top
Philippe Paré

NEW WORK
Ökosysteme für Kreativität

Wie blickt Philippe Paré, Geschäftsführer und Direktor von Gensler Frankreich auf die Veränderungen in der Arbeitswelt? Welche Herausforderungen bringt die nächste Zeit mit sich? Und was braucht das Büro der Zukunft wirklich?
von Anna Moldenhauer | 09.02.2021

Anna Moldenhauer: Herr Paré, Sie leiten den Standort von Gensler in Paris, Sie sind Architekt und Designer, Inspiration finden Sie aber auch in der Kunst – vor allem bei Werken, die sich mit dem Wechselspiel aus Licht und Raum beschäftigen. Braucht es eine interdisziplinäre Sichtweise, um spannende Projekte zu schaffen?

Philippe Paré: Ich denke schon, besonders bei der Gestaltung von Innenräumen. Einer der Unterschiede zwischen Architektur und Innenarchitektur ist, dass sich die Architektur mehr auf die Herstellung von Objekten konzentriert. Die Innenarchitektur hingegen benötigt ein gewisses Maß an Empathie, um die Gestaltung aus der Perspektive der Nutzer anzugehen, im Gegensatz zu einer vorgefassten Idee. In einem Prozess, in dem man Erleben schafft, ist es wichtig einen disziplinübergreifenden Blickwinkel zu haben, weil er die Art und Weise bereichert, wie man an die Arbeit herantritt.

Können Sie mir hierfür ein Projektbeispiel geben?

Philippe Paré: Bei der Hyundai Capital Convention Hall in Südkorea hatten wir beispielsweise kein natürliches Tageslicht, keine Fenster zur Verfügung. Dennoch sollte man sich gerne in der Halle aufhalten wollen, auch über längere Zeiträume hinweg. Wir konnten das erreichen, indem wir den Raum mit Licht strukturiert haben, so dass die physischen Grenzen verwischt wurden. Abstrakte Beispiele aus der Kunst, wie von James Turrell, waren da eine große Inspiration.

Sprich der Fokus lag auf einer Gestaltung, die den Bedürfnissen des Nutzers entgegenkommt – wie übersetzen sie diesen Ansatz aktuell auf den Entwurf von Büros?

Philippe Paré: Viele Arbeitsplätze geben Richtlinien vor, an die sich der Nutzer anpassen muss. Da findet sicher nun ein Umdenken statt, der Fokus rückt vermehrt auf die Schaffung von inspirierenden Orten. Es geht darum ein Toolkit zu entwickeln, so dass der Anwender selbst ein eigenes Ökosystem für Kreativität, Zusammenarbeit, Konzentration und Innovation schaffen kann. Möbel sind dabei eine wichtige, grundlegende Komponente und müssen einer sehr agilen Umgebung gerecht werden. Das war der Anstoß für uns, in Zusammenarbeit mit Fantoni die Möbellinie "Atelier" zu entwickeln. Wir wollten eine minimalistische Lösung, die flexibel ist. Die Kollektion ist nun sehr leicht, einfach in der Position versetzbar, besteht aus wenigen Elementen und ist modular. Alle Elemente sind zudem miteinander kompatibel.

Der Wunsch nach Flexibilität wird in der aktuellen Debatte um das neue Arbeiten oft genannt. In den letzten Jahren gab es viele Ideen, wie die ideale Arbeitsumgebung aussehen sollte, von offenen Flächen mit verspieltem Interieur, der Rückkehr der Kuben, bis zur flexiblen Einteilung in Zonen. Im Zuge der Pandemie und einer verstärkten Nutzung des Homeoffice wird nun das Büro als wohnlicher Treffpunkt diskutiert. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Philippe Paré: Das ist eine sehr gute Frage – ich denke, die Idee des spielerischen Arbeitsplatzes war die Befreiung von der Reglementierung. Diese sah in Form des Büros eine physische Manifestation der Unternehmenshierarchie vor und war nicht unbedingt auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter ausgerichtet. Was wir nun sehen, ist für mich eine sinnvolle Weiterentwicklung. Wir haben in Frankreich eine Umfrage unter Büroangestellten gestartet, die France Workplace Survey 2020, um herauszufinden, welche Wünsche seitens der Nutzer an die Gestaltung eines Büros nach der langfristigen Erfahrung im Homeoffice gerichtet werden. Die Kriterien, die als wichtig für das Wohlbefinden und somit für die Produktivität genannt wurden, waren sehr grundlegend: Tageslicht, frische Luft, Sauberkeit, die Möglichkeit, den Licht- und Lärmpegel zu kontrollieren. Die Herausforderung für Architekten und Designer wird zukünftig darin bestehen, Büros zu entwerfen, die bessere Rahmenbedingungen für die Gesundheit und das Wohlbefinden bieten als das Homeoffice. Ich denke, dass das Experiment Homeoffice erfolgreich war und herausgestellt hat, wie wichtig konzentriertes Arbeiten ist – ebenso brauchen wir aber auch die spontanen Gespräche, die Schulterblicke, die zufälligen Begegnungen. Nicht jeder Austausch, nicht jede kreative Zusammenarbeit funktioniert gut aus der Ferne. Meiner Meinung nach wird es nicht nur darum gehen, dass man das Büro nun zu einem großartigen Treffpunkt gestaltet, sondern dass der Arbeitsplatz mehr auf die Bedürfnisse des Menschen nach einer Umgebung ausgerichtet ist, in der man kreativ und produktiv sein kann.

