top

Werkzeuge gegen die Unsicherheit

Unser Autor Thomas Edelman traf in Mailand kürzlich Konstantin Grcic auf dem Weg zu seiner Ausstellung "Ceci n’est pas un mur". Ein Gespräch über Experimente und aktuelle Fragezeichen im Design.
23.06.2022

Angesichts vieler, in den Mailänder Messehallen und bei den Fuori aufgefahrenen modisch-eskapistischen Produkte und Inszenierungen, wirkte die "Bench" von Konstantin Grcic für Plank erfrischend nüchtern: Bank und Tisch mit einheitlicher Platte und Seitenteilen aus fünf Zentimeter dicker südtiroler Fichte mit einem durchdachten wie einfachen Schnellmontage-System. Zugleich feiert "Bench" die Rückkehr ins Leben und bietet hierfür einen Treffpunkt. Es ist ein Möbel, das die jüngste Vergangenheit reflektiert und dem Optimismus Raum gibt. Mehr braucht es nicht. Eher zufällig traf unser Autor Thomas Edelmann den Designer auf dem Weg zu seiner wenige Tage dauernden Ausstellung in einem alten Industriegebäude im Südosten Mailands. Er wolle sich von den Stücken der Edition verabschieden, sagte Grcic. Wer weiß, ob und wann er sie wiedersehe. Beide unterhielten sich über neue Projekte, aber auch über die Stagnation und Mutlosigkeit im Möbeljahr 2022 und die Versuche, über Galerieprojekte zu neuen Perspektiven zu finden.

Thomas Edelmann: Eines der Objekte, "Daybed" genannt, wirkt wie ein Rückzugsort. Es ist zugleich Haus, Bett, Ausblick, Tisch – ein Ort für Leben auf engstem Raum.

Konstantin Grcic: "Daybed" und "Wall" sind architektonische Motive, also nicht sehr große Möbel, sondern Objekte, die sich an Konzepte der Architektur anlehnen. "Daybed" ist eine räumliche Miniatur, die auf einfachen Tricks beruht: Der Raum entsteht durch den eigenen Fußboden und die beiden Wände. Das Fenster ist eine Referenz, macht das Ganze zum Haus im Haus. Man sitzt da nicht nur drauf, sondern bewegt sich in einem Raum, und man liegt in dieser Kiste. Ein paar Projekte, die ich in der Vergangenheit realisiert habe, führten mich da hin.

Doch die Kiste ist zugleich offen, fast schon eine Bühne, oder?

Konstantin Grcic: Wenn man herumgeht um diese Bühne, braucht man nur einen Stuhl, dann hat man einen Arbeitsplatz. Obwohl das Gebilde in sich geschlossen ist, bietet es Öffnungen, stellt Beziehungen her. Das liegt auch daran, dass es nicht besonders hoch ist. Man kann sich darin zurückziehen. In diesem sehr großen Ausstellungsraum spürt man die Proportionen nicht so deutlich. Denn im Vergleich zu manchem aktuellen Sofa ist "Daybed" nicht wirklich groß. Und doch ist es etwas ganz anderes, wenn man an die Sensation denkt, sich in einem Raum im Raum zu bewegen.

So etwas kann man nur aus Plattenmaterial konstruieren, nicht aus massivem Holz. Dennoch erscheint "Daybed" als ein Objekt aus Holz. Wir hätten es lackieren oder streichen können, wollten aber das Holz sichtbar machen mit einem vier Millimeter starken Sägefurnier, dessen Struktur man an den Kanten auch erkennen kann. Dadurch bekommt es schon ein massiven Ausdruck. Das ist richtiges Holz, nicht nur ein papierdünner Aufkleber. Mit dem Furnierbild haben wir gespielt. Dadurch entsteht an verschiedenen Stellen der Eindruck von Balken. Man kann das als Deko sehen. Tatsächlich ist es eine rein ästhetische Entscheidung.

Es geht also um die sorgfältige Auswahl der Oberflächen?

Konstantin Grcic: Dadurch entsteht eine Lesart, die mir gefällt: Nicht die Platten, also die Flächen treten hervor, sondern ein dreidimensionaler Charakter. Die visuellen Balken, die sich durchziehen verstärken die Referenz an das Gebäude, an die Konstruktion.

Was hat es mit dem anderen Objekt auf sich?

Konstantin Grcic: Das hat uns zum Titel der Ausstellung verleitet: "Ceci n’est pas un mur" ("Dies ist keine Wand").

Also gibt es einen Bezug zu René Magritte und dem Surrealismus?

