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Erin Turkoglu

Reflektiert und anspruchsvoll

Vier junge Designerinnen und Designer, von denen wir in Zukunft mehr sehen, lesen und hören wollen.
von Adeline Seidel | 04.08.2021

Die Entwürfe von Erin Turkoglu sind Objekte, die man unverzüglich haptisch erkunden mag. Wie die Vase "Pillar" zum Beispiel, die mit ihrer leicht unebenen Oberfläche und ihrer fast zweidimensionalen Erscheinung einer Zeichnung ähnelt. Diesen eigensinnigen Charakter besitzt auch der Handspiegel "Paddle Mirror", dessen Schräglage ihm eine anziehende Präsenz verleiht. "Ich lasse mich oft von den Materialien leiten, die ich verwende. Einerseits forme ich das Material nach meinen Vorstellungen, andererseits lasse ich das Material wiederum das tun, was es möchte", beschreibt die Designerin ihren Arbeitsprozess, der sie zu ihren poetischen Objekten leitet.

Schon seit ihrer Kindheit haben sie Handwerk, Materialien, Farben und Kunst magisch angezogen. Es sei ihr früh klar geworden, welche Richtung sie einmal einschlagen wollte, erzählt sie. So studierte Erin Turkoglu an der Üsküdar American Academy in Istanbul, am Pratt Institute in New York und an der Aalto University in Helsinki Produkt- und Industriedesign. "Am liebsten probiere ich neue Sachen aus: Ein Handwerk, einen neuen Ort erkunden, ein neues Material", sagt Erin Turkoglu über ihre Freude am Experiment. Dieses Erkunden der Zwischenräume von Kunst und Design, von Objekt und Skulptur, zeigt sich deutlich bei den Arbeiten unter dem Titel "Loop", deren Schlaufen aus Keramik beim flüchtigen Schauen wie weiche Gummischläuche wirken. Ein Objekt, dessen Verspieltheit geradezu anziehend ist. Das Spiel mit Sinnen, die handwerkliche Zufälligkeit machen Erin Turkoglus zu Objekten für kleine Serien – eine bewusste Entscheidung der jungen Designerin: "Ein Teil der Branche schätzt Kleinserien, limitierte Auflagen und Sammlerstücke mehr denn je. Für GestalterInnen wie mich, die daran interessiert sind, irgendwo zwischen Kunst, Skulptur und Funktion zu arbeiten, ist das eine gute Entwicklung".

Valerio Somella ist ein reflektierter Kopf: Er beobachtet genau die Veränderungen in der Möbelindustrie, die selbstverständlich einhergehen mit neuen Bedingungen für junge Designer und Designerinnen. "Die produzierten Stückzahlen sind stark zurückgegangen. Und damit auch die Einnahmen der Gestalter und Gestalterinnen über Royalties. Umso wichtiger ist es, auch für mich, Produkte zu entwickeln, die nicht auf kurzlebige Erscheinungen setzen", beschreibt der Designer aus Mailand seine Entwurfsintention. Und sicherlich gehören auch einige seiner Entwürfe in die Kategorie "zeitlos" – trotz eines gewissen Eigensinns. Wie beispielsweise die Leuchte "Penta". Inspiriert hat Valerio Somella zu diesem Entwurf die Aufhängung für Angeln, wenn der Angler die Rute mal nicht in der Hand halten möchte. Diese simple Konstruktion überträgt der Designer in eine elegante Leuchte, die feinsinnig das Gleichgewicht meistert.

Bereits 2009 hat Valerio Somella, der an der Politecnico di Milano Produktdesign studierte, sein Studio in Mailand gegründet – und kann auf eine lange Liste an Kollaborationen blicken. Für Alessi hat er funktionale Schmuckstücke entwickelt: Der Flaschenöffner wird zum Anhänger und ist mit seinen weichen Formen ein echter Handschmeichler, den man nicht mehr loslassen möchte. Für Cantarutti hat er mit "Hyppo" einen Sessel und Pouf entworfen, an dem nicht so schnell der Zahn des Zeitgeistes nagen wird. "Es ist für mich immer wieder eine Bereicherung, mich in unterschiedliche Themen einzuarbeiten. Insbesondere bei Leuchten, wo auch die Technik eine zentrale Rolle spielt. Deswegen bleibt dieser Beruf für mich immer spannend." Seine Neugierde zeigt sich auch in der großen Bandbreite seiner Arbeiten, die von technischen Geräten bis hin zu Teppichen reicht. Als Dozent an verschiedenen Designschulen begeistert er auch die junge Generation, die "weiße Flecken" der Branche zu entdecken: "Die Profession 'Gestaltung' ist wie ein Schwamm, der sich immer wieder verändert und dessen Oberfläche durch neue Technologien wächst und sich so neue Aufgabenfelder und Gestaltungsfreiräume ergeben. Es wurde also mitnichten bereits alles entworfen!", sagt er.

