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Professor Christoph Mäckler

Die Stadt als Bauwerk

Professor Christoph Mäckler ist Architekt, Stadtplaner sowie Gründer und Direktor des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst an der TU Dortmund. Mit wegweisenden Projekten hat er den deutschen Städtebau entscheidend mitgeprägt. Warum Nachhaltigkeit, Vielfalt und Ästhetik essentiell für die Zukunft der europäischen Stadt sind und er die Idee der autofreien Innenstadt ablehnt, erklärt er uns im Interview.
02.06.2021

Anna Moldenhauer: Herr Prof. Mäckler, "Das Leitbild jeglicher städtebaulichen Planungen in Deutschland muss das eines nachhaltigen, dauerhaften und schönen Bauens sein" – heißt es in den 2010 veröffentlichten "10 Grundsätzen zur Stadtbaukunst heute" vom Deutschen Institut für Stadtbaukunst, dessen Gründer und Direktor Sie sind. Nachhaltigkeit, Schönheit, was bedeuten diese Begriffe für Sie im architektonischen Kontext konkret?

Prof. Christoph Mäckler: Die europäische Stadt ist vielfältig. Es geht nicht um einen individuellen Architekturstil. Das, was gebaut wird und in Folge den städtischen Raum ausmacht, sollte so gestaltet sein, dass wir uns in diesem wohlfühlen. Es geht darum, die Stadt als Bauwerk zu sehen. Unsere Gebäude müssen den städtischen Raum stärken, die Architektur muss den Ort, den Platz, die Straße besser machen. Die städtebaulichen Kriterien hierfür haben wir als ArchitektInnen in unserer Ausbildung nicht mehr vermittelt bekommen. Wir müssen uns dieses Wissen wieder aneignen.

Was hat man einst in der Stadtbaukunst verstanden, was heute nicht mehr gilt?

Prof. Christoph Mäckler: Die Städte waren früher von Mauern umgeben, der verfügbare Platz war begrenzt. Es wurde sehr dicht gebaut – Dichte, das ist eines der wesentlichen Elemente für die europäische Stadt. Denn wo Dichte ist, sind auch viele Menschen, da ist Leben. Es gab Gassen, Straßen und Plätze zwischen den Häusern. Über die Jahrhunderte haben sich so ganz selbstverständlich private städtische Räume entwickelt, wie Höfe oder Gärten und öffentliche städtische Räume in Form von Straßen und Plätzen. Heute gibt es diese Abgrenzungen kaum noch. In unseren Neubauvierteln wird das "Hinten" in Form eines Hofes, eines Wohn- oder Gewerbehofes, nicht mehr realisiert. Die für das städtische Leben so wichtige Trennung von Hinten und Vorn, also von privatem (Hof-)Raum und der öffentlichen Straße ist weitgehend aufgehoben, es findet eine Vermischung statt. Wir bauen heute "mit Grünflächen", in die wir unsere Wohnhäuser setzen. Aber was ist eine Grünfläche? Wir müssten wieder lernen von einem Boulevard zu reden, von einer Allee, von einem städtischen Park, von Gassen und Straßen. Für die verschiedenen Grünflächen gibt es im Städtebau ganz klare Determinanten. Wir müssen das stadträumliche Verständnis zurückgewinnen, statt die Ideen des Neuen Bauens, die durchgrünte aufgelockerte Bauweise, einfach weiterzuführen.

Sprich, die gesellschaftlichen Bedürfnisse an Architektur haben sich verändert.

Prof. Christoph Mäckler: Ja, durchaus.

Sie schätzen zudem die Ästhetik im Städtebau, warum?

Prof. Christoph Mäckler: Der öffentliche Raum ist der Sozialraum unserer Demokratie, das Wohnzimmer der Stadt. Früher waren die Straßenfassaden entsprechend geschmückt und gut proportioniert, das Haus hatte ganz klar erkenntlich eine Vorder- und eine Rückseite. Diese Ästhetik führte dazu, dass man sich im öffentlichen Raum gerne aufgehalten hat. Gerade in der Pandemie ist der Bedarf an Schönheit, an Vielfalt, deutlich geworden. Die europäische Stadt bietet einen Raum, in dem es etwas zu sehen, zu erleben gibt, sie ist nicht gleichförmig. Und das macht ihren Reiz aus.

