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Die Küchenhilfe wird zum Küchenelf: Bosch und Siemens präsentierten auf der Living Kitchen den „MyKie“.

Sag mir, was ich kochen soll

Küchen und Autos haben im digitalen Zeitalter mehr miteinander gemein als man vermutet. Auf der Living Kitchen in Köln ließ sich beobachten, wie auch die Küche digital aufgerüstet werden soll.
von Thomas Edelmann | 01.02.2017

Der kürzlich verstorbene Grafikdesigner, Maler und Werber Karl Gerstner beschrieb das Essen frei nach Karl Marx als „Notwendigkeit und Freiheit“, als Ernährung ebenso wie als Genuss. Notwendigkeit, „damit das Feuer in unserem Organismus nicht ausgeht“, Freiheit, „um darüber hinaus ein Stück Lebenskultur zu gestalten.“ Ein solch emphatischer Begriff vom Essen ist uns heute eher fremd. Küchen haben sich als Orte der Selbstdarstellung von profanen Vorgängen der Essenszubereitung etabliert. Man kann mit und in ihnen kochen, muss es aber nicht. Ihre Gerätschaften und Möbel dienen zunehmend als unverzichtbare Staffage eines möglichst nahtlosen digitalen Lebensgefühls.

Die Zukunft gehört nicht nur im Auto dem Hologramm: Auf der CES in Las Vegas hat BMW das System „HoloActive Touch“ vorgestellt, mit dem man Klima, Entertainment und vieles mehr steuern kann.

Auch wenn sich Ausgangsituation und Grad der Komplexität unterscheiden, so kann man die Entwicklung von Küchen und Autos miteinander doch in Beziehung setzen. In beiden Sphären haben sich merkwürdige Vorstellungen von Autonomie etabliert. In der Küche sollen technische Verbesserungen zum immer schnelleren, mitunter auch besseren Ergebnis führen. Menschliches Zutun beschränkt sich zunehmend aufs Berühren von Touchscreens und aufs Scrollen durch Auswahlmenüs. Beim Auto hingegen sollen wir uns künftig auf alles andere konzentrieren können als aufs Fahren. Nicht mehr mit brennstoffbasierten Technologien, sondern mit digitaler Vernetzung ihrer Produkte, planen Autounternehmen in Zukunft Geld zu verdienen.

„BMW i Inside Future“ heißt eine Skulptur, die weniger auf das kommende Fahrzeugdesign abzielt als darauf, mit dem „HoloActive Touch“ ein wenig TV-Science Fiction ins Auto zu holen. Ein ins Wageninnere projiziertes Hologramm dient dabei der Aktivierung und Steuerung von Funktionen wie Klima, Heizung, Entertainment, Navigation und Kommunikation, die heute weit wichtiger erscheinen als die sprichwörtliche „Freude am Fahren“. Die auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas präsentierte Funktionsstudie gibt dem Nutzer einen kleinen Ultraschall-Impuls an die Fingerspitze, sobald er eine der virtuellen Tasten des Hologramms drückt.

Deine blauen Augen: „MyKie“ kennt den Kühlschrankinhalt.
Kein Bildschirm, sondern eine Dunstabzugshaube: die internetfähige „Perfect Air“ von Bosch.
Ob der kleine „Kuri" mehr kann als nur Pizza bestellen: Bosch entwickelt ihn in Kooperation mit Mayfield und will ihn schon bald auf den Markt bringen will.

​MyKie, der smarte Gesprächspartner

Auch Küchengerätehersteller wie Bosch, Siemens und Miele zeigten in Köln, wie sie sich die Kochzukunft vorstellen. Am Stand von Bosch und Siemens war „My kitchen elf“ – kurz „MyKie“ – als digitaler Assistent zu bewundern, der eines Tages als „smarter Gesprächspartner in der Küche“ bereitstehen soll. Bedient wird er über die Stimme des Nutzers. Das Gerät mit drehbarem tellerförmigen Kopf wird über eine Sprachsteuerung verfügen, kennt den Kühlschrankinhalt, weiß über Rezepte bescheid und darüber, wie lange der Kuchen noch im Ofen bäckt. Zudem dient er als Zentrale für weitere Home Connect-Hausgeräte. Bosch arbeitet über das Start-up-Unternehmen Mayfield Robotics derzeit an einem beweglichen Home Roboter namens Kuri, der Ende des Jahres auf den US-Markt kommen soll. Schon heute aber präsentiert Bosch in Köln, wie sich die neuesten Backöfen mit „Amazon Echo“ per Sprache steuern lassen.

Noch ist fraglich, wozu das gut sein soll, aber auch, welche dieser Techniken sich wohl durchsetzen wird und wo letztlich die Wertschöpfung geschieht. Insgesamt stellte Bosch seinen Stand auf der Living Kitchen unter das Motto  vom „perfekten Ergebnis“, was weniger mit Übung, Erprobung oder Handfertigkeiten der Zubereitung zu tun haben soll, sondern mit einer ausgefeilten Sensorik. Sie trägt dazu bei, dass im Kochtopf wie in der Bratröhre die exakt vorgegebenen Temperaturen herrschen und somit nichts schief gehen kann. Ästhetisch ansprechend umgesetzt hat dies mit neuen Produkten, die einfallsreich präsentiert wurden, Chefdesigner Robert Sachon mit seinem Designteam.

