Vor der ersten Ölkrise von 1973 schien Wachstum unbegrenzt möglich, schließlich war Energie überall zu Spottpreisen verfügbar. Auch die Standortbindung an Flüsse oder Wälder wie noch zu Beginn der Industrialisierung spielte keine Rolle mehr. Wie wir heizten und dämmen, war ein Randphänomen, eine Entscheidung, die einmal getroffen und nie wieder überdacht werden musste. Anders heute: In Zeiten endlicher Ressourcen erwarten wir so etwas wie den Stein der Weisen, den „Lapis philosophorum", ein Elixier, das wir nicht verbrauchen, das uns beständig wärmt und Strom liefert.
Mehr noch als bisher müssen sich Planer und Bauherren mit Energie beschäftigen. Wie wird sie erzeugt, wie wird sie verbraucht? Wie klinkt sich ein Gebäude in öffentliche Netze ein, in denen es zeitweise als Produzent, zeitweise als Verbraucher wirkt? Unter welchen Randbedingungen eignet sich dafür welche Technik am besten? Schlussfolgerungen zur Wirtschaftlichkeit sind abhängig von einer höchst veränderlichen Markt- und Preissituation.
Früher einmal schien alles für die Kernenergie zu sprechen. Sie hielt man wie heute die erneuerbaren Energien für eine ausgereifte Variante des Perpetuum mobile. Ich war 1973 in der vierten Klasse der Grundschule und zehn Jahre alt, als unser Schulleiter mit einem Paket für mich unsere Klasse betrat. Ich hatte für alle Mitschüler ausführliches Informationsmaterial zur Kernenergie bestellt und an die Schule adressiert. Denn das war ja wohl die sauberste und unendlichste Energie, die man sich vorstellen konnte. Von dieser fortschrittlichen Technik wollte ich damals alle Klassenkameraden überzeugen. Das Jahrzehnt der Infrastruktur war angebrochen. Überall wurde in technische Großprojekte investiert. Und kaum jemand hatte Vorbehalte dagegen. Aus dem Paket behielt ich nur das Quartettspiel „Kraftwerke im Verbund". Auch hier zeigte sich: Laufwasser- oder Speicherkraftwerke konnten gegen die starken Atommeiler keinen Stich machen. Ihre Betonkuppeln wirkten wie die Landmark eines neuen Zeitalters.
Erst später überzeugte mich Frederic Vester mit seinem „vernetzten Denken" davon, dass die Begeisterung für Atomkraft unhaltbar war. In seinem Energiebilderbuch für Erwachsene schrieb Vester 1979: „Auch unsere Politiker und Planer sehen vielfach noch Straßen als Straßen, Häuser als Häuser, Wälder als Wälder und Kraftwerke als Kraftwerke. Und so behandeln sie sie auch. Und was sie nicht kennen, ist deren Rolle in dem vernetzten System, das sie bilden: als Steuerglied, Nachschubgröße, Puffer, als Grenzwert, Schwellwert oder Regulator - eine Rolle, die nicht in den Dingen selbst steckt, sondern erst durch das Zusammenspiel herauskommt. Nur wenn wir verstehen, wie sich ein System verhalten wird, erfahren wir seine Stabilisierungstendenz, seine Flexibilität, seine Störanfälligkeit." Einen ähnlichen Perspektivwechsel forderte Lucius Burckhardt 1980 auch in Bezug auf das Design. Er stellte fest, dass Design eine „institutionell-organisatorische Seite" habe, über die der Designer ständig mitbestimme, „die aber durch die gängige Einteilung unserer Umwelt" im Verborgenen bleibe. „Indem nämlich die Welt nach Gegenständen eingeteilt wird und das Unsichtbare dabei als Randbedingung auftritt, wird die Welt auch gestaltet. Auch das Nicht-Verändern der Institutionen ist ja - bei sich entwickelnder technischer Gegenstandswelt - eine Gestaltung."
Wer heute also die ISH in Frankfurt besucht, die neben der „Weltleitmesse für die Erlebniswelt Bad", ebenso Gebäude-, Energie-, Klimatechnik und erneuerbare Energien thematisiert, wundert sich nach der Burckhardt-Lektüre gar nicht mehr. Denn die „Institutionen" wie er sagen würde, der Badgestaltung und der Gebäudetechnik haben wenig Gemeinsamkeiten. Im Bad, in der vermeintlichen Innenwelt, geht es um die ästhetische Verfeinerung. Gerungen wird um jeden Millimeter, jedes Detail, jede neue Oberfläche scheint von größter Wichtigkeit. Für Installationen innerhalb der Wohnung und in Bürogebäuden gibt es inzwischen ästhetisch ansprechende Produkte, viele von ihnen sinnvoll, manche sogar erschwinglich.
Weiter hinten auf dem Messegelände sehen die Produkte oft abstoßend hässlich aus. Das mag man damit erklären, dass sie auf dem Dach oder im Keller montiert werden, wo gestalterische Qualität weniger gefragt sei. Ist das die Botschaft, die aus den Technikhallen der ISH dringt? In einer Gesellschaft, die sich aus welchen Motiven auch immer, künftig den erneuerbaren Energien verschreiben will, ist Gestaltung ein verzichtbarer Nebenaspekt?
Schon 2008 forderten bekannte Gestalter auf Einladung von iF Design - unter ihnen Dieter Rams, Herbert H. Schultes und Franco Clivio - „Unternehmen, Politik und Öffentlichkeit auf, Designer umfassend in den Entwurf von wichtigen Zukunftstechniken einzubeziehen." Als abschreckendes Beispiel nannten sie die Gestaltung von Solardächern, die keine eigenständige ästhetische Qualität entwickelt hat, die es mit bestehenden Dachformen und -materialien aufnehmen könnte. Betrachtete man die Messestände der ISH ist gestalterischer Fortschritt nicht zu erkennen. Viele Hersteller versuchen ihr Glück auf dem Solarmarkt, weil sie jeweils aber nur vergleichsweise geringe Stückzahlen fertigen, bilden sich keine Standards heraus, auf denen qualitätvolle gestalterische Entwicklungen basieren. Eines der wenigen Unternehmen der Branche, das konsequent auf Design setzte, Systaic, befindet sich wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung im Insolvenzverfahren. So bleibt das gut gestaltete Solardach, das Architekten für verschiedenste Entwürfe verwenden können, eine kühne Vision. Selbst die mit dem Design Plus-Preis „powered by ISH" ausgezeichnete Fassade aus Vakuumröhren und halbtransparenten CPC-Spiegeln, hergestellt von der Ritter Gruppe, wirkt aus der Nähe vergleichsweise klobig.
Blickt man in den Kriterienkatalog der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, taucht Design bei der Zertifizierung neuer Bauten keineswegs als „vernetzte" Größe auf, sondern als ein Aspekt unter sehr vielen: Die „Sicherung der gestalterischen und städtebaulichen Qualität im Wettbewerb" ist irgendwo zwischen „Fahrradkomfort" und „Kunst am Bau" angesiedelt. Das Zeitalter der nachhaltigen Gestaltung und der erneuerbaren Energien: Was das Design angeht, hat es noch nicht wirklich begonnen.