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NACHHALTIGKEIT
e wie emanzipiert

Der "Gebäudetyp e" ist in Deutschland derzeit in aller Munde. Manchen gilt er als Schlüssel zur Bauwende, anderen schlicht als rechtssichere Möglichkeit, jenseits eines aufgeblähten Katalogs von Regeln, Normen und Verordnungen "einfach bauen" zu können. Doch was hat es mit dem Kürzel auf sich, wie sieht das in der Konkretion aus und was sagen Fachleute?
von David Kasparek | 12.12.2025

Nach Angaben des deutschen Ingenieurblatts waren 60 Prozent des bundesdeutschen Abfalls im Jahr 2022 auf Baustoffe zurückzuführen, die Stiftung KlimaWirtschaft beziffert den Anteil der Baubranche am gesamten Abfallaufkommen mit 60 Prozent sehr ähnlich hoch. Allein aus Eigenschutz gilt es aus Sicht der Menschheit also, diesen Anteil signifikant zu senken, sodass nicht nur deutlich weniger Ressourcen verbraucht werden, sondern die eingesetzten Materialien im Fall von Um- oder Rückbau auch tatsächlich wiederverwendet werden können. Zur Erfüllung der gesetzlich verankerten Klimaziele – wozu sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat – gilt es also, die Art und Weise zu ändern, wie immer noch an viel zu vielen Stellen geplant und gebaut wird.

Die Kombination aus rund 3.000 Normen und Sorge vor haftungsrechtlichen Folgen hat in Deutschland bislang zudem häufig zu einer Übererfüllung der anerkannten Regeln der Technik geführt. Als "mangelfrei" galt ein Bau im Rahmen der vorherrschenden Rechts- und Haftungslage eigentlich nur dann, wenn die anerkannten Regeln der Technik von Seiten der Architektur- und Ingenieursbüros übererfüllt wurden, wenn bei Komfort- und Ausstattungsmerkmalen der höchstmögliche Standard gewählt wurde. Für eine Absicherung gegen spätere Haftungsansprüche, entwickelte sich ein Planungs- und Bauprozess innerhalb eines normativen Korsetts, das viel zu oft über den tatsächlichen Bedarf der Nutzenden hinausging. Haarklein detaillierte Schallschutzauflagen, überdimensionierte Technik oder schlicht eine zu hohe Anzahl von Steckdosen erhöhten gleichermaßen die Kosten wie sie innovative und einfache Lösungen hemmten.

"Haus fast ohne Heizung" vom Architekturbüro nbundm* für die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Ingolstadt (GWG).
Das Gebäude wird aus Wärmedämmziegeln mit Stahlbetondecken und Flachdach errichtet. Die Planung sieht überwiegend sortenreine und rückbaubare Materialien vor, auf Verbundwerkstoffe wird verzichtet.

Die Vorschriften-Bremse

Abhilfe soll unter anderem der sogenannte "Gebäudetyp e" schaffen. Wie das "e" dabei gelesen wird, ist durchaus Ansichts- und Interpretationssache. Für die einen steht es für "einfach", für die anderen für "experimentell". Dass der sogenannte "Gebäudetyp e" überhaupt ein Thema werden konnte, geht auf eine Initiative der bayrischen Architektenkammer zurück. In Bayern wurden vor diesem Hintergrund und auf Betreiben der Architektenkammer 19 Pilotprojekte lanciert, die zeigen sollen, dass es auch anders geht – jeweils wissenschaftlich begleitet von einer Forschungsgruppe um die Professorin Elisabeth Endres. Sie leitet – neben zwei Geschäftsführern und einem weiteren Mitglied der Führungsebene – das Ingenieurbüro Hausladen in München, seit 2019 lehrt und forscht sie außerdem im Rahmen einer Professur für Gebäudetechnologie an der TU Braunschweig. Die Spanne der bayrischen Pilotprojekte ist groß und reicht vom Schulbau über Bestands- und Quartiersentwicklungen bis zu Wohnbauten.

Anfang Dezember nun hatte Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) in einem LinkedIn-Post konstatiert: "In Deutschland wird das Bauen an vielen Stellen durch zu viele Vorschriften ausgebremst. Gleichzeitig steigen die Kosten immer weiter. Deshalb braucht es neue Schritte." Gemeinsam mit Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hat sie ein Eckpunktepapier zum Gebäudetyp e vorgestellt, das deutlich macht Planen und Bauen in Deutschland "einfacher, schneller und kostengünstiger" vonstatten gehen soll. "Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche, setzen auf robuste Materialien, kompakte Grundrisse und verzichten auf überflüssige Standards, die Bauvorhaben unnötig verteuern", so die Bundesbauministerin. Wo ArchitektInnen seit geraumer Zeit Reallabore – und damit neben physischen Räumen auch rechtliche Freiheiten – fordern, verankert die aktuelle Regierung den "Gebäudetyp e" nun auch zivilrechtlich im Bürgerlichen Gesetzbuch: "Kernstück ist der neue Gebäudetyp-E-Vertrag, der rechtssicher ermöglicht, von bestimmten anerkannten Regeln der Technik abzuweichen, ohne dass dies automatisch als Mangel gilt." Auf den Weg gebracht hatte das Vorhaben die viel gescholtene Ampelregierung und dort das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen von Klara Geywitz (SPD).