Mit Schlauchgarage: Hansgrohe hat sein „Select"-System mit Ausziehbrause für die Küche perfektioniert.
Kochen aus dem Internet leichtgemacht: Nolte setzt auf einen Miniprojektor.
Ist es noch eine Küche oder schon ein Wohnraum: das neue Möbelprogramm „filigno“ von Team 7.

​Küche und Wohnraum aus einer Hand

Ein anderes Verständnis des nahtlosen Übergangs zwischen Küche und Wohnraum wird bei Team 7 deutlich. Das österreichische Unternehmen (mit 86 Prozent Exportquote) bietet mit „filigno“ ein neues Massivholz-Programm an, das auf einer eigens entwickelten, nur zwölf Millimeter dünnen Dreischichtplatte mit Schattenfuge und Hirnholzeinleimer basiert. Zusammen mit dem bislang hauptsächlich für Badgestaltung bekannten Designer Dominik Tesseraux aus Potsdam und Team 7-Chefdesigner Sebastian Desch entstanden eine Küche wie auch ein Möbelsortiment mit Anrichte, Highboard und Regalen. Die Korpusse lassen sich ineinander verschachteln, die Kücheninsel bietet zugleich eine hohe Arbeits- und eine niedrigere Speiseebene. Finessen wie beleuchtete Elemente, Glastüren und Böden sowie Keramik-Oberflächen runden das Programm ab.

Die Möglichkeit, den Wohn- und Küchenraum aus einer Hand und mit einer durchgehenden gestalterischen Sprache zu planen, bedarf freilich des Imaginationsvermögens der Messebesucher. Denn die Marktlogik führt dazu, die nahtlose Produktidee auf zwei Stände und damit zwei Besucher- und Vertriebswelten aufzuteilen. „Für uns ist wichtig, mit einem separaten Stand auch die Küchenkompetenz der Marke zu unterstreichen“, sagt Georg Emprechtinger, der geschäftsführende Eigentümer von Team 7. Für die Küchen bestehe eine eigene Außendienstmannschaft, ein eigenes Produktmanagement und ein eigenes Technik-Team. In Wirklichkeit sei es beinah eine eigene Division, erklärt Emprechtinger. Und: „Der Erfolg gibt uns recht.“ In der Kommunikation allerdings werden Küchen und Möbelsparte gemeinsam gezeigt.

Die Idee, den gesamten Wohnraum, ausgehend von der Küche, mit eigenen Möbel-Programmen zu bespielen, findet sich auch bei anderen Herstellern. Seit Jahren hat etwa Leicht Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln können und setzt nun auf die Farben Le Corbusiers (ein Interview mit Geschäftsführer Stefan Waldenmaier finden Sie hier), die auf den zeitgenössischen Möbelkuben eine gänzlich andere Wirkung entfalten als auf den 1925 von Le Corbusier und Pierre Jeanneret entworfenen und 1978 von Charlotte Perriand für die Produktion überarbeiteten „Casiers Standard“, die Cassina neu aufgelegt hat und als ubiquitäre Möbel auch für die Küche vorsieht.

Am Stand von Frame und Creative#olland: Helmut Smits zerlegt Coca Cola wieder in seine Bestandteile.
Die Palette stammt von Le Corbusier: Bei Leicht Küchen setzt man auf besondere Farbgebung.

Neue Allianzen

Profitieren Küchen- und Möbelmarken von neuen Allianzen, wie sie vor allem in Italien entstehen? Valcucine zeigte auf dem Stand zwar ein Riesen-iPad namens „Genius Loci“, eine Küche, deren Front sich mit einer Wischbewegung in die Höhe bewegt. Ringsum aber werden Möbel des Partnerunternehmens Driade gezeigt. Richtig überzeugend wirkt das noch nicht. Mit viel Understatement hat dagegen B&B Italia den neuen Partner Arclinea ins eigene Standumfeld integriert. Luxusküche inmitten eines Luxuslofts, das passt.

Jede Menge Technik

Daneben gab es viel Technik bei Küchenherstellern. So präsentierte Nolte einen Sony-Miniprojektor für Rezepte und das Surfen im Internet. Wichtiger war wohl die unsichtbar integrierte Induktionsplatte. So etwas sah man bislang hauptsächlich bei Boffi. Sogenannte Innovationen – was immer man darunter verstehen mag – präsentierten vor allem Zulieferer. Hansgrohe hat etwa mit Phoenix Design 16 neue Spülenvarianten aus Edelstahl entwickelt. Zugleich wurde eine Küchenarmatur mit perfektionierter Ausziehbrause vorgestellt. Im Paket will das Unternehmen „komplette aufeinander abgestimmte Lösungen für die Küche“ anbieten.

Einen Gegenpol zum perfekt Vorgekochten bildete der Stand der Zeitschrift Frame und Creative#olland. Die Installation „Real Thing“ von Helmut Smits zeigte, was herauskommt, wenn Coca-Cola im Labor in seine Bestandteile zerlegt wird. „Es muss Gedichte lesen lernen, wer Gedichte schreiben will“ behauptete Karl Gerstner in seinem Buch „Avant Garde Küche – Prinzipien statt Rezepte“. Das Buch ist 1990 erschienen. Damals musste noch „Gerichte essen lernen, wer Gerichte kochen will.“ Tempi passati.

Sesam öffne dich: Mit einer Handbewegung lässt sich die Front der Valcucine Küche „Genius Loci“ öffnen.