Europa-Headquarter in London von Gensler

Ich habe den Eindruck, dass die Kreativen aktuell mehr zusammenrücken, um diese Aufgabe gemeinsam zu lösen. Wie sehen Sie das?

Philippe Pare: Diesen Eindruck habe ich auch, und ich denke, der Schlüssel ist es eine ausreichende Vielfalt an Arbeitsplätzen innerhalb eines Büros anzubieten, die eine Mischung aus Homeoffice und Präsenzarbeit ideal unterstützen. Die France Workplace Survey 2020 hat ergeben, dass der Großteil der Beschäftigten es als ideale Balance ansieht, höchstens ein oder zwei Tage außerhalb des Büros zu sein, um die Vorteile des konzentrierten Arbeitens aus der Ferne produktiv zu nutzen. Wenn man länger weg ist, verliert man zu sehr die Verbindung zu den Kollegen und fühlt sich weniger zugehörig zum Unternehmen. Aus dieser Schere der Bedürfnisse werden sich bestimmt auch eine Reihe an hybriden Lösungen ergeben, auch außerhalb der Stadt.

Gab es einen Aspekt in der France Workplace Survey 2020, der sie überrascht hat?

Philippe Paré: Die Überraschung war im Grunde, dass es keine gab. Die Ergebnisse waren ähnlich wie die, welche wir bereits zuvor in den USA, UK oder Australien durchgeführt haben, die Menschen haben im Kern ähnliche Bedürfnisse. Ein Unterschied war vielleicht, dass sich die Franzosen sehr stark mit ihrem Büro verbunden fühlen, viele sehen es als physische Manifestation der Mission und der Werte des Unternehmens, für das sie arbeiten. Das führt auch dazu, dass viele Angestellte sogar bereit sind über die Bedrohung durch eine Pandemie hinwegzusehen, um im Büro zu arbeiten. Das hat uns gezeigt wie wichtig der Arbeitsplatz für das Individuum, für den Menschen ist. Ich hätte da eher erwartet, dass es einen Appetit auf eine Revolution geben würde, auf einen starken Umschwung das Büro komplett neu zu erfinden. Statt neuer, verrückter Ansätze sind aber eher gut durchdachte Basics gefragt, um produktiv und flexibel arbeiten zu können.

Aktuelles Projekt von Gensler Paris (noch vertraulich)

Wenn zukünftig beim Entwurf eines Büros die Bedürfnisse der Nutzer und eine maximale Flexibilität der Arbeit im Mittelpunkt stehen – wie lässt sich dann noch die Identität des Unternehmens erhalten?

Philippe Paré: Das wird eine Herausforderung. In einem Szenario, in dem mehr Menschen aus der Ferne arbeiten, geht schnell das soziale Kapital verloren, die Verbindung zu einer Organisation. Die Kultur eines Unternehmens, seine Marke, seine Vision, seine Mission, muss zukünftig über die Gestalting des Büros so gut zum Ausdruck gebracht werden, dass dieser Eindruck auch prägend ist, wenn man nur einige Tage vor Ort ist.

Welche Aspekte der Diskussion über das neue Arbeiten wollen Sie für Ihre eigene Arbeit, Ihr eigenes Büro beibehalten?

Philippe Paré: Ich denke, für uns ist es definitiv das Vertrauen, dass wir beibehalten wollen. Mitarbeitern die Wahl zu lassen, wo sie arbeiten möchten und gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, ganz analog an einem Tisch zusammenzukommen. Es geht darum zwischen Remote- und Präsenzarbeit die richtige Balance zu finden.

Arbeiten Sie aktuell an einem Projekt, dass zu dieser Herausforderung passt?

Philippe Paré: Da wäre zum Beispiel die Neugestaltung der Hauptlobby für ein Hochhaus, das von Phillip Johnson in New York City entworfen wurde. Das Design für ein so ikonisches Gebäude neu zu erfinden, ist etwas ganz Besonderes. Das Projekt ist vergleichsweise klein, aber sehr komplex: Es zählt neue Ansätze zu schaffen wie den Geist des Ortes zu erhalten. Darauf freue ich mich schon sehr, wie auf ein weiteres Projekt: Ein Bürogebäude in Paris, bei dem wir versuchen die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum ein wenig mehr zu verwischen und die Nutzung von Fahrrädern zu fördern. Bei vielen Gebäuden hat man als Radfahrer den Eindruck, einen Eingang zweiter Klasse zu erhalten. Wir möchten den Radfahrern stattdessen den interessantesten Eingang zum Büro geben. Parallel soll das Gebäude in sich möglichst nachhaltig gebaut sein, mit Materialien aus der Region und energieeffizient gedacht.

Also eine Nachhaltigkeit auf vielen Ebenen, von der Grundstruktur des Gebäudes bis zur Nutzung.

Philippe Paré: Genau. Ich denke es lohnt sich, Gebäuden mit innovativen Ideen ein zweites Leben schenken, anstatt sie abzureißen. Gerade wenn es um die Neugestaltung von Büros geht. Statt die Flächen zu verkleinern, sollten wir Wege finden sie effizienter und bewusster zu nutzen.

Büromöbelserie "Atelier" von Gensler und Fantoni