Auch Alexander Poetzsch, Präsident des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten, hegt einige Hoffnungen: "Der Gebäudetyp e bietet viele Chancen, die Bauwende voranzubringen. Vereinfachte Möglichkeiten im Bereich des Umbauens von Bestand verhindern, dass Graue Energie – oder wie ich sagen würde Goldene Energie – nicht durch Abriss verloren geht. Die Aktivierung des Bestands kann Zeit und Ressourcen sparen sowie Innenstädte und der ländliche Raum beleben und Leerstand reduzieren. Die Vereinfachung senkt die Umbaukosten, wodurch viele Projekte überhaupt erst möglich werden. Der Gebäudetyp e, auch im Neubau, hat das Potenzial, flächendeckend und mit Tempo die Ziele im Bauen zu erreichen, wie sie auch seitens der Politik aktuell gewünscht sind – und das auf nachhaltige Art und Weise." Verena Hubertz weist zudem auf die grundlegende Notwendigkeit hin, die die Initiative so dringlich macht: "Wenn wir mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen wollen, müssen wir anders bauen. Der Gebäudetyp e bietet genau diese Chance und deswegen wollen wir ihn im kommenden Jahr auch rechtssicher verankern."

Als Grundlage dient ein dünnes "Heizpapier", das in den Fußböden eingelassen ist. Darüber hinaus erzeugen die normale Menge an Haushaltsgeräten und die Bewohnenden ausreichend Wärme.

Häuser (fast) ohne Heizung

Eines der ersten gebauten Beispiele in Bayern ist inzwischen fertiggestellt, die ersten BewohnerInnen sind im November eingezogen: in Ingolstadt hat das Architekturbüro nbundm* für die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Ingolstadt (GWG) ein "Haus fast ohne Heizung" realisiert. Im Rahmen einer Konzeptvergabe hatten sich Bauherrin und Architekturbüro gemeinsam bei der Stadt für die Beplanung des Grundstücks in der Steigerwaldstraße am äußersten Westrand Ingolstadts beworben. Hier hört die Stadt wortwörtlich auf, der Neubau steht unmittelbar am Feldrand. Unabhängig von einem Namen wie "Gebäudetyp e", so Chris Neuburger, der Architekt des Gebäudes, handle die GWG aber schon lange genau nach jenen Maximen, die heute unter "Gebäudetyp e" gelabelt würden. Normen und Verordnungen würden hier schon seit jeher kritisch hinterfragt, den Planenden ein hauseigener Anforderungskatalog an die Hand gegeben, der sich am untersten Niveau des Möglichen bewegt, immer mit dem Ziel, die Baukosten zu minimieren und damit gleichermaßen bezahlbaren wie lebenswerten Wohnraum bereitzustellen. Und so wurde auch beim "Haus fast ohne Heizung" zunächst gleichermaßen die Förderkriterien für sozialen Wohnungsbau ebenso ernst genommen wie der lokal geltende Stellplatzschlüssel. Mit dem Ergebnis, dass auf den Bau einer Tiefgarage verzichtet werden konnte und rund 1.000.000 Euro Baukosten, die sonst unterirdisch verschwunden wären – und die Einhaltung weiterer Normen provoziert hätten –, für andere Dinge genutzt werden konnten. Lächelnd sagt Neuburger: "Wenn man immer Dienst nach Vorschrift macht, dann stößt man auf Vorschriften." Wenn man aber auf Bauherrn stoße, die selbst bereit sind um- und weiterzudenken, die bereit sind andere Wohnformen und -dispositionen zu realisieren und gleichzeitig Förderprogramme zu nutzen "entsteht am Ende ein Gebäude, das gar nicht so viele DIN-Normen wachruft".