In der "Düsseldorfer Erklärung zur Reform der städtebaulichen Gesetzgebung" von 2019 fordern Sie gemeinsam mit weiteren hochrangigen Initiatoren eine klare Trennung von öffentlichen und privaten Räumen, eine gute und dauerhafte Gestaltung von Häusern, Plätzen, Straßen, eine funktionale Vielfalt, eine soziale Vielfalt sowie eine urbane Dichte und die Reform der aktuellen städtebaulichen Gesetzgebung. Ist das nicht etwas viel verlangt?

Prof. Christoph Mäckler: Sie haben Recht, das sind viele Punkte. Und genau das ist der Grund, warum der europäische Städtebau so verheerend aussieht. Wir benötigen beispielsweise eine Nutzungsmischung. Wir sollten aufhören, unsere Stadt in Gewerbegebiete und Wohngebiete zu unterteilen und uns stattdessen auf Haustypen besinnen, die eine funktionale Mischung fördern. Wie das Flügelhaus mit Innenhof – der kann je nach Bedarf ein Gewerbehof oder Wohnhof sein. Die heutigen Neubauviertel bieten diese Flexibilität nicht mehr, sie sind tagsüber verwaist, weil sie meist ausschließlich aus Wohngebäuden bestehen. Dort ein Café zu eröffnen, würde sich beispielsweise nicht lohnen. Auch dank Aufgrund der aktuellen gesetzlichen Bestimmungen, wie der Baunutzungsverordnung und der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm sind funktional vielfältige Stadtquartiere kaum noch umsetzbar.

Dazu kommt die klare Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Raum in der Stadt. Wenn es einen privaten Wohnhof gibt, müssen Familien nicht zwangsweise auf einen öffentlichen Spielplatz ausweichen. Ich habe selbst fünf Kinder und weiß, was das bedeutet. Zudem ist eine soziale Vielfalt von großer Bedeutung, früher war es selbstverständlich, dass der Schornsteinfeger und der Professor Tür an Tür gewohnt haben. Zwei völlig unterschiedliche soziale Schichten wohnten auf einem Hof, auf einem Grundstück. Sie waren Teil einer Hausgemeinschaft, statt voneinander abgeschottet zu leben. Diese soziale Vielfalt ist das Lebenselixier der europäischen Stadt.

Das finde ich einen schönen Gedanken, dem gegenüber steht für mich die unvermeidliche Gruppierung der sozialen Schichten aufgrund der jeweils unterschiedlich hohen Mieten und Einkommen. Wie kann die Architektur helfen, allen MitgliederInnen der Gesellschaft gleichberechtigt die Möglichkeit zu gewähren, den Stadtraum zu erleben?

Prof. Christoph Mäckler: Die Frage gefällt mir. Dafür gab es früher unterschiedliche Haustypen, sogenannte Flügelhäuser mit Höfen, die jede Gesellschaftsschicht berücksichtigten. Im Deutschen Institut für Stadtbaukunst entwickeln wir aktuell städtische Haustypen, die beispielsweise große Wohnungen im Vorderhaus bieten und kleinere im Anbau. Diese unterscheiden sich schon durch ihre unterschiedlichen Größen in der Miete – und schon ist eine soziale Mischung möglich. Das fehlt heute. Stattdessen bauen wir geförderten Wohnungsbau außerhalb der Innenstadt und gestalten jede Wohnung gleich. Diese Häuser haben die Form eines Schuhkartons mit gleichen Fassaden. Es fehlt ihnen die Rückseite, an der sich ein Hof oder ein Garten anschließt, der als erweiterte Wohnfläche für die Bewohner eines Hauses verstanden werden muss. Es darf nicht sein, dass Familien heute keinen bezahlbaren Lebensraum mehr in der Stadt finden. Ebenso ist es wichtig zu verstehen, dass wir Haustypen brauchen, die unterschiedliche Lebensabschnitte bedienen können. Ich beobachte auch in meinem Umfeld eine Orientierung vom Land zurück in die Stadt, sobald die Kinder aus dem Haus sind. Die Stadt bietet einfach mehr Vielfalt, seien es Kulturangebote oder Einkaufsmöglichkeiten.

