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Einfach, weil sie einfach sind
von Unbekannt Unbekannt | 17.01.2012

Die Danziger Straße im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg entlang spazierend bleibt man plötzlich vor diesem Schaufenster mit dem unaufdringlich gestalteten Ladenschild „Neue Tische" hängen. Schubladen, Regale und Tischplatten scheinen darin wie schwerelos im Raum zu schweben. In Wirklichkeit werden sie von unscheinbaren eleganten Stahlrahmen getragen, die man erst auf den zweiten Blick wahrnimmt. Kaum zu glauben, dass diese gerade fingerbreiten Profile ihr eigenes Gewicht tragen können, geschweige denn das von Büchern, Laptops und anderen Alltagsutensilien. Gleichzeitig leicht und robust, greifbar und ätherisch, ausgeklügelt und einfach, erscheinen diese Möbel in einem Moment als eigenständiges Objekt und im nächsten als Attribut des Raumes, in dem sie sich befinden.

In dem Spiel der Linien, Flächen und monochromatischen Farben meint man auf den ersten Blick, minimalistische Anklänge zu erkennen. Doch haben die Möbel von „Neue Tische" so gar nichts von jenem Fetisch der Einfachheit, den der Minimalismus so obsessiv kultivierte – oft um den Preis von komplexen und kostspieligen Produktions- und Montageverfahren. „Neue Tische" suchen dagegen nach einer ganz unzweideutigen Einfachheit der Herstellung, des Gebrauchs und der Unterhaltung, und daraus resultiert die entwaffnende Logik ihrer Arbeit: Simple Formen aus einfachen Materialien werden schnörkellos verarbeitet und wie selbstverständlich zusammengefügt. Die Möbel von „Neue Tische" sehen einfach aus, weil sie einfach sind.

Ging es dem Minimalismus eher um ein Bild der Einfachheit, so streben „Neue Tische" nach einer Einfachheit des Gebrauchs von Möbeln. Dass die „Neue Tische"-Gründer Mathis Burandt und Frank Skupin über die Architektur zum Design gekommen sind, mag dabei keine unwichtige Rolle gespielt haben. Eigentlich hatten sie nie vor, Möbel zu entwerfen. Aber als sie bei einem Architekturprojekt einmal keinen Tisch fanden, der zu ihrem räumlichen Entwurf passte, kamen sie zum Schluss, dass es vielleicht einfacher wäre, die Möbel ihrer Träume selbst zu entwerfen – zunächst noch im Architekturbüro, bald dann unter dem Namen ihres eigenen Möbelstudios.

In einer Welt, die immer komplexer wird, verspricht Einfachheit den Lustgewinn des unmittelbar Einleuchtenden, Nachvollziehbaren und Logischen. Sie ist die Antithese zur gewollten Unübersichtlichkeit von spezialisierten Produkten, die unsere Bedürfnisse und Wünsche permanent neu strukturieren, dabei aber vor allem ihren Herstellern nützen – so wie Fertiggerichte die Lebensindustrie füttern, aber uns krank machen; komplex gebaute Autos den Service von Werkstätten erzwingen, aber den „Autoschrauber" dumm da stehen lassen; oder opake Energiegesetze, die der Wärmedämmstoffindustrie unendliche Aufträge bescheren, für die Umwelt aber bei Weitem nicht nur positive Auswirkungen haben.

Diese Spannung manifestiert sich im Möbeldesign zwischen dem maßgefertigten Detail und der spezialisierten Systemlösung. Mit dem Gedanken entworfen, Fehlertoleranzen in der Produktion und bei der späteren Montage der Einzelelemente auszugleichen, ist die Systemlösung für den durchschnittlichen Verbraucher oft nur schwierig zu durchschauen. Wenn auch nur ein kleiner Teil davon kaputt geht, wandert deswegen nicht selten das ganze Möbel in den Müll, um darauf von einem neuen anderen Objekt ersetzt zu werden. Frei nach dem Motto: Schmeiß weg, was Du nicht verstehst und kauf Dir was Neues. Diese perverse Produktion von Nachfrage ist das Geschäftsmodell von Ikea, das nicht nur den Umgang von Konsumenten mit dem individuellen Detail und Beschlägen prägt, sondern zunehmend auch das Gebaren einer ganzen Industrie.

Die Möbel von „Neue Tische" belegen, dass es auch anders geht. Ein sorgfältig konzipiertes Möbel kann nahezu ohne zusätzliche Beschläge auskommen. So muss eine Schublade nicht unbedingt in einem komplexen mechanischen Einzug geführt werden, eine sauber gefräste Führung tut es auch und reduziert dabei ganz nebenbei das zukünftige Müllpotential des Objekts. Weil die Schublade allein durch ihre Gestalt erklärt, wie sie in dem sie umfangenden Rahmen geführt wird, kann man sie zum Reinigen auch mal ganz ausziehen, ohne sich darüber sorgen zu müssen, ob man sie wieder einsetzen kann. Und ohne den Einzug gibt es auch ein Element weniger, das kaputt gehen kann. Statt über extra Griffe oder aufwändig eingebaute Push-to-Open-Druckmechanismen lassen sich die Schranktüren von „Neue Tische" einfach über gekehlte Eingriffe öffnen, wobei die Kehle durch Position und Größe selbst erklärt, wie und wo man greifen muss.