Konstantin Grcic: Auch das. "Wall" ist so groß und tief wie eine Wand, sieht aus wie der rohe Kern eines Gebäudes. Doch es ist eine große offene, veränderbare Struktur. Man erkennt Ebenen, ein Treppenhaus, unten vielleicht die Tiefgarage mit Stützen. Es gibt durchgehende Versorgungsschächte. Aber auch wenn ich das jetzt so beschreibe: Im Entwurfsprozess war das nicht das Leitmotiv. Dennoch wirkt es wie ein Maßstabs-Modell eines ziemlich großen Gebäudes. Und doch ist es ein Möbel...

...das zugleich an die frühe Moderne erinnert. Es zeigt eine Struktur, die dem Neuen Bauen zugrunde liegt.

Konstantin Grcic: Genau, da gibt es den Entwurf eines Standard-Skelettbaus "Dom-ino" von Le Corbusier von 1914. Für mich war das immer ein wichtiger Bezugspunkt. Dann hat Rem Koolhaas das auf der Architekturbiennale in Venedig als Nachbau aus Holz gezeigt. Das wäre tatsächlich das deutlichste Zitat, der engste Bezugspunkt, den ich hier verwende. Zugleich kann man es auch als Regal oder als ein Display sehen. Oder als Architekturelement in einem Raum, eine Trennung. Entsprechend hat "Wall" auch zwei unterschiedliche Seiten. Und das erklärt die Zeichnung: Es gibt drei Elemente, A, B und C, ein, zwei und drei Meter breit. Auch räumlich unterscheiden sich Vorder- und Rückseite. Am Rechner haben wir alle Möglichkeiten die drei Elemente zusammenzustellen mit ihren beiden Seiten durchgespielt. Das verdeutlichen die Zeichnungen. In der Ausstellung fangen wir nicht an, die Elemente umzubauen. Und doch ist da ganz viel Spiel möglich. Für wen das ist und was es ist? Ich kann es dir nicht sagen!

Was ist dein Antrieb für solche Projekte?

Konstantin Grcic: Für mich ist es Luxus, so etwas ausprobieren zu dürfen und bauen zu können, hier mit Hilfe eines jungen Schreiners aus Brindisi in Apulien. Er hat für Umberto Riva ziemlich viele Sachen realisiert. Handwerklich ist er sehr gut. Und er ist jemand, der einfach Lust hat, etwa anderes zu machen. Alles besteht aus Holz, mit sehr unterschiedlichen Volumina. Wir haben es einfach so gebaut. Dann wurde es überspachtelt und per Hand gestrichen. Denn ich wollte, dass man den Pinselstrich erkennen kann.

In deinem Werk gibt es neben dem Industriedesign immer wieder Projekte für Galerien, etwa für Kreo in Paris. Auch mit der Galerie von Roberto Giustini und Stefano Stagetti in Rom hast Du bereits zusammengearbeitet. Was ist der Reiz solcher Projekte?

Konstantin Grcic: Da gibt es einen Freiraum, den ich nutze, um gewisse Dinge auszuprobieren. Zu viele solche Dinge will ich nicht machen. Meine Welt ist eine andere. Aber die Industrie ist sehr konditioniert. Da gibt es immer wieder die gleichen Schwellen, die man scheinbar nicht überschreiten kann. Manchmal nutze ich meinen Freiraum, um es eben doch zu machen. Und manchmal entsteht daraus eine interessante Rückkopplung. Man merkt, dieses unmögliche Ding haben wir jetzt gebaut und plötzlich ist es gar nicht mehr so unmöglich. Und dann könnte tatsächlich etwas passieren, was wiederum zur Industrie zurückstrahlt. Das sehe nicht nur ich so, die Bouroullecs etwa praktizieren das. Für mich ist es eine sehr wertvolle Ergänzung. Es ist ein Weg, der immer mal wichtig wird. Zugleich gerät man schnell in eine merkwürdige Blase.

Also nicht zu viele freie Projekte?

Konstantin Grcic: Manche arbeiten ausschließlich in einer solchen Welt. Andere machen aus meiner Sicht zu viel in dieser Richtung. Mein Ansatz ist das nicht. Für mich resultiert daraus, Projekte für die Industrie anders und besser machen zu können und somit etwas zurückzubringen.

Hast du eine Erklärung dafür, weshalb die Entwicklung im Design derart stagniert? Ich komme seit Jahrzehnten nach Mailand und bin vielleicht zu alt. Man hat vieles schon gesehen und idealisiert die Vergangenheit. Dennoch gibt es bei allem Aufwand, der auch 2022 in Mailand getrieben wurde, eine deutliche Stagnation. Diese Wahrnehmung haben auch Jüngere. Was ist Deine Erklärung?