Ein Thema der vielfältigen Stadt ist auch der Verkehr. Die Diskussion um die Idee der autofreien bzw. autoreduzierten Innenstadt polarisiert aktuell, wie stehen Sie dazu?

Prof. Christoph Mäckler: Auch hier zählt die Vielfalt, alle Verkehrsmittel sollten gleichberechtigt die Straße nutzen können. Wir müssen weg von diesen Ideologien. Statt aus ganzen Stadtabschnitten durchgängig den Autoverkehr herauszunehmen, wäre eine flexible Lösung sinnvoll. So sollten wir beispielsweise auch die Fußgängerzonen wieder so gestalten, dass sie für den Autoverkehr geöffnet werden können.

Als Argumente werden seitens der BefürworterInnen unter anderem eine erhöhte Lebensqualität und der Umweltschutz genannt. Wie ist da Ihre Meinung?

Prof. Christoph Mäckler: Ich halte davon gar nichts. Wir müssen uns einfach wieder angewöhnen, im Städtebau langfristig zu denken. Wenn ich angesichts der Entwicklungen in der Elektromobilität weiß, dass es in absehbarer Zeit das Auto mit Ottomotor nicht mehr geben wird, dann muss ich jetzt dafür planen. Wir können nicht unsere Steuergelder dafür verwenden, alle fünf Jahre eine neue Straße zu bauen. Man kommt mit dem Fahrrad in der Stadt schneller von A nach B als mit dem Auto, aber das darf nicht heißen, dass der Individualverkehr gänzlich aus diesem Raum verdrängt werden sollte. Es gibt viele Menschen, die auf das Auto angewiesen sind. Mit 80 Jahren fährt man nicht mit dem Fahrrad durch die Stadt. Für die Lebendigkeit und auch für den Handel in der Stadt braucht es einen gewissen Verkehr. Das Selbstverständnis der jeweiligen VerkehrsteilnehmerInnen, mit ihrer Perspektive ausschließlich im Recht zu sein, führt uns nicht weiter. Städtisches Leben verlangt nach Vielfalt auch im Bereich der Fortbewegungsmittel.

Wie können ArchitektInnen das soziale Miteinander unterstützen?

Prof. Christoph Mäckler: Indem wir vernünftig planen. Schauen Sie nach Stockholm oder Kopenhagen, dort sind die Straßen im Sinne aller VerkehrsteilnehmerInnen ausgebaut und die Schönheit des Stadtbildes ist dabei berücksichtigt worden. Die Straßen nur mit Markierungen für die Verkehrsgerechtigkeit und roter und weißer und Farbe vollzukleistern, kann wohl sicher keine Lösung sein. Die Stadt ist unser Sozialraum, unser städtischer Wohnraum, den kann man nicht nur funktionalistisch denken. Die Schönheit der Stadt ist von immenser Bedeutung. Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz, langfristige Planung und ein Miteinander.

In einigen europäischen Städten wird die Idee der autoreduzierten Innenstadt bereits streckenweise erprobt, wie in Frankfurt am Main am Beispiel der Sperrung des Mainkais. Wie sehen Sie diese Ansätze?

Prof. Christoph Mäckler: Das sind parteipolitische Ideologien. Den Individualverkehr zwischen den beiden Mainbrücken herauszunehmen, ist schon deshalb fragwürdig, weil sich diese Straße neben einer großzügigen Parkanlage entlang des Mains mit breiten Gehwegen und Ruhezonen befindet. Darüber hinaus haben alle Häuser, die dort stehen, ihre Eingänge auf der Rückseite, das bedeutet, auf diesem Straßenabschnitt findet also kein Leben der Anwohner statt. Und es dient dem Verkehr in der Stadt allgemein nicht, wenn wir diese Ost-Westverbindung schließen, von denen wir nach Schließung der Zeil nur noch die Berliner Straße haben.

Was wäre Ihr Gegenvorschlag?

Prof. Christoph Mäckler: Ich könnte mir gut vorstellen, dort den Schwerlastverkehr herauszunehmen, breite Fahrradwege anzulegen und die Straße auch optisch als attraktive schöne Stadtstraße zu gestalten. Die Markierungslinien wie auf der Autobahn verleiten die AutofahrerInnen unnötig zu einer schnellen Geschwindigkeit.

