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Alfredo Häberli thematisiert mit seinem Case Study House "Haussicht" das generationenübergreifende Wohnen.

STYLEPARK DALLMER
Aussicht auf ein neues Wohnen

Designer Alfredo Häberli hat im Allgäu ein Musterhaus für eine veränderte Wohnästhetik realisiert. Vom Wohnraum bis zum Bad zeigt es, dass sich ein neuer Anlauf für die Versöhnung von Gestaltung und Ökologie lohnt.
05.08.2017

Thomas Edelmann: In den vierziger Jahren entstand in Kalifornien ein Programm der so genannten Case Study Houses. Das bekannteste haben sich Charles und Ray Eames als Wohnhaus in Pacific Palisades gebaut. Mit der Fertigbau-Firma Baufritz haben Sie ein Haus in Erkheim im Allgäu geschaffen, das Sie ebenfalls Case Study House nennen. Welche Art Fallstudie ist das?

Alfredo Häberli: Das Haus von Charles und Ray Eames hat mich tatsächlich inspiriert. Ich kenne es von Bildern her und hatte mir vor langer Zeit überlegt: Mit 50 möchte ich ein solches Haus gebaut haben. Das war wie ein Traum, wie eine Vision von mir. Von Baufritz erhielt ich Carte Blanche. Ich war frei zu machen, was ich für richtig hielt.

Thomas Edelmann: Wie nutzt man eine solche Gelegenheit?

Alfredo Häberli: Ich stellte mir meine Situation vor: Eine Familie, zwei Erwachsene, mit zwei heranwachsenden Kindern, dazu meine Mutter, die aus Spanien zurückgekehrt ist. Ich hätte sie gern in der Nähe, aber nicht zu nahe. Daraus entstand die Idee des "Stöckli", eines separaten Gebäudes, das mit dem Haupthaus über einen Steg verbunden ist.

Oben wohnen, unten schlafen: Zugunsten der herrlichen Aussicht über die Landschaft im Allgäu hat Alfredo Häberli die traditionelle Anordnung der Räume abgeändert.

Thomas Edelmann: Sie thematisieren das Zusammenleben mehrerer Generationen in einem Bauensemble. Was ist daran exemplarisch?

Alfredo Häberli: Das "Stöckli" könnte im Laufe der Zeit viele Aufgaben übernehmen, es könnte Gästehaus sein oder für die Eltern, die ihr eigenes Leben führen oder aber für die Kinder, die langsam erwachsen werden, für eine gewisse Übergangszeit aber noch in Reichweite der Eltern leben.

Thomas Edelmann: Die Wandelbarkeit beschränkt sich aber nicht aufs "Stöckli"?

Alfredo Häberli: Wohnen sollte insgesamt veränderbar sein. Dazu sollten wir Grundrisse und Gewohnheiten überdenken. Mich hat interessiert, was passiert, sobald die erwachsenen Kinder das Haus verlassen. Wie wird der Raum dann gebraucht? Ich habe mir eine Situation ausgedacht. Denn es ist ja ein Musterhaus, keines in das wir tatsächlich einziehen. Wichtig war mir, den Räumen eine gewisse Neutralität zu geben, damit sie sich auch für eine zweite oder dritte Nutzung eignen. Das architektonische Rückgrat ist ein durchgehendes Element im Erdgeschoss, das zugleich Wand, Tür und Stauraum ist. Es ragt nicht ins Zimmer hinein, daher können die Räume sich ändern, ein Kinderzimmer kann zum Studio werden, vielleicht ist es ein Yoga-Raum oder man möchte einen Teil weiter vermieten. All das soll funktionieren.

Thomas Edelmann: Sollten wir unsere Wohn- und Bauweise überdenken? Woran mangelt es?

Alfredo Häberli: Ich las in einem Magazin, das ich mir kaufte, über Baufritz und die Firmenchefin, Dagmar Fritz-Kramer. In dem Artikel spürte man die Energie, die diese Person und die Firma verbreiten, dass sie bauökologisch einfach Top sind. Die Themen Ökologie, Vorfabrikation und Trockenbauweise sind etwas unerhört Zeitgenössisches. Noch ist es eine lächerliche Prozentzahl von Häusern, die so gebaut werden. Während ich die Fotoproduktion im fertigen Haus begleitete, spürte ich wie angenehm das Raumklima darin ist. Und auch das ist Teil des Case Study-Hauses. Über Baubiologie muss man reden. Es ist kein leichtes Thema, aber darin bestand die Herausforderung, zu zeigen, wie eine moderne Ästhetik mit baubiologischen Anforderungen harmonieren kann.

Die Räume erhielten von Alfredo Häberli mit hellem Holz eine angenehme Neutralität, die die Möglichkeiten der flexiblen Nutzung erhöht.
Die verspielten Entwürfe des Designers dürfen im "Häberli-Haus" nicht fehlen.

Thomas Edelmann: Die strengen Umweltstandards von Baufritz sorgten dafür, dass Ihre Möbel anfangs nicht in das Gebäude einziehen durften. Weshalb?