Diese Fähigkeit des Möbels, die Logik seines Gebrauchs durch seine Gestalt und Konstruktion direkt zu vermitteln, ist vielleicht noch wichtiger als seine reine Ästhetik, oder besser noch: erst daraus wird seine Ästhetik geboren. Ein Möbelstück, was in sich verständlich ist, kann man leicht benutzen und auch reparieren. Auf diese Weise erzeugt der performative Minimalismus von „Neue Tische" nicht nur Objekte, die gut altern. Er gewinnt auch einen Teil jener direkten Handhabe des Nutzers zurück, die in der fortschreitenden Technologisierung der Möbelproduktion verloren gegangen ist.

Die ebenso subtile wie radikale Benutzerfreundlichkeit der Möbel von „Neue Tische" unterscheidet sie deutlich vom durchschnittlichen massenproduzierten Möbel. Darüber hinaus bewegen sich „Neue Tische" souverän auf dem verflixten Grat zwischen Standardmöbel und Maßanfertigung, indem sie sich irgendwo zwischen der Bezahlbarkeit des einen und der Flexibilität des anderen einpendeln. Weil diese Möbel in handwerklicher Produktion und auf direkte Bestellung produziert werden, können Objekte direkt auf konkrete Räume hin entworfen werden und dabei räumliche Besonderheiten aufnehmen. Weil Burandt und Skupin die Konstruktion und Detaillierung der Möbel jedoch so einfach und direkt wie möglich vornehmen und ausschließlich bei lokalen Handwerksbetrieben produzieren, bewegen sich die Preise des jungen Berliner Herstellers spürbar unterhalb von glossy Designer Brands.

Als Nächstes wollen Burandt und Skupin sich noch mehr über das autonome Möbel hinaus in den Raum des Wohnens hinein orientieren. Das heißt nicht, dass sie keine Möbel mehr machen würden; sie wollen diese einfach noch mehr als Funktion des Raumes begreifen. Diese Aufhebung des Möbels im Raum lässt sich gut erfahren in der Einrichtung des bekannten Berliner Architektur- und Kunstbuchladens "Pro qm", einem Projekt der Architektengruppe ifau (die von Mathis Burant mitgegründet wurde) und Jesko Fezer. In den Regalen und Tischen des Buchladens verfließen die Grenzen zwischen Möbeldesign und Architektur; sie erscheinen nicht als Objekte, die im Raum abgestellt sind, sondern als gegenständliche Ausdehnungen des Raums selbst. Man kann sie deswegen fast übersehen, was an die zehnte These von Dieter Rams über gutes Design erinnert: „Gutes Design ist sowenig Design wie möglich." Diese berühmte Maxime des Möbeldesigners, der von Hause aus ebenfalls Architekt ist, haben sich Burandt und Skupin auf ganz persönliche Weise zu eigen gemacht, und in dieser Aneignung enthüllt sich ihre Interpretation des minimalistischen Möbels: Für sie ist das Möbel nur die innerste Schicht des Raumes. Und weil wir letztlich im Raum leben, entwerfen sie ihre Möbel so, dass sie uns vom Raum möglichst wenig wegnehmen, sondern ihn verstärken.

www.neue-tische.de

„Sideboard-Tisch“, Stahlrahmen mit bündig aufgelegten Holzböden, Foto © Neue Tische
„Sideboard“, Stahlrahmen mit aufgelegten Moduleinheiten, Foto © Neue Tische
Detail vom „Sideboard WS 2“, Foto © Neue Tische
Die Regale können auch als Raumteiler dienen, Foto © Neue Tische
Detail vom „Sideboard WS 1“, Foto © Neue Tische
„Regal_1“, Foto © Neue Tische
„Pro qm“ ist ein Projekt des Architekturkollektivs Ifau und Jesko Fezer, Foto © Katja Eydel
Mathis Burandt und Frank Skupin von „Neue Tische“, Foto © Neue Tische
„Tisch 01“, Stahlrahmen mit bündig eingelegter Tischplatte, Foto © Neue Tische
Detail vom „Tisch 02“, Foto © Neue Tische
Verschiedene Möbel von „Neue Tische“, Foto © Neue Tische
Regaldetail, Foto © Neue Tische
Sideboard, Foto © Neue Tische
Die Möbel von „Neue Tische“ sehen einfach aus, weil sie einfach sind, Foto © Neue Tische
Berliner Buchhandlung „Pro qm“, Foto © Katja Eydel
In den Regalen und Tischen des Buchladens verfließen die Grenzen zwischen Möbeldesign und Architektur, Foto © Katja Eydel