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Leonardo und sein Beleuchter
von Thomas Wagner | 05.05.2008

Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl", mit Tempera-Farben auf eine Wand im Refektorium der Kirche Santa Maria delle Grazie gemalt und besonders fragil, ist Mailands ganzer Stolz. Also hat man, wie immer nach einigem Hin und Her, dem Regisseur Peter Greenaway die Genehmigung aus Sorge um das mühsam restaurierte Wandbild schließlich doch verweigert, sein cineastisches Vorhaben rund um das „Cenacolo" am Ort des Originals selbst durchführen zu können. Auch ohne dessen Aura fiel das Spektakel freilich nicht weniger pompös aus, hat Greenaway im Palazzo Reale die Umrisse des Refektoriums doch rekonstruieren lassen - bis hin zu dem Portal mitten auf der Wand, auf der sich nun eine Kopie des Gemäldes befindet. Am Ende von Leonardo da Vincis „Paragone", seinem berühmten Streitgespräch darüber, wer die Vorherrschaft unter den „artes" beanspruchen kann, fällt das Lob des Sehens überraschend deutlich aus. Unter all den Erkenntnisweisen, die den ganzen Menschen erfassen, könnten, so Leonardo, vor allem jene Gefilde als vollendet gelten, in denen der Künstler agiert: in der Tätigkeit des Ingenieurs, was die Mechanik betrifft, und im Schaffen des Malers. Allein dieser dringe bis zum Kern der Entdeckungen der sichtbaren Welt vor. „Dem Auge", notiert Leonardo, „ist's zu danken, dass sich die Seele mit dem menschlichen Kerker zufrieden gibt, der ihr ohne das Auge zur Qual würde". Lieber verliere man das Gehör, den Geruch und den Tastsinn als die Sehkraft. „Siehst du denn noch nicht", ruft Leonardo emphatisch aus, „dass das Auge die Schönheit der ganzen Welt erfasst?"Anders als Leonardo vertraut Greenaways pathetisch-opernhafte Show nicht allein auf den Augensinn. Er agiert multimedial und synästhetisch, nutzt allerlei Effekte aus Licht und Klang. Zu artifiziellen Streicherklängen erstrahlt die in weißem Gips nachempfundene und mitten ins Publikum versetzte Tafel aus dem Gemälde - erst in kühlem Blau, später dann in Blutrot. „Das Leuchten des Lichts", ist bei Leonardo zu lesen, „das heißt der Glanz jedes beliebigen Dinges, liegt nicht in der Mitte des beleuchteten Teils, sondern wird sich so viel bewegen, wie sich das Auge des Betrachtes bewegt." Also bewegt Greenaway es reichlich, lässt das Auge beständig von einer Sensation zur nächsten eilen. Mal streicht beim Bemühen, das Geschehen medial zum Leben zu erwecken, der Schatten eines Fensterkreuzes über Jesus und seine Jünger, mal scheint es, als werde das Bild mit einem Handscheinwerfer Stück für Stück abgetastet, wobei der Heiland und seine Schar mit einem Mal so plastisch hervortreten, als handle es sich um farbig gefasstes Schnitzwerk. Dann wiederum strömt aus den drei Fensternischen im Hintergrund fächerartig Licht herein, werden Hände und Gesten spotartig beleuchtet.
Auf der gegenüberliegenden Wand erscheint plötzlich, ins Monumentale vergrößert, das Gesicht des Apostels Johannes, bis der Blick ins Mikroskopische kippt und nur noch die Farb- und Putzpartikel des maroden Gemäldes erscheinen. Wie von Geisterhand erheben sie sich von ihrem Untergrund und beginnen durch den imaginären Raum zu schweben, wo sie eine seltsame, schrundige Landschaft bilden.

Und was sollen wir nun glauben? Dass auch die Heilsbotschaft vom Zerfall bedroht ist? Dass sich die durch den medialen Raum fliegenden Farbpartikel wie von selbst zu einem Gemälde wie dem Leonardos zusammenfinden? Dass sich der Blick in der bloßen Materie verliert und sich die „Schönheit der ganzen Welt" in Staub auflöst? Am Ende ist es doch allein Leonardos Gemälde, das den Zauber ausmacht. Es ist sein Impuls, den Greenaway aufnimmt. Die Malerei ist eben doch die höchste Kunst und Greenaway nur ihr Beleuchter.

Alle Fotos von Luciano Romano for Change Performing Arts