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Josef Frank, Teheran, 1943–1945.

Lesen bildet 08
Muster und Moderne

Einem dicken Katalog des MAK Wien gelingt es, das Schaffen des Wiener Architekten Josef Frank facettenreich in den Kontext seiner Zeit einzuordnen.
von Florian Heilmeyer | 11.10.2016

„Against Design“. Ein seltsamer Titel für eine Ausstellung und ein Buch zum Wiener Architekten Josef Frank. Der etwas gestelzte Untertitel „Das anti-formalistische Werk des Architekten“ macht es zwar nicht viel besser, deutet aber in die eigentlich gemeinte Richtung. Gleich in ihrem einleitenden Essay diskutieren die beiden Kuratoren Sebastian Hackenschmidt und Hermann Czech diesen Titel ausführlich mit sich selbst: Denn natürlich sei Frank nicht gegen Gestaltung gewesen, vielmehr ginge es darum, Frank als einen der großen Widersprecher der frühen Moderne und ihrer Anfang des 20. Jahrhunderts immer stärker hervortretenden Dogmen zu porträtieren: Josef Frank „sprach sich gegen Gesamtkunstwerk-Inszenierungen, Standard-Garnituren und die Suche nach innovativen Formen um ihrer selbst Willen aus: […] Zeit seines Lebens blieb er ein Kritiker sowohl des Funktionalismus als auch des Formalismus und war stattdessen von einer klassischen Tradition überzeugt, die stets den Hintergrund seiner Neuformulierungen darstellte.“ Nun könnte man ausführlich diskutieren, warum Czech und Hackenschmidt den Begriff „Design“ offenbar nicht als Synonym für Gestaltung im Allgemeinen (und vor allem: für gute und schlechte Gestaltung) verstehen, sondern ihn mit modischen Mehrheitstrends gleichsetzen. Aber das wäre eine andere Diskussion und würde nur von diesem umfangreichen, großartigen Buch ablenken.

Josef Frank, Sofa, Stoffbezug Celotocaulis, 1940er Jahre.

Zweifelsfrei war Josef Frank (1885 bis 1967) ein Anti-Formalist, der sich mit seinen eigensinnig zwischen Moderne und Tradition balancierenden Gebäuden, Interieurs, Möbeln, Gebrauchsgegenständen und Stoffen mehr als fünf Jahrzehnte lang als einer der wichtigsten Protagonisten der Moderne und gleichzeitig als deren schärfster Kritiker positionierte. Er bestand auf der Freiheit, sich sämtlicher Spiel- und Stilarten bedienen zu dürfen, je nach Aufgabe – eine Freiheit, die er durch die zunehmend verbissenen Grabenkämpfe einer immer dogmatischeren und dadurch stilistisch beengten Moderne unnötig beschnitten fand.

So blieben seine Arbeiten nach allen Richtungen hin offen und von bemerkenswerter Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit. Architektonisch widmete er sich speziell dem Wohnen, von privaten Bürgervillen bis zum sozialen Wohnungsbau, und viele seiner Gebäude lassen sich ob ihrer Eigenwilligkeiten der jeweiligen Entstehungszeit nur schwer zuordnen. Sie wirken collagiert, eher wie Um- oder Anbauten.

Eine halbe Generation jünger als Josef Hoffmann und Adolf Loos musste sich Frank nicht mehr zwischen diesen beiden Antipoden entscheiden, sondern konnte eine eigene Synthese aus den beiden Positionen entwickeln. Er verband traditionelle und moderne Formen, neueste Technik und lieb gewonnene Gewohnheiten. Nur der scharfe Schnitt, den seine Biografie durch die Emigration nach Schweden 1933 erlebte, verhinderte leider, dass er noch wesentlich dieser ambivalenten Gebäude realisieren konnte, die zwar detailgenau bis zu den Handgriffen und Teppichen ausformuliert wurden, im Gegensatz zur Idee eines Gesamtkunstwerks aber immer auf die Bewohner ausgerichteten und nicht „fertig“ gestaltet waren. Nach 1933 konzentrierte er sich als Chefdesigner bei Svenskt Tenn vor allem auf Stoffe, Möbel und Inneneinrichtungen. Auch das ist ein Grund für die immense Vielfalt seines Werks.

Josef Frank, Haus Beer, Wenzgasse, Wien, 1929–1931.