Alfredo Häberli: Möbelhersteller verwenden, um unsere Entwürfe umzusetzen, bestimmte Schäume oder Leime aus synthetischen Materialien, die im Gebäude weiter ausdünsten. Wir haben das nicht im Griff und wissen nicht, was da verwendet wird. Aber in dem Moment, in dem man die Auswirkungen misst, was Baufritz mit einem eigenen Baubiologen macht, kommen diese unsichtbaren Faktoren zum Vorschein. Es war eine schmerzhafte Erkenntnis, dass ein großer Teil meiner Entwürfe den strikten Anforderungen des Baubiologen nicht standhielten. Am Anfang war ich traurig, weil es schließlich ein Häberli-Haus sein soll. Aber es ist uns dann doch gelungen, besondere Stoffe einzusetzen, die dieses Problem nicht haben. Heute kann ich nicht mehr so tun, als wüsste ich das nicht. Zwei Projekte habe ich deshalb gestoppt. Mein neues Wissen hindert mich, gewisse Dinge zu machen. Das finde ich gut. Ich möchte, dass die Industrie das auch versteht. Wir müssen die Hersteller überzeugen, dass das ein wichtiger und gangbarer Weg ist. Ich wünschte mir, dass man die Latte höher legt.

Thomas Edelmann: Das "Konzepthaus Haussicht", so der offizielle Name des Projekts, zeigt einen neuen Bau- und Wohnstil. Woran macht sich das fest?

Alfredo Häberli: Auch bei uns am Zürichsee ist es die gängige Typologie: Unten Wohnen, oben Schlafen. Dabei hat man nachts gar nichts von der Aussicht. Die konventionelle Aufteilung von Wohn- und Schlaftrakt habe ich umgedreht. Im Erdgeschoss gibt es den Schlaftrakt mit den bodengleichen Bädern hinter einer relativ geschlossenen Fassade. Die Wohnräume mit Küche und Terrasse sind oben, dort wo man die Aussicht genießen kann. Das ist eine einfache Sache. Formal ist das Haus an ein großes Schiff angelegt, unten konzentriert es sich aufs Schlafen, die Beruhigung, oben ist es luftig und bietet den Blick in die Weite. Wichtig ist auch das bereits angesprochene Rückgrat im Erdgeschoss. Es ermöglicht, den Raum immer wieder neu zu nutzen. Das geht am besten, wenn man Räume schafft, deren Funktion nicht eindeutig festgelegt ist, in denen gespielt oder auch gearbeitet werden kann. Je nachdem, wer dort wohnt, entfalten sie ihren Nutzen. Diese Offenheit ist natürlich auch eine Art von Luxus.

Thomas Edelmann: Das Haus enthält eine Menge spielerischer Elemente. Eine drehbare, wandfüllende Tafel, hinter der sich ein Hauswirtschaftsraum verbirgt, ein drehbares Sitzelement mit mehreren Ebenen, verschiebbare Wände und bewegliche Sonnenschutzelemente aus gelochtem Aluminium. Muss Wohnen dynamischer werden, um wieder Spaß zu machen?

Alfredo Häberli: Ja, doch. Der Ernsthaftigkeit der Themen im Case Study-Haus, der Berücksichtigung der Bauökologie, oder der behindertengerechten Ausstattung des "Stöckli" stelle ich gern Spielerisches gegenüber. Das entspricht meinem Naturell. Es sind die Dinge, die ebenfalls eine wichtige Funktion besitzen, die sich mit etwas Augenzwinkern anbieten. Das macht das Leben auch aus. Wir sind manchmal einfach zu steif. Und mit solchen gestalterischen Dingen, die einen Mehrwert suchen, kann man das ein bisschen aufbrechen. Die Aluminium-Paneele schaffen ein spezielles Licht, die Löcher lassen die Sonne durch, wodurch ein Muster entsteht. Das tut dem Wohnen gut. Das ist nicht die sakrosankte Architektur, die sich selbst ein bisschen zu ernst nimmt. Ich habe es ausprobiert und es funktioniert. Mit diesen Dingen löse ich ein Lächeln aus.

Alfredo Häberli setzt gerne Kontraste: Die sachlichen Themen seines Hauses lockert er mit einem Augenzwinkern auf.
Detailverliebt: Wenn das Sonnenlicht durch die Aluminium-Paneele fällt, entsteht im Innenraum ein Muster.

Thomas Edelmann: Überraschend sind viele Details sowie die Verarbeitungsqualität, die auf ein besonderes Engagement der Hersteller einzelner Komponenten schließen lässt. Wie gelingt so etwas?

Alfredo Häberli: Wenn man entwirft, weiß man nicht immer, was es kosten wird. Es macht auch keinen Sinn, das vorher zu wissen. Ich habe meine Vorschläge, auch die verrückten, Frau Fritz-Kramer vorgelegt. Und sie sagte: "Das ist toll, wir machen es so." Man braucht schon eine Auftraggeberin, die sagt, das leisten wir uns. Das ist ein wichtiges Detail. Das Geländer aus gefalteten Aluminium-Elementen hielten manche Techniker für nicht machbar. Wie im Industriedesign haben wir Prototypen gebaut und gezeigt, dass und wie es geht. In der Architektur kann man sich das nicht immer leisten, weil es dazu Zeit und Mut braucht. Aber es braucht auch eine Handwerkskultur, wie sie im süddeutschen Raum sehr lebendig ist, es braucht Leute, die das realisieren können und an die Zukunft des Handwerks glauben. Und zudem das Unternehmen mit seinen riesigen Maschinen und seinem großen Knowhow.

