Papier, im Computerzeitalter bedroht, aber viel zu früh totgesagt, gehört zweifellos zur menschlichen Hochkultur, nicht nur, weil wir andauernd etwas „zu Papier bringen", seien es Ideen, Pläne, Hoffnungen oder Ängste. Papier ist auch ein Gegenstand des täglichen Gebrauchs, dessen Verwendungsweisen zahllos sind. Dass aus einem profanen Blatt Papier Kunst werden kann, zeigt das japanische Origami, wobei die Kunst Papier überhaupt schon längst als eigenständiges Material und nicht nur als Trägermedium entdeckt hat.
Die gesamte Bandbreite künstlerischer Möglichkeiten, die Papier eröffnet, präsentiert das Projekt „Paperlove". Das Spektrum reicht von Verpackungs-Verfremdungen über Recycling-Reflexionen, Assoziationen von Wissensspeichern bis hin zu Möbeln und Mode. Insgesamt 51 international renommierte Designer, Künstler und Architekten , darunter Issey Miyake, Zaha Hadid, Konstantin Grcic und Piero Lissoni, hat die amerikanische Designplattform „Luminaire", die in Miami und Chicago ihre Showrooms hat, zu diesem Zweck eingeladen. Bei dem Projekt geht es den Initiatoren obendrein um einen guten Zweck. Die Erlöse der „Paperlove"-Kunstwerke, die von „Christie's" versteigert werden - schon am Eröffnungsabend kamen 180.000 Dollar zusammen -, fließt für Forschungszwecke dem „Sylvester Comprehensive Cancer Center" der University of Miami zu.
In ihren unterschiedlichen Herangehensweisen wirken die Arbeiten zum Teil wie Charakterstudien der beteiligten Künstler. Im Fall von Antonio Citterio versinnbildlicht ein dreidimensional durchrastertes Blatt die Schönheit des perfekt geschnittenen Papiers. Bei Tord Boontje umranken Papierpflanzen ein altes, umfunktioniertes Marmeladenglas. Pflanzen, meint Boontje, seien nicht weniger fragil und Lebenszyklus bestimmend als Papier. Naoto Fukasawa verwandelt die Hülle eines 500-Blatt Papierstapels in A4-Format, wie man ihn in jedem Copy-Shop bekommt, in eine rechteckige Papierleuchte. Ronan und Erwan Bouroullec falten aus buntem Geschenkpapier einen kleinen, süßen Elefanten, womit sie darauf hinweisen wollen, dass die Bedeutung der stillen Dickhäuter ebenso leicht vergessen werde wie die des geduldigen und schweigsamem Papiers. Tokujin Yoshioka erweitert für „Paperlove" sein unschuldig weißes Schneeflockenmotiv zu einem poetisch vergänglichen Wandpapierkissen, und Zaha Hadid, die mit dem traditionellen Material eigentlich kaum in Verbindung gebracht wird, legt ein reliefartiges Architektur-Model für das Neue Casino in Basel vor.
Auch wenn, trotz des ernsten Hintergrunds der Initiative, den Ideen kaum Grenzen gesetzt waren, haben nur wenige Künstler den Kampf gegen Krebs in ihren Arbeiten aufgegriffen. Marcel Wanders setzt auf Magie und Geheimnis, Ernst Gamperl beklebt einen Tisch, dessen kreisrunde Form bewusst das Motiv der Lebensspule zitiert, mit einer Collage aus Zeitungsausschnitten. Die Kreidezeichnung von Ron Arad zeigt ein rotes, zu „besitzendes" Herz, einen herzförmigen Sessel, in den man sich hineinlehnen möchte, weil Papier eben auch Erinnerungsträger ist. Bei Ingo Maurer hingegen pocht sein von anderen Leuchtentwürfen her bekanntes Herz in einer klinisch aseptischen Plexiglasbox. An ihre Grenze aber brachten die Papierkunst nur Ilona und Chad Oppenheim, die, inspiriert von Shel Silversteins wunderbarer Geschichte „The Giving Tree", einfach einen Baumstumpf präsentierten. Als Vorbote, für das, was aus ihm werden könnte: Papier.