung der physischen Ausstellung (durch das Aufdrucken von QR-Codes an den Wänden im leeren Pavillon) nicht nur Sympathien erzeugt. Die internationale Presse war relativ beleidigt. Die Aufregung über diese Geste hat natürlich den Blick auf das filmische Werk und auf die grundsätzlich optimistische Haltung hinter dem Projekt 2038 verstellt. Was ja auch der Grund für uns als Jury gewesen ist, diesen Beitrag auszuwählen. Wir möchten natürlich gerne hören, wie es in der Zukunft noch einmal gut gegangen ist, und wie wir alle die Welt von morgen gerettet haben. Wenn diese Corona-Pandemie endlich vorüber gewesen sein wird, werden drängende Probleme deutlicher werden, wie der Klimawandel und die notwendige Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Das ist die große Aufgabe für unsere Branche, die mit dem Bauen einen großen Beitrag zum hohen CO2 Verbrauch leistet. Wer erfindet Ersatzstoffe für den energieintensiven Zement, neue Konstruktionsmethoden und -materialien, Wege der städtebaulichen Verdichtung und für bezahlbaren Wohnraum, ohne in große Konflikte mit dem Erhalt der Natur zu geraten? Wer nimmt den Umbau unserer Städte, unserer Energie, unserer Mobilität, unseres Verhaltens in Angriff? Während die Weltbevölkerung weiter wächst – denn alle die, die heute unter 18 Jahre alt sind, werden eine gebaute Umwelt zum Wohnen und Arbeiten benötigen. Es sind etwa drei Milliarden, so viele, wie auf der Erde insgesamt im Jahre 1960 lebten. All das, was die Menschen damals an Infrastruktur zur Verfügung hatten wird zusätzlich gebraucht! Das ist unvorstellbar viel Arbeit für ArchitektInnen und IngenieurInnen – und bedeutet nicht Schrumpfung, sondern enormes Wachstum für die Zukunft!