top
Die süditalienische Stadt Matera ist ein Weltkulturerbe, aber kein Freilichtmuseum. Kreative und Künstler entdecken die "Sassi", Bars und Restaurants sorgen für Leben.

Viele Stufen führen zum Wein

Die belgischen Architekten De Vylder Vinck Taillieu haben in der Enoteca Dai Tosi all das vereint, was die Stadt Matera ausmacht: höhlenartige Räume, Tuffstein und jede Menge Stufen.
von Adeline Seidel | 14.08.2017

Zwei Elemente prägen den Entwurf von De Vylder Vinck Taillieu Architekten für die Enoteca "Dai Tosi": Stufen und Stein. Beides kennzeichnet auch die süditalienische Stadt Matera in der Basilikata. Auf einem Plateau des Tals der Gravina di Matera gelegen, bildet die Altstadt ein Labyrinth aus in den hellen Stein der karstigen Umgebung gehauenen Gassen und Treppen. Wer den Wein der Umgebung im Dai Tosi genießt, tut dies also in einer Art Architektur-Essenz der Stadt.

Matera, das aufgrund seiner Höhlenwohnungen als eine der ältesten Städte der Welt gilt, erlangte in den 1950er Jahren traurige Berühmtheit: Die Zustände in den in den weichen Tuffstein gehauenen "Sassi" waren dermaßen ärmlich und hygienisch katastrophal, dass die Bewohner in neue Wohnanlagen umgesiedelt wurden. Erst in den 1980er Jahren erkannte man ihren enormen kulturhistorischen Wert; 1993 wurde die Altstadt zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Übrigens: 2019 wird Matera Kulturhauptstadt Europas sein. Behutsame Maßnahmen der Instandhaltung und Sanierung der Sassi sorgen dafür, dass in die Altstadt wieder Leben eingezogen ist, sich Künstler und Kreative angesiedelt haben, Hotels, Restaurants und Bars eröffnet wurden. 

Die Enoteca Dai Tosi ist eine Essenz der Stadt Matera: höhlenartige Räume, Tuffstein und jede Menge Stufen.

Die Architektur der Enoteca Dai Tosi dominiert eine Treppe: Wie ein plätschernder Wasserlauf führt sie den Gast immer tiefer in den Berg hinein, umspült sanft drei Ebenen, als wären sie Wasserbecken inmitten eines Wasserfalls. Der erste Teil der Treppe führt den Gast in einen Hof vor dem Lokal. Die Stufen werden zu Sitzen, die den Innenhof umschließen und den Gast weiter hinab in den Schankraum führen. Dieser wird beherrscht von einem grünen, hölzernen Bartresen und einem filigranen, ebenfalls grünen Handlauf aus Metall. Abermals umschließen Stufen den runden Raum, bieten Möglichkeiten zum Sitzen, um in einer Treppe schließlich weiter nach unten, auf dritte Ebene zu führen, die ebenfalls – man ahnt es schon – umringt ist von Stufen.
Eine Glaswand, hinter der die Weine gelagert sind, teilt den höhlenartigen Raum in zwei Bereiche. Dabei wurden in die Stufen aus Tuffstein Kerben geschlagen, in denen die Flaschen Halt finden. Der andere Bereich dient der Verkostung, wobei ein runder Stehtisch aus grünem Holz wie ein Brunnen wirkt, um den man sich versammelt.
Präzise wurde von den Architekten herausgearbeitet, was die einfache Architektur der "Sassi" prägt: Der Stein der Wände wurde roh belassen und die grünen Leuchten hängen mit "langer Leine" von der Decken – und erinnern
durchaus an die ärmlichen Verhältnisse vergangener Tage.
 
Das war es aber dann auch mit Reminiszenzen an die Vergangenheit, ist es De Vylder Vinck Taillieu Architekten doch gelungen, den schlichten Räumen mittels feiner Details eine zeitgenössische Eleganz zu verleihen: Die zierlichen Fliesen aus hellem Terrakotta wurden in einem filigranen Fischgrätmuster verlegt und der Rahmen der Trennwand aus Glas sitzt in einem in den Tuffstein gefrästen Schlitz, wodurch keine grobe Verankerung den Raumeindruck stört. Ausgestattet sind die Räume mit wenigen, objekthaften Möbeln, allesamt in – was sonst – leuchtendem Flaschengrün. 

Matera wird, neben dem bulgarischen Plowdiw, Kulturhauptstadt sein.
Ein kleiner Hof markiert den Eingang zur Enoteca Dai Tosi.
De Vylder Vinck Taillieu Architekten haben die Treppen zum zentralen Element ihres Entwurfes gemacht.
Sie führt den Gast immer tiefer in den Berg hinein – bis zum Weinlager und Verkostungsraum.
Die Wände sind roh belassen und verleihen der Enoteca den höhlenartigen "Sassi"-Charackter.
Wer sitzen möchte, der tut dies ausschliesslich auf den Sitzstufen, die entlang der Wände verlaufen.
Kerben, die in den Tuffstein gehauen wurden, sorgen für Halt.
Die maßgefertigten grünen Möbel setzen im sandfarbenen Stein Akzente.