Ist das überreichliche Markieren von Straßen ein deutsches Phänomen?

Prof. Christoph Mäckler: Absolut. Das ist deutsches Legolandverständnis, alles muss 150 Prozent sein. In Mailand oder Paris gibt es im Vergleich zu deutschen Städten kaum keine weißen Streifen auf der Straße und die Verkehrsführung funktioniert trotzdem. Städtisches Leben sollte nicht so organisiert sein, dass nur eine Funktion den Vorrang hat.

Hat die Pandemie Ihrer Ansicht nach etwas an dem gemeinheitlichen Verständnis des städtischen Lebens verändert?

Prof. Christoph Mäckler: Ja, aber nicht in grundsätzlichen städtebaulichen Fragen. Vielleicht führt die Pandemie oder auch die klimatischen Veränderungen langfristig dazu, dass wir endlich verstehen, dass wir in der Stadt Parks und Alleen brauchen, die Sauerstoff produzieren. Ich denke auch, dass sich die Nutzung der Hochhäuser im Zuge des neuen Arbeitens verändern wird. Wenn sich der Lebensmittelpunkt der MitarbeiterInnen dank der Digitalisierung verschiebt, da sie auch im Homeoffice arbeiten können, benötigen die Unternehmen auch weniger Mietflächen. Damit kann sich der Verkehr in den Ballungszentren verringern und das verändert langfristig gesehen auch die Infrastruktur.

Würden Sie sagen, ArchitektInnen waren zu lange Zeit auf eine Eventarchitektur fokussiert, und weniger darauf, dass der Entwurf dem Ort wirklich dient?

Prof. Christoph Mäckler: Ja, leider. Zumindest bei einigen sogenannten Stararchitekten Ich glaube, dass die Architektur streckenweise hilflos geworden ist, weil sie nicht weiß, wie sie auf den städtischen Ort einzugehen hat. Das hat auch etwas mit unserer Ausbildung zu tun, essentielle Inhalte fehlen. Bei Hochhausbauten sind nicht irgendwelche spektakulären skulpturellen Gebäudeformen entscheidend, sondern der Gebäudesockel. Wenn ich diesen offen gestalte, eine Belebung mitdenke, wie wir es bei dem Entwurf des Opernturms in Frankfurt umgesetzt haben, dann beeinflusst das Hochhaus auch die städtische Umgebung positiv. Ist eine Architektur städtebaulich gedacht, kann sie dafür sorgen, dass das städtische Leben tatsächlich stattfindet.

Gibt es in diesem Kontext ein internationales architektonisches Beispiel Ihrer KollegInnen, das Sie in letzter Zeit beeindruckt hat?

Prof. Christoph Mäckler: Ich finde die Elbphilharmonie von Herzog & De Meuron ein sehr gelungenes Beispiel städtischer Architektur. Die Nutzung ist vielfältig angelegt, es gibt neben dem Großen Saal ein gastronomisches Angebot und ein Hotel. Das Gebäude steht frei und – das ist für mich ausschlaggebend – auf einem Ziegelsteinsockel. Dieser Sockel verortet es in den Hamburger Kulturraum Hafen. Da ist der Schmuck obendrüber im Grunde egal, das kann dann auch Eventarchitektur sein. Die Architektur ist ganz klar für den Ort entworfen worden, sie könnte nicht 1:1 in München oder Frankfurt wiederholt werden.

Während der Vorbereitung zu diesem Interview habe ich zudem gelesen, dass Sie nicht viel von der Idee halten, Fassaden oder Dächer zu begrünen. Warum ist das so?

Prof. Christoph Mäckler: Für mich ist das Augenwischerei. Wir glauben doch nicht ernsthaft, dass wir unsere Welt ökologischer machen, indem wir die Dächer der Gebäude begrünen. Es braucht offene Böden, Hofräume, in denen große Bäume wachsen können, die uns als Staubfilter und Sauerstofflieferant dienen. Bei der Fassadenbegrünung hört es für mich ganz auf. Nicht jeder Mensch möchte zwischen Mäusen und Spinnen leben. Jeder Stadtpark ist wertvoller als diese Fassadenbegrünung.

