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Kolumne
Soziale Tankstelle im Mäusebunker

Als Team bringen der Galerist Johann König und der Architekt Arno Brandlhuber neuen Wind in die Diskussion um den Erhalt sowie die Weiternutzung von Mäusebunker wie Institut für Hygiene und Mikrobiologie in Berlin Lichterfelde.
von David Kasparek | 30.06.2021

Die Forschungseinrichtung für experimentelle Medizin der Berliner Charité, der sogenannte Mäusebunker, und das vis-a-vis an der Krahmerstraße gelegene Institut für Hygiene und Mikrobiologie sind die wohl prominentesten Teile des Campus Benjamin Franklin in Berlin Lichterfelde. Unweit des Teltow-Kanals wurde der Mäusebunker mit Unterbrechungen von Mitte der 1960er Jahre bis 1980 als Zentrale Tierlaboratorien der Freien Universität Berlin von Magdalena und Gerd Hänska sowie Kurt Schmersow geplant und realisiert, sein brutalistisches Gegenüber zwischen 1966 und 1974 von Hermann Fehling und Daniel Gogel entworfen und umgesetzt.

Beiden droht der Abriss. Sie genügen heutigen energetischen Ansprüchen nicht mehr, können ihrer ursprünglichen räumlichen Programmierung nach nicht länger adäquat genutzt werden. Es ist einer Gruppe zu verdanken – ins Leben gerufen von dem Kunsthistoriker Felix Torkar und dem Architekten Gunnar Klack –, dass beide Bauwerke inzwischen unter Denkmalschutz stehen. Die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa veröffentlichte am 20. Januar 2021 eine entsprechende Pressemitteilung. Schon vorher waren beide Häuser Teil der Ausstellung "SOS Brutalismus", die auf Bauten dieses Stils hinwies, die zum Teil akut vom Abriss bedroht sind oder waren. Dass aber hierzulande Denkmalschutz auch aktuell nichts bedeuten muss, hat zuletzt unter anderem die Freie und Hansestadt Hamburg unter Beweis gestellt, wo das nach Plänen des Architekten Rudolf Klophaus 1958 fertiggestellte Hochhausensemble "City Hof" skandalöser Weise trotz Eintrag in der hamburgischen Denkmalliste abgerissen wurde. Eine finale Rettung, das zeigt dieser Fall, ist der Eintrag vom Januar also auch für die beiden genannten Berliner Projekte noch nicht.

Es geht beim Erhalt von Gebäuden – auch bei jenen, die uns momentan formalästhetisch unliebsam erscheinen mögen – um mehr als nur reine Zahlenspielereien im Rahmen von Effizienzberechnungen. Zunächst muss klar sein, dass bei der Betrachtung von energetischen Attributen eines Gebäudes stets auch die sogenannte "graue Energie" mit einbezogen wird – jene energetischen Aufwendungen, die schon in die Herstellung der verwendeten Materialien und ihre Fügung zum Haus selbst flossen. Aber Abriss ist eben immer auch die Vernichtung von Kulturgut: Wer abreißt, vernichtet diese Güter.

Es geht also um den Erhalt einer kulturellen Errungenschaft. Beide Bauten stehen für die Zeit, in der sie entstanden, legen Zeugnis davon ab, wie Menschen damals dachten, die Welt sahen, und weil Architektur immer Abbild dieses Denkens, und Ausdruck eines Welt- und Menschenbildes ist. Auch wenn uns das heute vielleicht optisch nicht behagt oder funktional nicht mehr seinen ursprünglichen Zwecken entspricht, sagt das wenig über den tatsächlichen Wert eines Gebäudes aus. Ein Stück aus dem kulturellen Zeitstrahl einer Gesellschaft zu entfernen, erscheint auch vor dem Hintergrund aktuell immer noch flackernder Wiederaufbaudiskussions-Scharmützel wenig weitsichtig. Wir wissen nicht, wie unsere Enkel und Urenkel über diesen Bau denken, den unsere Großeltern und Eltern initiiert und realisiert haben. Was, wenn sie für viel Geld dereinst einen Mäusebunker rekonstruieren? Mit einem dann kaum noch zu bezahlenden Baustoff Beton, von dem ein BürgerInnenverein verspricht, mindestens die Hälfte mittels Spenden aufbringen zu können, am Ende aber doch weit mehr Steuergelder benötigt werden als veranschlagt?

In einem offenen Brief haben nun der in Berlin ansässige Galerist Johann König und der ebenfalls in der Hauptstadt arbeitenden Architekt Arno Brandlhuber neuen Wind in die Diskussion um die beiden Bauten auf dem Campus Benjamin Franklin gebracht. König betreibt seine Galerie in einem anderen brutalistischen Lieblingsbau der Kulturszene: der ehemaligen katholischen Kirche St. Agnes, die der Architekt Werner Düttmann zwischen 1964 und 1967 in Kreuzberg erbaute. Arno Brandlhuber und sein Team wiederum bauten das Haus nach seiner Profanisierung und langem Leerstand bis 2015 furios nüchtern zur heutigen Galerie um.

Im Team schlagen die beiden nun vor, sowohl Mäusebunker als auch das Institut für Hygiene und Mikrobiologie zu übernehmen und umzunutzen. Wahlweise vermittels Erbbaurechts oder durch Erwerb und anschließender gemeinwohlorientierter Nutzung. Das Ziel, das beiden vorschwebt, ist nicht weniger als ein neues kulturelles Zentrum in Berlin zu schaffen. Ateliers und Ausstellungsräume für KünstlerInnen könnten in direkter Nachbarschaft zu Arbeitsräumen der Kreativwirtschaft entstehen. Jährlich stattfindende Programme sollen die Ergebnisse der Arbeit zeigen und in die Stadtgesellschaft hinein vermitteln. Ein übergeordneter Leitfaden soll entstehen, um den programmatischen Umgang mit den Gebäuden selbst zu regeln.

Dabei knüpfen Brandlhuber und König an die goldene Nachwendezeit Berlins an, als aus finanzieller Schieflage resultierende Leerräume von Kreativen aller Couleur gefüllt wurden und maßgeblich zur Attraktivität der Stadt beitrugen. Einen solchen Leerraum sehen die Initiatoren im Franklin-Campus im Allgemeinen und in den beiden Bauten im Besonderen. Geschichte könne hier "auch kritisch" vermittelt und Zukunft mitgestaltet werden, so König und Brandlhuber.

Der Vorschlag ist charmant. Hier könnte eines jener Reallabore entstehen, die viele AkteurInnen in den vergangenen Jahren immer wieder forderten – zuletzt auch der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten. Die Akteurskonstellation ist spannend, die Potenziale groß. So könnte die Charité ideelle Trägerin eines von Fördermitteln im Rahmen der Post-Pandemiebekämpfung finanzierten und mit Spenden unterstützen Think-Tanks werden, wo über Disziplingrenzen hinweg gedacht, geforscht, geplant und gemacht wird, wo Kunst, Kultur und Wissenschaft zusammenkommen und in immer neuen Gruppierungen eine Anlaufstelle für alle BürgerInnen sein könnte. Eine "Soziale Tankstelle" im Südwesten Berlins, wo Menschen unabhängig ihres sozio-ökonomischen Hintergrunds zusammenfinden und wirklicher Austausch stattfindet, wo im besten Fall Zukunft gedacht wird, in jedem Fall aber weder verbaute Energie noch gebaute Kultur zerstört wird.