Der gerade mal wieder verflogene Sommer, so wird uns - hauptsächlich von emsigen Reiseveranstaltern, die um ihre Umsätze bangen - stets mit einem freundlichen Lächeln erzählt, sei die Zeit der Erholung und des Urlaubs. Endlich, so dachten wir auch in diesem Jahr, mal raus aus allem, endlich Sonne, Wasser und Strand, endlich durchatmen, endlich frei. Trotz Sonnenbrand und Mückenstichen. Wobei die Sozialisten und die strammen, marxistisch geschulten Linken der vergangenen Jahrhunderte, voller Misstrauen gegen die bösen Kapitalisten, wie sie nun einmal waren, glaubten, sie hätten den Braten sogleich gerochen und deshalb vermuteten, die ganze „Ferien" oder „Urlaub" genannte Veranstaltung diene allein dem Zweck, die im Lauf der Monate etwas ermüdete Arbeitskraft des Arbeiters wiederherzustellen, auf dass dieser sich auch weiterhin für die Erwirtschaftung eines ausreichenden Profits einsetze. Tempi passati! Denn seit wir wissen, dass keiner Marx so gut verstanden hat wie die Kapitalisten, ist die Sache erheblich komplizierter geworden. Nicht nur, was die Funktion des Urlaubs angeht, von dessen Gestaltung ganze Länder leben und mit dem Jahr für Jahr Milliarden umgesetzt werden. So müssen wir heute feststellen, dass der Kapitalismus keinen Sommer kennt und keine Pause macht. Geschäfte werden immer gemacht, und am besten ist es, wenn wir selbst als Konsumenten dafür sorgen, dass das dauerhaft funktioniert und die Wirtschaft selbst in Krisenzeiten brummt. Wohlstand wollen alle, aber über die Folgen denken nur wenige nach. Also: Weshalb nutzen wir die wieder früher dunkel werdenden Tage neben der abendlichen Lektüre von Kriminalromanen nicht auch dazu, etwas mehr über das kapitalistische System und seine Besonderheiten zu erfahren? Ganz gleich ob wir uns in diesem bewegen wie ein Fisch im Wasser oder nach Luft schnappend am Ufer liegen und uns fragen, wo unser Erspartes oder unsere Pensionsansprüche geblieben sind. Kurzum: Es kann wohl nicht schaden, etwas besser Bescheid zu wissen, wie die Welt rund um unsere vergangenen Urlaubs- und unsere nun wieder Alltag gewordenen Arbeitstage funktioniert. Und wo könnte man das auf ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Weise tun wie bei der „Royal Society for the encouragement of Arts, Manufactures and Commerce", kurz RSA? Die Institution besteht seit mehr als 250 Jahren und hat sich Aufklärung als unterstützende Kraft für den sozialen Fortschritt auf die Fahnen geschrieben. Wir stellen Ihnen deshalb zwei Beiträge aus der Rubrik „RSAnimate" vor, die sich beide, wenn auch auf ganz verschiedene Weise, darum bemühen, etwas Licht in die Untiefen der kapitalistischen Gewässer zu bringen und die zudem aufs Trefflichste mit dem Zeichenstift animiert und kommentiert werden. Im ersten Vortrag analysiert der radikale Soziologe David Harvey die Gründe, weshalb das globale Finanzsystem in die Krise geraten ist und hält Ausschau nach Alternativen zum Kapitalismus. Im zweiten erklärt der umstrittene Philosoph Slavoj Zizek, weshalb es heute keine „Charity" mehr gibt und was beispielsweise die Kaffeehauskette „Starbucks" mit „Cultural Capitalism" zu tun hat. Oder, anders gesagt: Man kauft heutzutage nicht nur einen Becher Kaffee, sondern gleich eine Ethik. Sollten Sie an weiteren ebenso erhellenden wie unterhaltsamen Analysen interessiert sein, so finden Sie diese unter:
www.thersa.org
comment.rsablogs.org.uk
Man kauft die Ethik gleich mit
von Thomas Wagner | 15.10.2010
Video Slavoj Zizek
Video Slavoj Zizek
Video David Harvey