Von allen diesen Lebensstationen erzählt der Katalog in 15 überwiegend klugen, detailreichen Essays. Caterina Cardamone legt dar, wie sich Josef Frank nicht nur in seiner Dissertation mit Leon Battista Alberti beschäftigte, sondern wie diese Auseinandersetzung auch später immer wieder in Franks Arbeiten und Gedankenwelt auftaucht. Ursula Prokop widmet sich ganz der jüdischen Abstammung von Frank und seinem Kollegenkreis (und der Unmöglichkeit, dieser Identität im Österreich der 1920er- und 1930-Jahre zu entkommen), während Elena Shapira die Bauherrenfamilien beleuchtet, für die Frank entwarf, unter ihnen viele assimilierte jüdische Familien des Mittelstands. Überzeugend argumentiert sie, dass Franks kultivierte, salonhafte Inneneinrichtungen das gestiegene gesellschaftliche Selbstbewusstsein dieser Familien gleichzeitig ausdrückten und als „Empowerment“ förderten. Jeder Essay bettet Franks Schaffen in die gesellschaftlichen, kulturellen, politischen, historischen oder biographischen Begleitumstände ein, so auch Otto Kapfingers Text zum Stadt- und Siedlungsbau oder Iris Meders Analyse zum Zusammenhang von Gartenbau und Inneneinrichtung bei Josef Frank. In halbwegs chronologischer Ordnung folgen Essays zu seiner Zeit in Schweden und seinem erfolglosen Versuch, in den Vereinigten Staaten Fuß zu fassen, sodann seinen Arbeiten für Thonet und Svenskt Tenn. Ausführlich widmet sich das Buch Franks Möbelentwürfe, die sowohl im Verhältnis zur „Wiener Möbelkultur“ als auch zum „schwedischen Möbeldesign von 1930-1960“ untersucht werden. Dann folgt ein amüsantes Kapitel zu „IKEA und Josef Frank“ von Jan Norrman.

Josef Frank, Sofa Liljevalchs, Stoffbezug Teheran, 1934

So wird das Buch zu einer Entdeckungsreise, auf der zwar links und rechts Franks Häuser- und Möbelentwürfe vorbeiziehen, der Fokus aber immer auf einem anderen Thema liegt - als würde man stets knapp an Josef Frank selbst vorbeischauen. Beeindruckend ist insbesondere der Versuch, sowohl seine vielen Stuhl- und Stoffentwürfe erstmals vollständig aufzuführen. Durch das intensive Ausleuchten der verschiedenen Randbereiche seiner Biographie setzt sich das Buch gelungen von den vielen anderen Frank-Publikationen der letzten Jahre ab, setzt beim Leser aber gleichzeitig viel Wissen über seinen Protagonisten voraus. Weder über die Biographie noch über das Werk gibt es eine Übersicht. Die Häuser werden zwar zum Teil minutiös analysiert (wunderbar: auf einigen Grundrissen werden die Standorte der Möbel rekonstruiert und historische Aufnahmen dazu gezeigt), aber leider nie in sortierter Reihenfolge aufgelistet, was zu einigem Herumblättern im Buch führt.

Angesichts der üppigen Vielfalt an Entdeckungen, Beziehungen und Einordnungen, die dieses Buch bietet, nimmt man diese kleinen Einschränkungen aber gerne in Kauf. Übersicht über sein Werk (und vor allem seine wunderbaren Texte) lässt sich auch anderswo erlangen. Hier hingegen gelingt eine mehrstimmige Kontextualisierung, deren Vielschichtigkeit die Vielschichtigkeit seines Werks gelungen reflektiert. Die Texte sind ein Fest für den Geist, der umfangreiche Stuhlkatalog und das Verzeichnis von 169 Stoffentwürfen von „Amazonas“ bis „Zodiak“ sind eines für die Augen. So ist man nach 368 Seiten glücklich erschöpft und hat das Gefühl, endlich wirklich alles über Josef Frank zu wissen. Mit dem sperrigen Titel ist man dann längst versöhnt. Insbesondere, da der ja auf dem Umschlag schon mit dem exotisch-üppigen Stoffbezug „Hawaii“ von 1943-45 kombiniert wird.

Christoph Thun-Hohenstein, Hermann Czech, Sebastian Hackenschmidt, (Hg.)    

Josef Frank: Against Design
368 S., geb., Text deutsch/englisch
MAK Wien/Birkhäuser Verlag, Basel 2016
ISBN 978 3 0356 0999 8
49,95 Euro

Josef Frank, Porträt, um 1960.
Josef Frank, Wohnhaus auf der Werkbundausstellung (Weißenhofsiedlung), Stuttgart, 1927.
Josef Frank, Sekretär, um 1930 (Hersteller: Haus & Garten).
Josef Frank, Hocker, 1942.