Durch Ihre langjährige Lehrtätigkeit an der Technischen Universität in Dortmund haben Sie einen guten Einblick in die Stadtplanung des dichtbesiedelten Ruhrgebiets erhalten. Schaffen die Städte dort etwas was für Sie vorbildlich ist?

Prof. Christoph Mäckler: Es gibt im Ruhrgebiet einige Städte, die vorbildlich arbeiten, indem sie Stadt als zu gestaltendes Bauwerk und nicht nur als Planungsprozess verstehen. Der Planungsamtsleiter im Bochum beispielsweise ist von seiner Ausbildung her Architekt und versteht damit etwas von Planung von Stadträumen. Sein Dezernat unterstützt dieses Vorgehen, Stadtraum zu entwerfen. Er versucht, neue Wege zu gehen, indem er Stadtquartiere schafft, in denen man sich gerne aufhält, die eine gewisse Dichte bieten und beispielsweise unversiegelte Höfe besitzen. Das ist schon herausragend. Im westfälischen Münster finde ich zudem den Beirat für Stadtgestaltung, dem ich vorsitze und schon lange angehöre, vorbildlich – denn die lokalen PolitikerInnen sind Mitglieder im Gestaltungsbeirat und wir diskutieren die Planungen gemeinsam. Das die Politik den Prozess engagiert begleitet, erwarte ich eigentlich bei jedem städtischen Neubauviertel. In Frankfurt war das bei der städtebaulichen Neuordnung des Dom-Römer-Areals der Fall. Bei Neubauvierteln unserer Städte fehlt diese Teilhabe allerdings oft.

Sie hatten es Eingangs schon erwähnt, die Grundprinzipien des Städtebaus wurden während Ihres Studiums nicht gelehrt, Sie mussten sich diese selbst durch Analyse und Studium von Stadträumen aneignen. Gibt es eine Stadt, die Sie bei dieser Erforschung besonders geprägt hat?

Prof. Christoph Mäckler: Wenn ich Ihnen sage, dass ich nach Florenz fahre, wissen Sie genau, wo es mich hinzieht: Nicht in die Neubauviertel. Jede alte Stadt ist leider schöner, als das was wir heute bauen. Mich haben die europäischen Altstädte sehr inspiriert – ich habe in Aachen studiert und Aachen hat eine wunderschöne Altstadt, einen fantastischen Dom und ein prächtiges Rathaus. Diese Architektur hat mich schon sehr beeindruckt und ich habe mich gefragt, warum wir dergleichen in unserer Zeit nicht mehr entwerfen. Jedes Haus war früher repräsentativ, heute gestalten wir die Häuser wie Kisten und lassen keine unterschiedlichen Fassaden mehr zu.

Der Blick in die Geschichte, in die Veränderung der Stadt im Zuge der industriellen Revolution ist dabei sehr spannend. Städtebauer wie Josef Stübben oder Camillo Sitte haben sich mit der Schönheit der Stadt auseinandergesetzt oder Handbücher für den Städtebau verfasst. Die umfassende Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Städtebaus am Ende des 19. Jahrhunderts war meiner Meinung nach die letzte dieser Art. Aus dem Grund arbeiten wir im Deutschen Institut für Stadtbaukunst bereits seit zehn Jahren an einem aktuellen Handbuch der Stadtbaukunst, für das wir Stadträume, Hofräume, Platzräume und Straßenräume aufzeichnen, analysieren, den Charakter beschreiben und versuchen aufzuzeigen, wie man diese in die Neuzeit einbringen kann. Das ist eine wissenschaftliche Arbeit, mit der wir versuchen, ArchitektInnen, Planern und Planerinnen wieder Grundlagen für den Städtebau an die Hand geben zu können.

Modell des Opernturms in Frankfurt am Main, gebaut: 2006-2010 (Mitte)

Sie haben vor kurzem Ihren 70. Geburtstag gefeiert – mit Blick zurück, gibt es eine heutige Erkenntnis, die Sie als junger Architekt gerne gehabt hätten?