Das Ergebnis ist ein Wohngebäude, das eigentlich ganz konventionell gebaut ist, Stein auf Stein mit monolithischem Mauerwerk, außen mit grünlasierten Brettern bekleidet. Das Büro 2226 aus Vorarlberg, eine Ausgründung von BE, das wiederum aus dem Büro Baumschlager Eberle hervorging, hat dafür monatelange Simulationen laufen lassen, ein 3D-Modell des Gebäudes am Rechner mit dem Wetter in Ingolstadt in Einklang gebracht und in einer umfänglichen Berechnung dargelegt, dass es im Gebäude allein durch die Benutzung und auch ohne Heizung warm genug sein würde, die normale Menge an Haushaltsgeräten und die Bewohnenden selbst erzeugen ausreichend viel Wärme. "Durch die BewohnerInnen erwärmt sich die Architektur, das ist ein schönes, poetisches Bild", findet Chris Neuburger. Wie der Name des Hauses schon zeigt, gibt es doch eine Notheizung: ein dünnes "Heizpapier" ist in die Fußböden eingelassen. "Einfach um die Räume auf Betriebstemperatur zu bringen", wie Neuburger erklärt. "Die BewohnerInnen sind an einem eiskalten Novembertag eingezogen. Da war es schon wichtig, dass einmal hochgeheizt werden konnte. Auch im Bad will es der eine vielleicht im Winter wärmer haben als der andere, diese Freiheit erreichen wir jetzt." Paradoxerweise musste der Bau dafür vom Gebäudeenergiegesetz befreit werden, ein Energieberater entsprechende Zertifikate ausstellen. All das Hinterfragen erzeugt Mehraufwand, gibt auch Neuburger zu, sagt aber auch lachend: "Aber dadurch tun sich den PlanerInnen andere Türen auf. Und wenn du durch diese Tür gehst, bist du auf einmal ein Stück weit im Auenland und nicht mehr so sehr in Mordor." Die Räume der Wohnungen werden so bemerkenswert groß und die Planenden mussten sich "nicht mit der ganzen Technik rumschlagen", wie Chris Neuburger konstatiert: "Für uns steht das 'e' für emanzipiert." Und so hält er fest: "Der 'Gebäudetyp e' verschafft BauherrInnen Luft und PlanerInnen Handlungsspielräume." Eine vielversprechende Konstellation, wie er findet.

Die 15 Zwei-, Vier- und Fünf-Zimmer-Wohnungen sind durchgehend barrierefrei und damit auch altersgerecht für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. Ein Mobilitätskonzept spart Stellplätze ein und erlaubt es, das Gebäude ohne Untergeschoss zu errichten.
Die Planung folgt dem "2226-Konzept", das eine ganzjährige Raumtemperatur zwischen 22 und 26°C ohne zusätzliche Heiz- oder Kühlsysteme ermöglicht. Der Freistaat Bayern unterstützt das Projekt mit Fördermitteln aus der Wohnraumförderung in Höhe von rund 5,8 Millionen Euro.

Gelungene Beispiele hier, Skepsis dort

Auch Alexander Poetzsch subsummiert: "Gelungene Beispiele gibt es bereits viele, auch ohne die Novellierung. Im Bereich des Bauens, vor allem des Umbauens im denkmalgeschützten Bestand ist die Ausnahme die Regel. Dort kann man sich gut abschauen, wie man begründeterweise von der Norm abweichen kann. Jetzt geht es darum, dies auf den nicht-denkmalgeschützten Bestand, den Neubau und vor allem den Wohnungsbau zu übertragen. Ich wünsche mir von allen Kolleginnen und Kollegen, den Gebäudetyp e als Chance wahrzunehmen, gemeinsam über den Tellerrand der Normierung zu schauen und neue Maßstäbe zu setzen."

Für die Planungsbranche ist die also explizite Klarstellung relevant, dass diese Regelungen nicht nur für den Gebäudebauvertrag, sondern auch für Verträge mit Architekturschaffende und IngenieurInnen gelten. Entscheidendes Merkmal des Regelungsentwurfs ist der Ausschluss des Verbraucherschutzes: Die Bestimmungen des Gebäudetyp-e-Gesetzes gelten nicht für VerbraucherInnen oder nicht fachkundige UnternehmerInnen. Der Gesetzgeber setzt damit voraus, dass die BauherrInnen als fachkundige Partei die Tragweite des Verzichts auf bestimmte Komfortmerkmale einschätzen und verantworten können. Eine Architektin, die ihren Namen lieber nicht in der Öffentlichkeit lesen will, bleibt skeptisch: "Ich habe die Sorge, dass das von der falschen Seite benutzt und bespielt wird. Am Ende lässt uns doch niemand aus der gesamtschuldnerischen Haftung." Der Status quo sei schließlich "viel zu bequem für alle anderen".

Würde der Entwurf – auch auf Basis der Erkenntnisse aus Bayern im nächsten Jahr tatsächlich jedoch zum Gesetz, erlaubten es die neue Gestaltungsfreiheiten, sich auch in der Breite auf die Suffizienz zu konzentrieren – also darauf, das zu bauen, was tatsächlich benötigt wird. Statt technischer Maximalstandards könnten pragmatische und lokale Lösungen, wie der Einsatz von Holz-Fachwerk, Stampfkalk oder Hanffasern, die in Pilotprojekten erprobt werden, rechtssicher in die Praxis überführt werden. So könnte die Transformation hin zu zirkulärem Bauen vollzogen werden. Der "Gebäudetyp e" schafft die planerische Voraussetzung dafür, indem er die Systemtrennung begünstigt. Die Planenden könnten so zudem die Entkopplung von baulichen und technischen Systemen als integralen Bestandteil des Entwurfs implementieren. Eine solche Systemtrennung ist mitentscheidend für eine spätere einfache Demontage, Klassifizierung und Wiederverwendung von Bauteilen. "Vieles davon geht auch heute schon", sagt Neuburger, "mit dem 'Gebäudetyp e' aber entstehen Beispielbauten, die in der Breite als Vorbilder für noch viel mehr BauherrInnen dienen könnten."

Haus fast ohne Heizung: Jörg Koch, Architekt, Abteilungsleiter Technik GWG Ingolstadt