Konstantin Grcic: Ich bin schon länger frustriert. Diese Möbelmesse ist die erste nach zwei Jahren Pandemie. Seit Langem stehen Themen wie der Klimawandel auf der Agenda und jetzt kommt noch der Krieg dazu, mit Konsequenzen, die uns jetzt tatsächlich zwingen, viele Dinge anders zu denken und anders zu machen. So deutlich das ist, so langsam setzt sich die Industrie damit auseinander. Ich kenne die Industrie zu gut. Ich weiß, dass sich dieser Tanker nur ganz langsam bewegt.

Scheinbar funktionieren alte Zielsetzungen und Methoden noch zu gut, als dass der Druck zur Veränderung spürbar würde?

Konstantin Grcic: Das würde ich noch am ehesten gelten lassen. Ich bemerke aber eine totale Unsicherheit. Es ist dringend notwendig, Werkzeuge zu finden, um sich selbst aus dieser Unsicherheit zu befreien. Da ist eine totale Lethargie und völlige Planlosigkeit zu verspüren, Faulheit geradezu. Ich habe nicht viel Gutes zu sagen. Ich dachte, man sieht auf der Messe zumindest ein paar Unternehmen, die sich bewegen. Dabei habe ich nicht so sehr nach den Produkten gesucht. Mich interessiert, wie sich die Unternehmen darstellen. Das fängt mit dem Messestand an. Geht weiter mit der Auswahl, die sie dort zeigen. Gibt es irgendeine Aussage, die sie treffen? Und ich fand das sehr enttäuschend. Wer hat da irgendwas Relevantes gezeigt, gesagt oder auch nur angedeutet? Zumindest etwas, das einen so dann überzeugt hätte. Ich fand das schlimm. Auch ich stecke da mittendrin.

Aber das ist nicht allein deine Wahrnehmung?

Konstantin Grcic: Alle DesignerInnen führen diese Diskussion mit den HerstellerInnen. Wir versuchen da anzuschieben und vieles kommt nicht an, bleibt stecken. Ja, da gibt es die Pandemie, Lieferketten, die nicht funktionieren und andere Probleme und totale Unsicherheit. Pandemie und jetzt der Krieg. Das ist alles richtig. Aber dieses "Weiter so", kann nicht die Antwort sein. Ich empfinde das als extrem unangenehm.

Was könnte eine Antwort sein? Wie kommt man da raus?

Konstantin Grcic: Es gibt eine andere Generation, die sowieso mit der Industrie nichts zu tun hat und das auch nicht will.

Kennt diese Generation denn die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der Industrie?

Konstantin Grcic: Eher nicht. Dort finde ich auch keine Ansätze oder Antworten. Vielleicht ist aus Sicht dieser jungen Generation die Ablehnung verständlich. Im Moment sehe ich jedoch nicht, dass sich da etwas artikuliert und nach außen tritt. Aus der Ablehnung erwächst nichts. Es gibt keine relevanten eigenen Vorschläge. Es ist sonnenklar: Einfach in der eigenen Küche bleiben, um da ein neues Material auszukochen, das wird nicht funktionieren.

Zeichnung zu "Wall"

Spielen solche Fragen auch bei deiner Lehre an der HfbK in Hamburg eine Rolle?

Konstantin Grcic: Das sind Themen, die ich mit den Studierenden in Hamburg diskutiere. Auch sie wissen noch nichts von der Industrie. Dabei möchte ich sie gar nicht missionieren, aber zumindest versuche ich zu erreichen, dass sie etwas darüber wissen, was die Industrie im Grunde kann und wofür sie eigentlich stehen könnte. Sie könnte nämlich ein Vehikel sein, das wir brauchen, um Dinge zu ändern. Hast Du in Mailand Hamburger Studierende getroffen?

Die sind mir nicht aufgefallen.

Konstantin Grcic: Sie waren mit lila Westen unterwegs. Sie wollten in Mailand präsent sein. Aber es ist schwierig hier auszustellen, wenn man nicht die ECAL ist. Und was soll man als Hochschule zeigen? Und so haben wir es umgedreht und gesagt: geht nach Mailand und sammelt so viel ihr könnt. Sammelt Erfahrungen, aber auch Informationen. Sprecht mit Leuten, tauscht euch aus, lernt Leute kennen. Und nun sind sie ausgeschwärmt in ihren lila Westen und machen Interviews. Und ich bin sehr gespannt, was sie da zurückbringen.