Prof. Christoph Mäckler: Das kann ich kaum sagen. Als ich meine Ausbildung begonnen habe, wurde über Städtebau anders gedacht als heute. Wenn ich damals bereits vollumfänglich gewusst hätte, was Städtebau bedeutet, hätte ich ihn vielleicht schon früher propagiert. Veränderungen bedeuten allerdings auch Widerstand – unser Institut für Stadtbaukunst haben wir vor 13 Jahren gegründet und schon damals in der Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt die "10 Grundsätze zur Stadtbaukunst heute" vorgestellt. Das in die Wege zu leiten, war nicht einfach. Wir haben über die Schönheit im Städtebau gesprochen, und das wurde vielerorts als rückwärtsgewandt wahrgenommen.

Die "Schönheit" war zu dieser Zeit im architektonischen Kontext verpönt.

Prof. Christoph Mäckler: Genau. Das war nur etwas für oberen Zehntausend. Mittlerweile hat sich das grundsätzlich geändert. Man spricht auch in den öffentlichen Institutionen wieder über die Schönheit der Stadt.

Warum war es Ihnen ein Anliegen, das Deutsche Institut für Stadtbaukunst an der Technischen Universität Dortmund zu gründen?

Prof. Christoph Mäckler: Mir war es wichtig, dass wir unsere wissenschaftliche Forschung nach außen tragen, anstatt sie im Rahmen der Hochschule zu belassen. Es ist unglaublich interessant mit jungen Menschen zu arbeiten und Dinge neu zu entwickeln, neu zu denken. Das Institut arbeitet auf zwei Ebenen, es forscht und publiziert und betreibt städtebaulich-politische Arbeit beispielsweise im Rahmen der erwähnten "Düsseldorfer Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt". Der Start war nicht einfach, aber mittlerweile bringt diese Konferenz die Planungsdezernenten zusammen und schafft einen Raum für Diskussion. Und das war mein Ziel, mit den Erkenntnissen der Arbeit nach vorne zu gehen, um eine gemeinschaftliche Veränderung anzustoßen.

Sie haben über viele Jahre an Hochschulen gelehrt und an der Technischen Universität Dortmund von 1998 bis 2018 den Lehrstuhl für Städtebau geleitet. Welchen Ratschlag würden Sie der kommenden Generation an ArchitektInnen mit Blick auf die Stadtplanung gerne mitgeben?

Prof. Christoph Mäckler: Was ich meinen StudentInnen immer gesagt habe, ist das sie ihren Stärken und Interessen nachgehen, sich umfassend bilden und nicht verbiegen lassen sollten. Es kann nicht sein, dass wir unsere StudentInnen nur Entwurf um Entwurf zeichnen lassen. Wenn wir den Nachwuchs in den Grundlagenfächern nicht ausbilden, wie zum Bespiel in der Baukonstruktion und der Gebäudekunde, dann wird es zukünftig weder einen guten Städtebau noch den Beruf der Architektin/ des Architekten geben. Wir werden dann nicht mehr gebraucht. Mich freut es daher, dass ich bei der jungen Generation durchaus ein großes Interesse an Baukonstruktionen wahrnehme.

Da wir gerade beim Thema Ratschläge sind – ich habe gehört, dass Sie in Kürze ein Büro in Berlin eröffnen, die Leitung übernimmt Ihre Tochter Julia. Welchen Ratschlag haben Sie ihr hierfür mit auf den Weg gegeben?

Prof. Christoph Mäckler: Ich habe es immer abgelehnt, unseren Kindern irgendwelche Wege in der Berufswahl vorzugeben, meine beiden Töchter haben sich dennoch entschlossen, Architektur zu studieren. Das Büro in Berlin, das Julia führen wird, ist keine Fortführung meines Büros in Frankfurt am Main. Es braucht keinen Vater, der nebendran steht. Sie soll sich in ihrer Arbeit frei entfalten und Berlin bietet das nötige Umfeld dazu. Die Stadt lässt noch Nischen für kreative Arbeit.

Sie hätten nach dem Studium Ihre Karriere auch in einer anderen deutschen Stadt oder im Ausland fortsetzen können. Was macht Frankfurt am Main für Sie so reizvoll, dass Sie sich entschlossen haben, Ihren zentralen Punkt in der Stadt zu halten und zur architektonischen Weiterentwicklung dieser entscheidend beizutragen?

