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Peter Behrens, Ende der 1920er Jahre

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Der Wegbereiter

von Fabian Peters | 11.10.2016

Ohne Peter Behrens sähe die Architektur- und Designgeschichte des 20. Jahrhunderts gewiss anders aus. In den Jahren vor dem ersten Weltkrieg war seine Stellung als einer der führenden Architekten im Deutschen Reich unbestritten. Bei ihm heuerte der junge Walter Gropius an, nachdem er sein Architekturstudium geschmissen hatte. Den ersten größeren Auftrag als selbstständiger Architekt – die Fassadengestaltung des Fagus-Werkes in Alfeld an der Leine – konnte Gropius einige Jahre später nur ergattern, weil sein Auftraggeber die fortschrittlichen Fabrikbauten Behrens’ für die AEG kannte und schätzte. Und sein Entwurf für das Fagus-Werk, heute UNESCO-Weltkulturerbe, lässt dann auch noch deutlich die Handschrift des Lehrmeisters erkennen. Auch Ludwig Mies van der Rohe arbeitete mehrere Jahre im Büro von Behrens, bevor er unter eigenem Namen Villen für das progressive Bürgertum in und um Berlin errichtete. Und selbst Le Corbusier, damals noch Charles-Édouard Jeanneret, ein unbekannter angehender Architekt aus dem Schweizer Jura, war einige Monate Praktikant bei dem berühmten deutschen Baumeister – auch wenn er von diesem Aufenthalt nicht die besten Erinnerungen davontrug.

In den letzten Monaten sind nun drei neue Bücher erschienen, die sich mit Peter Behrens und seinem Werk beschäftigen. Während seiner knapp 40 Jahre andauernden Tätigkeit als Architekt und Gestalter verfasste Behrens eine Vielzahl von Aufsätzen und Reden. Mehr als 100 von ihnen haben Hartmut Frank, emeritierter Professor für Architektur an der FH Hamburg, und die Kunsthistorikerin Karin Lelonek in dem umfangreichen Band „Peter Behrens – Zeitloses und Zeitbewegtes“ herausgegeben. Die Texte sind dabei ein Spiegelbild der Kunst- und Kulturgeschichte ihrer Zeit: Erste Aufsätze, die Behrens als Mitglied der Darmstädter Künstlerkolonie zur Jahrhundertwende verfasste, proklamieren in einem heute manchmal schwer erträglichen, schwärmerisch-pathetischen Ton ein neues Leben im Zeichen von Kunst und Schönheit. In den Jahren während und nach seiner Tätigkeit als künstlerischer Berater der AEG wird sodann der Industriebau und die Vereinbarkeit von technischer Funktion und Ästhetik zu einem seiner zentralen Themen. Und schließlich – auch das ist Teil von Behrens’ Biografie – verrät der letzte wiedergegebene Artikel aus dem Jahr 1938, zwei Jahre vor seinem Tod verfasst, dass sich der Künstler auch mit den braunen Machthabern und ihrer Weltsicht zu arrangieren suchte.

Als Behrens 1907 von der AEG nach Berlin gerufen wurde, gab er seine Stellung als Direktor der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule auf und eröffnete ein Atelier in Neubabelsberg bei Potsdam. Dessen Leiter wurde kurz danach Jean Krämer, der zuvor Student an seiner Düsseldorfer Lehranstalt war. Krämer blieb in dieser Stellung bis in das Jahr 1918. Danach arbeitete er als freier Architekt in Berlin. Er starb 1943. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierten seine Frau und seine kleine Tochter nach Australien. Im Jahr 2011 wandte sich diese Tochter an Stanford Anderson vom Bostoner MIT und machte ihm das Archiv Jean Krämers zugänglich. Nun ist eine Monografie des Architekten erschienen, die Anderson gemeinsam mit den deutschen Architekturhistorikern Karen Grunow und Carsten Krohn verfasst hat. Da das Buch auch ausgiebig Krämers Zeit als Behrens’ Mitarbeiter behandelt, trägt es zurecht den Zusatz „und das Atelier von Peter Behrens“.

Behrens war nicht nur eine entscheidende Größe in der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Mindestens ebenso bedeutend ist seine Stellung als Produktgestalter für die Industrie. Es gibt gute Gründe, ihn als ersten deutschen Industriedesigner zu bezeichnen. In seiner Tätigkeit für die AEG entwarf er neben Industriebauten eine breite Palette elektrischer Geräte, Druckerzeugnisse und nicht zuletzt das Firmenlogo des Konzerns. Das von Behrens und der AEG entwickelte Konzept eines allumfassenden „corporate designs“ blieb nicht ohne Nachfolge, wie der Band „Karl Mey und Wilhelm Wagenfeld. Industrie-und Designstrategie 1935 bis 1939“ zeigt. Mey, ein ehemaliger AEG-Direktor, engagierte Mitte der 1930er Jahre den Bauhaus-Künstler Wilhelm Wagenfeld als künstlerischen Berater für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke. Er hoffte, die Erfolgsgeschichte von Peter Behrens und der AEG wiederholen zu können. Ausführlich beschreibt der Autor Walter Scheiffele sowohl Behrens’ als auch Wagenfelds Tätigkeit als Industriegestalter und beleuchtet damit wichtige Kapitel in der Entwicklung des Produktdesigns in Deutschland.

Hartmut Frank und Karin Lelonek (Hg.)
Peter Behrens – Zeitloses und Zeitbewegtes

1152 S., geb., Text deutsch
Dölling und Galitz Verlag, München/Hamburg, 2015
ISBN 978-3-86218-032-5
79,00 Euro

Stanford Anderson, Karen Grunow und Carsten Krohn
Jean Krämer – Architekt und das Atelier von Peter Behrens

240 S., geb., Text deutsch und englisch
Weimarer Verlagsgesellschaft, Wiesbaden, 2015
ISBN 978-3-7374-0226-2
58,00 Euro

Walter Scheiffele
Karl Mey und Wilhelm Wagenfeld

Industrie- und Designstrategie 1935 bis 1939
124 S., br., Text deutsch
form + zweck Verlag, Berlin, 2016
ISBN 978-3-935053-92-1
18,00 Euro