Vor knapp vier Jahren gründete Alexandra Gerber ihr eigenes Studio in London. Zuvor war sie – nach ihrem Studium an der ESAD Strasbourg und der ECAL – für Ikonen wie Tom Dixon und Nitzan Cohen tätig. Die Faszination der industriellen Fertigung packte die junge Gestalterin schon früh: "Mein Großvater hatte in den 1950er-Jahren eine Scharnierfabrik in Österreich gegründet, mit hochmodernen, vollautomatischen Fertigungsstraßen. So konnte ich von klein auf sehen, wie man ein Rohmaterial in ein Endprodukt verwandelt. Und das ist es letztlich, was ich heute auch mache."

Nun, diese sachliche Bescheidenheit des letzten Satzes werden den präzisen wie innovativen und ambitionierten Arbeiten der jungen Designerin nicht ganz gerecht. Ihr Regal "Up" ist bestechend schlicht wie klug durchdacht: Mit nur einem kleinen Hebel lassen sich die Böden auf jede beliebige Höhe einstellen. "Ich finde es spannend, bestehende Herstellungsverfahren in neue Produkte umzuwandeln. So habe ich eine Verbindung, die bei Fenstern verwendet wird, für die Herstellung des 'Up'-Regals verwendet. Oder ich nutze den Herstellungsprozess von Autoscheiben für die Fertigung von Bilderrahmen. Das Interessante dabei ist, dass man das Produktspektrum einer Fabrik erweitert", bemerkt Alexandra Gerber. Mit "Up" hat die Designerin eine eigenständige Ästhetik entwickelt, die zwischen Archiv und Werkstatt, zwischen Büro und Wohnen die Sehgewohnheiten aus der Einfältigkeit rüttelt. Sie achtet darauf, Materialien zu verwenden, die sich gut rezyklieren lassen oder bereits recycelt sind. "Ich versuche auch, mit Produzenten zusammenzuarbeiten, die ihre eigenen Abfälle recyceln und die bei der Herstellung erzeugte Wärme nutzen, um ihre Räumlichkeiten zu beheizen". Bei all ihren hohen Ansprüchen an Funktion, Suffizienz und Nachhaltigkeit verbindet doch viele ihre Entwürfe eine gewisse Verspieltheit und Mehrdeutigkeit: Die Bank für Hermès entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Art Kachelofen. "HB" ist indes ein vielfältiger Aufbewahrungskünstler – im Bad, an der Wand, auf dem Tisch, für Stifte, Blumen oder andere Objekte. Es scheint fast so, als schafft es Alexandra Gerber mit Leichtigkeit Klarheit und Vielschichtigkeit zu verbinden.

Giuseppe Arezzi ist noch keine 30 Jahre alt, doch die Arbeiten des Produktdesigners sind bereits mehrfach ausgezeichnet und in zahlreichen Ausstellungen europaweit gezeigt worden. Insbesondere der Armchair "Manic#", das Hybridmöbel "Binomio" und die Serie "Tramoggia" sind eigenständige wie sensible Entwürfe, in denen sich ein sympathischer, wie eleganter Pragmatismus widerspiegelt. "Ich glaube, dass die Rolle des zeitgenössischen Designers darin besteht, im beständigen Dialog mit Produzenten neue Prozesse anzuleiten", beschreibt er die Herausforderungen seiner Generation, bei der Nachhaltigkeit ganz selbstverständlich eine tragende Rolle spielt. Diese Selbstverständlichkeit zeigt sich auch deutlich in "Manic#": Die Rundhölzer des Stuhls werden mit simplen Flügelschrauben verbunden, der textile Sitzbezug durch Lederbänder gehalten, alles kann mit Leichtigkeit demontiert werden. Der Stuhl ist bestechend adaptiv: Auch mit Upcycling-Hölzern und Textilen würde er nicht an Leichtigkeit und Eleganz verlieren. "Wenn wir ein Möbelstück herstellen, ist es für mich wichtig, dass es zeitlos ist und so konzipiert, dass es möglichst lange hält. Dabei sind Schlichtheit und Qualität zwei Aspekte des nordischen Know-hows, die für mich wichtig sind", erläutert Giuseppe Arezzi seine Gestaltungsprämissen.

Studiert hat der Gestalter an der Politecnico di Milano, sein Studio betreibt er im sizilianischen Ragusa und in Mailand. Zudem lehrt er mit Engagement an der IED in Como: "Wir müssen die neuen Generationen zur Selbstkritik, zur Aufrichtigkeit, zum Aktivismus und zur Konsequenz anspornen: Nur so können sie in einer so komplexen Gesellschaft wie der unseren bestehen". Die Komplexität der Gegenwart zeigt sich auch in "Binomio" – trotz der bestechend einfachen Gestalt des Möbels. Denn es lässt sich in keine bekannte Schublade stecken. Es ist mal Tisch, mal Bank. Mal Regal, mal Ablage. Mal Arbeitsplatz, mal Garderobe. Es ist ein Begleiter der Veränderung und ist damit auch guter Marker für Giuseppe Arezzis Verständnis von Design.