Prof. Christoph Mäckler: Frankfurt ist eine fantastische, lebendige und offene Stadt, eine Stadt der kurzen Wege. Ich bin hier aufgewachsen. Man muss bedenken, in der Zeit, in der ich meine Ausbildung begonnen habe, Anfang der Siebziger Jahre, trennte noch eine Mauer Ost- und Westdeutschland. München, Hamburg und anderen Städten fehlte das Hinterland und damit der Bewegungsspielraum für Architektur. Während meines Studiums habe ich auch in anderen Städten gelebt, aber in Frankfurt ergaben sich auch dank des Architekturbüros meines Vaters durchgehend viele Möglichkeiten zu arbeiten. Darüber hinaus hat mich die internationale Ausrichtung langfristig nicht interessiert. Die zentrale Lage Frankfurts bot unserem Architekturbüro ausreichend spannende Aufgaben. Ich habe vielleicht auch Glück gehabt.

Die Fokussierung des Instituts für Stadtbaukunst auf Deutschland ist dahingehend auch ein gewisser Widerstand gegen den Ansatz die Architektur international gleichförmig werden zu lassen. Ich baue schon in Hamburg anders als in Frankfurt. Wenn ich die Kultur des Landes nicht kenne oder nicht verstehe, dann kann ich dort auch nicht vernünftig bauen. Internationale Projekte von sogenannten internationalen Büros kann man im Grunde kaum ernstnehmen, da sie jeweils die Kultur des Ortes in die Architektur nicht miteinbeziehen können. Ich finde, man sollte sich erstmal den Problemen annehmen, die die Städte in der eigenen Kultur haben. Diese Überzeugung wird mir gerne als konservativ angelastet. Ich empfinde eine derartige Aussage meinerseits dagegen als ewiggestrig. Fortschritt entwickelt sich nicht aus diffuser Internationalität.

An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell in Deutschland?

Prof. Christoph Mäckler: Im Zuge der Pandemie ist natürlich alles ein wenig durcheinandergeraten. Aktuell arbeiten wir mit der Realisierung des Terminal 3 am Frankfurter Flughafen auf einer der größten Baustellen Europas. Darüber hinaus arbeiten wir an drei Museumsprojekten in Freiburg, Frankfurt und Augsburg. Das Deutsche Romantikmuseum in Frankfurt am Main wird im Herbst eröffnet. Im Kontext des Projekts "Sieben Kapellen" an den Radwegen im Schwäbischen Donautal haben wir unseren Beitrag in Oberthürheim gerade fertiggestellt. Wir arbeiten an einigen Bürohäusern und Hotels in Köln, Hannover und Frankfurt, teilweise im Verbund mit dem Denkmalschutz. In Bochum arbeiten wir gerade an einem sehr spannenden städtebaulichen Projekt, in dem wir versuchen, Gewerbe und Wohnen auf einem Grundstück zu vereinen. Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit haben wir die Wahlkapelle im Frankfurter Dom saniert. Und natürlich arbeiten wir an dem Projekt Römerhof in Frankfurt, wo zum ersten Mal Hofhäuser mit Gewerbehöfen eingesetzt werden. Wir machen eine Menge. Parallel erscheint bald unser Handbuch der Stadtbaukunst sowie ein kleinerer Band zum Thema Städtebau.

Vielfalt, auf allen Ebenen.

Prof. Christoph Mäckler: Genau.

Was ist Ihr Ziel in den nächsten zehn Jahren?

Prof. Christoph Mäckler: Ich hoffe gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ein Stadtquartier entwickeln zu können, dass all die städtischen Belange veranschaulicht, von denen ich vorhin gesprochen habe. Ein Praxisbeispiel, an dem sich auch erproben lässt, an welchen Stellen nachbessert werden sollte. Das Reden um Städtebau ist mittlerweile eine eigene Kultur geworden. Jetzt bedarf es einer Realisierung. Und daher möchte ich gerne mit einer engagierten Stadt ein Quartier dieser Art entwickeln. Das ist eines meiner Hauptziele in den nächsten zehn Jahren.