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Höweler+Yoon oder Der neue amerikanische Traum
16.10.2012
J. Meejin Yoon und Eric Höweler von Höweler+Yoon Architecture, Foto © Höweler+Yoon Architecture

Was macht Sie so optimistisch, dass der auf „Besitz und Mobilität“ basierende „American Dream“ sich in Richtung auf Teilhabe an und Zugang zu Mobilitätsangeboten verändern wird?

Höweler+Yoon: Unser Vorschlag für „Shareway 2030“ beruht auf Szenarien und Trends, die sich gegenwärtig sehr deutlich abzeichnen. Es handelt sich nicht um Science Fiction, vielmehr um eine auf Vermutungen beruhende Vision der nahen Zukunft auf der Basis von Prognosen, die von den aktuellen Bedingungen abgeleitet wurden. Durch ubiquitäres Computing, intelligente Netze, Social Networking und einiges mehr findet derzeit ein tiefgreifender Wandel statt; dabei steht vor allem die „Cloud“ im Vordergrund. All das hat dazu geführt, dass sich eine neue Form von Subjektivität herausbildet. Es handelt sich dabei um eine Subjektivität, die permanent und simultan „vernetzt“ ist und innerhalb wechselnder Bezugsgruppen mit anderen verbunden ist. Diese Bezugsgruppen beruhen nicht länger auf ethnischen oder religiösen Unterschieden, sondern vielmehr auf Interessen und Bedürfnissen. Individuen können sich entlang bestimmter Themen (etwa, wenn es um gemeinsame Aktionen geht) oder Vorhaben (etwa der Planung einer Reise nach New York) zu informellen Kollektiven zusammenschließen. Solche „Cloud“-Gemeinschaften besitzen eine Verhandlungsmacht, die der Einzelne nicht hat. Zugleich verändern sich Gebrauchsgegenstände und Statussymbole. Bedeutete erfolgreich zu sein einst, mehrere Autos oder Immobilien zu besitzen, so bemisst sich Erfolg heute eher daran, zu welchen Dingen jemand Zugang hat. Das kann das Onlineangebot von Tausenden von Filmen sein oder ein beliebiger Sportwagen, der über eine Mitgliedschaft in einem Carsharing-Service für einen Tag gebucht wird. Der Fokus hat sich also verschoben vom Besitz bestimmter Dinge hin zum Zugang zu diesen. Der entscheidende Punkt ist dabei, dass diese neue Freiheit – die Freiheit, von Besitz entlastet zu sein – dem amerikanischen Traum mit seinem Schwerpunkt auf Möglichkeiten, Individualität, Freiheit und Zugang durchaus ähnlich ist. Unsere Vorstellung des neuen amerikanischen Traums baut im Hinblick auf diese Aspekte auf Grundbedürfnissen auf, wobei Technologie und soziale Netzwerke eine wesentliche Funktion übernehmen, um mehr für weniger zu bekommen. Eine größere Auswahl für einen niedrigeren Preis, und zudem ohne die Last des Besitzes oder langfristiger Instandhaltung. Was könnte amerikanischer sein als das?

Welche Rolle spielt innerhalb eines solchen Transformationsprozesses, der nicht nur Verkehrs- und Datensysteme, sondern auch gesellschaftliche Werte und soziale Verhaltensweisen betrifft, eine neue Auffassung von Raum? Können Sie diese beschreiben?

Höweler+Yoon: Wir diskutieren häufig die Rolle von Technologie und Wahrnehmung. Vorstellungen und Visionen wurden in der Vergangenheit oft durch neue Technologien erweitert. Das Teleskop, das Mikroskop, Fotografie und Kino, sie alle fungieren als visuelle Prothesen – sie erweitern den Blick und verleihen der Welt einen neuen Bezugsrahmen. Man könnte nun behaupten, eine Vision sei immer hochgradig konstruiert und niemals neutral. Die Technologien von Kommunikation, Networking, Crowd-Sourcing und des kollektiven Konsums indes lösen den kulturellen Wandel aus, von dem wir reden. Außerdem wird durch sie unsere Wahrnehmung der Welt grundlegend verändert. Insbesondere Daten und ihre Visualisierung ermöglichen es uns Muster zu sehen, die zuvor nicht sichtbar waren. Durch Networking und Geopositionierung können wir im Raum navigieren und Verbindungen in Echtzeit knüpfen, wodurch sich bestehende gesellschaftliche Verhältnisse verändern und neue Formen von Gemeinschaften, Zielgruppen und Beziehungen entstehen. Das erweiterte Netz des Social Networking macht Fremde zu Freunden von Freunden, zu Menschen, mit denen wir womöglich bestimmte Interessen teilen, oder gar zu künftigen Mitstreitern.

Worin sehen Sie Alternativen, bestehende Strukturen wie Highways in Zukunft neu und anders nutzen zu können?

Höweler+Yoon: Die Vereinigten Staaten besitzen dank der Eisenhower-Regierung eines der größten öffentlichen Infrastruktursysteme der Welt. Dieses altert rasant und das in einer Zeit, in der immer weniger in die Infrastruktur investiert wird und die Anzahl der Autos auf den Straßen noch immer stetig zunimmt. Der drohende Verfall vieler Highways, Brücken und Tunnels in diesem Land ist alarmierend. Eine Umwandlung dieser alternden Verkehrsadern in unter einander verbundene Kreislaufsysteme verspricht eine Neubetrachtung der Beziehung zwischen verschiedenen Verkehrsformen, die gegenwärtig nur koexistieren, sich aber nicht wirklich vermischen. Unser Entwurf für „Shareway 2030“ greift diese Möglichkeiten auf, um auf dem bestehenden System ein neues Infrastruktursystem aufzubauen – ohne dabei das Konstrukt an sich aufzugeben. Dieses Vorgehen berücksichtigt die Tatsache, dass das Highway-Netz bereits stark ausgelastet ist, wobei eine hybridisierte Infrastruktur dazu beitragen könnte, es neu zu erfinden und für Wohngebiete, urbane Landwirtschaft oder Energiegewinnung zu nutzen. Unser bogenförmiges Projekt beruht entsprechend auf der Nutzung von brachliegendem Land entlang des Highways.


Höweler + Yoon Architecture (HYA) ist ein interdisziplinäres Büro, das im Bereich zwischen Architektur, Kunst und Landschaftsplanung agiert. Eric Höweler (geboren in Cali, Colombia) ist eingetragener Architekt und Assistant Professor an der Harvard University Graduate School of Design. Vor der Gründung von HYA war er Senior Designer bei Diller + Scofidio und Partner bei Kohn Pedersen Fox Associates. J. Meejin Yoon (geboren in Seoul) ist Architektin, Designerin und Associate Professor am Massachusetts Institute of Technology.

www. audi-urban-future-initiative.com
www.hyarchitecture.com

J. Meejin Yoon und Eric Höweler von Höweler+Yoon Architecture, Foto © Höweler+Yoon Architecture
„Shareway 2030“ von Höweler+Yoon Architecture, alle Bilder © Höweler+Yoon Architecture