Thomas Edelmann: Die Bäder im Haupthaus wie im "Stöckli" sind Teil des offenen Wohnkonzepts. Welche Idee steckt dahinter?

Alfredo Häberli: Ich habe möglichst große Platten verwendet, in diesem Fall Carrara-Marmor. Ein weiteres Anliegen war, dass man aus dem Bad auch hinausschauen kann, dass man ein Stück Natur sehen kann, was wir in beiden Hausteilen erreichten. Ich habe mich auf wenige Materialien reduziert. Marmor, Holz, Keramik fürs WC und Glas. Damit erreiche ich, dass die Bäder sehr ruhig wirken und der kompakte Raum viel größer erscheint. Die Wärme des Holzes findet sich bei den Lavabos, der Badewanne und den Hockern. Wir haben versucht, die Bäder so reduziert wie möglich zu gestalten. Die großen Marmor-Platten sollten kaum sichtbare Fugen haben. Insofern war auch die Duschrinne von Dallmer sehr wichtig. Das übliche Loch zur Entwässerung, das wir kennen, würde die ruhige Formensprache stören. Die Rinne dagegen lässt sich sehr genau anpassen und dient nicht nur dazu, dass Wasser ablaufen zu lassen, sondern trägt dazu bei, den Raum optisch zu beruhigen.

Thomas Edelmann: Das Material Marmor steht im Kontrast zum sonst sehr dominanten Holz. Was war die Intention?

Alfredo Häberli: Der Marmor hat gewisse Einschüsse von grau und beige mit einem warmen Weiß. Aber ja, es sollte einen Kontrast geben, der aber nicht nur den optischen Eindruck, sondern auch die haptischen Eigenschaften betrifft. Bei beiden Bädern gibt es den Gang mit Eichenparkett und versenkte Schiebetüren aus Eiche. So entsteht eine ganz klare Trennungslinie. Hier fängt Marmor an, von dort an beginnt das Holz, das ist optisch sehr schön. Wenn die Türen zurückgeschoben sind, spürt man die Nische des komplett ausgekleideten Bades.

Offene Badkuben aus weißem Marmor lassen die Routine zum Erlebnis werden. Für eine klare Formensprache sorgt auch die Duschrinne von Dallmer.
Reduzierte Formen und viel Holz als Material sorgen beim offenen Badkonzept für optische Ruhe.

Thomas Edelmann: Das "Konzepthaus Haussicht" ist kein Musterhaus im engeren Sinne. Welche Aufgabe hat das Gebäude? Bleibt es ein Prototyp?

Alfredo Häberli: Die Hauptaufgabe war, ein neues Bild für ein ökologisches, vorfabriziertes Systemhaus zu schaffen. Ein neues Bild, wie es auch die kalifornischen Case Study-Häuser erzeugten. Konkret gibt es viele Details, wie etwa das Geländer, die in anderen Häusern verwendet werden. Es ist aber nicht nur das. Im Küchen- und Wohnbereich im Obergeschoss ist es uns gelungen, einen 14 Meter langen, säulenfreien Raum zu kreieren. Das aber hergestellt und vorfabriziert im Unternehmen. Das sind technische Veränderungen, die einen viel freieren Grundriss ermöglichen. Einen gewissen Forschungsanteil, der sich auswirkt, hat das Projekt also auch. In der Schweiz entsteht derzeit ein Privathaus, das ich entwerfe und mit Baufritz realisiere. Normales, konventionelles Bauen kommt für mich nicht mehr in Frage. Das Konzepthaus "Haussicht" brachte die Familie dazu, es in Auftrag zu geben. So gibt es bereits mehrere konkrete Anfragen.

Thomas Edelmann: Als Designer entwerfen Sie meist einzelne Gegenstände, mitunter aber auch Raumkonzepte. Wie hat die "Haussicht" Ihre Arbeit verändert? Was ist der wichtigste Impuls?

Alfredo Häberli: Es hat mir gezeigt, dass wir die Verbindung von wirklicher Ökologie und Design kohärent machen können. Dass es in der Ästhetik da keine Kompromisse gibt und eine sehr hohe Latte in der Ökologie. Dass man ein solches Projekt ganzheitlich anschauen kann und dass dies in ein sehr anregendes reales Ergebnis münden kann. Deshalb werde ich nicht zum Papst des Ökodesigns, hinter meinen neuen Kenntnissen zurückfallen möchte ich auch nicht. Ich möchte locker bleiben, mein Augenzwinkern behalten. Aber das Projekt bringt einen veränderten Fokus. 

Der Anbau "Stöckli" ist durch einen Steg mit dem Haupthaus verbunden.
Mit "Haussicht" schafft Alfredo Häberli ein neues Bild für ein ökologisches, vorfabriziertes Systemhaus.