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IMM COLOGNE 2020 | FEATURED
Ein Sofa zum Leben

Luca Nichetto hat für Rolf Benz das Sofasystem "Liv" entworfen. Wir haben den Designer in seinem Stockholmer Studio besucht und mit ihm über universelle Schönheit, die Natur als Designer und das Verschmelzen deutscher und italienischer Tugenden gesprochen.
Text von Fabian Peters, Fotos von James Stokes | 11.01.2020

Fabian Peters: "Liv" heißt das neue Sofa, das Du für Rolf Benz entworfen hast und das auf der imm cologne 2020 Premiere feiert. Mit diesem Namen hat es eine ganz besondere Bewandtnis, oder?

Luca Nichetto: Zum einen bedeutet "Liv" auf schwedisch "Leben". Das erschien uns sehr passend, weil unser Sofa dazu einladen soll, wirklich mit ihm zu leben. Zum anderen ist Liv aber auch der Name meiner Tochter.

Rolf Benz hat ja bereits eine breite Palette an Polstermöbeln im Programm. Letztes Jahr ist mit Werner Aisslingers "Addit" bereits ein hoch zeitgemäßes Sofasystem dazugekommen. Was war das Briefing für "Liv"?

Luca Nichetto: Rolf Benz wünschte sich nicht weniger als ein Sofasystem, das überall auf der Welt und in beinahe jeder Umgebung funktioniert. Das heißt, es soll ganz unterschiedlichen Nutzergewohnheiten gerecht werden. In Skandinavien sind die Sofas zum Beispiel traditionell relativ hoch, während man es in Italien eher niedrig und loungig mag. Beides sollte mit "Liv" darstellbar sein.

Das klingt nach einer anspruchsvollen Aufgabe! Gab es so etwas wie eine Ausgangsüberlegung, mit der ihr gestartet seid?

Luca Nichetto: Wir wollten ein modulares System entwickeln, dass deutsche Ingenieurskunst mit einem Touch italienischem Design verbindet. Ganz entscheidend war für uns beim Entwurf, dass die Stärken von Rolf Benz voll zum Tragen kommen. Neben der unglaublichen handwerklichen Qualität hat uns vor allen Dingen die Fähigkeit des Unternehmens fasziniert, seinen Kunden praktisch jede denkbare Konfiguration eines Möbels anbieten zu können. So etwas kennt man vielleicht aus der Autoindustrie – bei einem Polstermöbelproduzenten hatte ich das dagegen noch nie erlebt. Ich vermute, es ist weltweit einmalig.

Ein Sofa zu entwickeln, dass auf allen Kontinenten zu Hause und in fast unbegrenzten Kombinationen lieferbar ist – das erscheint beinahe als eine "Mission Impossible"?

Luca Nichetto: Ja, das ist ein wenig eine "Mission Impossible"! (lacht) Aber als Designer habe ich immer den Ehrgeiz, etwas zu schaffen, was jedem Menschen überall auf der Welt gefällt. Und ich denke, das ist ein guter Ehrgeiz. Denn er treibt mich an, die größtmögliche Anstrengung zu unternehmen, um mein Ziel zu erreichen. Ich glaube, ein Designer braucht diesen Glauben an sich selbst – den Glauben, für jeden Menschen Schönheit schaffen zu können. Letztendlich ist das Wesentliche meiner Designs – egal, in wie vielen Varianten sie lieferbar sind – dass sie meine Persönlichkeit, meine Erfahrungen und meinen Überzeugungen widerspiegeln.

"Liv" ist praktisch in jeder Größe konfigurierbar. Kann es da trotzdem so etwas wie eine einheitliche ästhetische Wirkung geben, die das Sofa in allen Ausführungen erzielt?

Luca Nichetto: Wir wollten durchgängig einen leichten, eleganten Eindruck erreichen. Das Sofa soll fast schwebend wirken, nichts soll schwer und massig sein. Mir ging es bei der Gestaltung weniger um die Ästhetik, als darum, ein Gefühl zu vermitteln. "Liv" soll den Komfort ausstrahlen, den man beim Sitzen verspürt – und zwar unabhängig davon, ob es als Sitzlandschaft in einer Villa in Miami steht oder als Zweisitzer in einem Mikroapartment in Hong Kong.

Welche Rolle spielen Farben und Materialität für Dich?

Luca Nichetto: Farben und Materialien sind bei meinen Entwürfen von zentraler Bedeutung. Für mich ist es undenkbar, ein Design zu entwickeln, ohne das man sich über diese beiden Eckpfeiler klargeworden ist. Farben und Material sind für mich niemals beliebig austauschbar.

Deine Designs zeichnen sich durchgängig durch ein bemerkenswertes Gespür für Farbnuancen aus. Wie hast Du die Farbwelt für "Liv" entwickelt?

Luca Nichetto: Es klingt ein wenig abgedroschen, aber die Natur ist immer der beste Designer. Ein enger Freund, der Fotograf Massimo Gardone, macht wunderbare Aufnahmen von Blumen. Vor Jahren haben wir in Zusammenarbeit mit dem Skandinavischen Farbinstitut aus diesen Naturaufnahmen eine Farbpalette entwickelt, auf deren Grundlage wir seitdem unsere Entwürfe entwickeln. Für "Liv" ging es uns darum, dass die Farbwelt Wärme vermittelt. Dunkelrot und Ockertöne spielen deshalb eine wichtige Rolle.

Welche Bedeutung hat die technische und handwerkliche Expertise von Rolf Benz für Euren Entwurf?

Luca Nichetto: Dieses Können ist einer der Schlüssel für unsere Designs. Bestimmte Details, etwa die Füße und den Rahmen aus Metall, konnten wir überhaupt nur deswegen so gestalten, weil wir wussten, dass bei Rolf Benz die Kompetenz vorhanden ist, solche Teile in höchster Präzision zu fertigen. An diesen Elementen zeigt sich für mich auch das typisch deutsche Qualitätsbewusstsein, das an "Liv" genauso ablesbar sein sollte, wie die italienische Handschrift des Designers.

Du hast ergänzend zu dem Sofa auch noch weitere Möbel entworfen.

Luca Nichetto: Ich versuche immer, ein großes Möbel, wie hier das Sofa, mit kleineren Entwürfen zu bereichern, die der Designidee einen anderen Spin geben. Gemeinsam mit den Polsterelementen haben wir zwei Tische gestaltet, die die Formensprache und Materialität des Sofas exakt aufgreifen. Unser Couchtisch zum Beispiel ruht auf einem Gestell, das von der Unterkonstruktion des Sofas abgeleitet ist. Ein kleiner Beistelltisch, der ebenfalls einen Rahmen aus Metall besitzt, bringt dagegen eine etwas spielerische Note in die Kollektion.

Und das Sofa selbst kann um Anbauelemente ergänzt werden.

Luca Nichetto: Richtig! Man kann "Liv" um Regale mit Ablageflächen erweitern. Sie beziehen ihren optischen Reiz von den Einlegeplatten aus Naturstein oder Glas – dieselben Materialien, die wir auch für die Platten der Tische verwenden. Die Regale können an die Stelle der Seiten- oder Rückelehne treten. So hat man seine Bücher, sein iPad oder auch den Schnuller für sein Kind sofort zur Hand. Unsere Idee war es tatsächlich, mit "Liv" ein Sofasystem zu schaffen, das sich auf beinahe jede Situation des Lebens zuschneiden lässt.