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Marialaura Rossiello Irvine

Drei Fragen an Marialaura Rossiello Irvine

Marialaura Rossiello Irvine leitet das interdisziplinäre Designstudio Irvine in Mailand. Woran sie gerade arbeitet, was ihr kreativer Ansatz ist und was italienisches Design heute braucht, erzählt sie uns im Interview.
25.02.2021

Anna Moldenhauer: Frau Irvine, woran arbeiten Sie gerade?

Marialaura Rossiello Irvine: Wir haben gerade die Aktualisierung des modularen Sofasystems S 5000 für Thonet mit neuen Accessoires und Elementen abgeschlossen, die den Bedürfnissen des heutigen Lebens entsprechen – das S 5000 Retreat. Das Projekt ist in ständiger Evolution und hat seinen Ursprung in der Geschichte von Thonet in den frühen 30er Jahren als Daybed aus Stahlrohr. Im Jahr 2000 hat James Irvine es als Sofasystem mit verschiedenen Konfigurationen weiterentwickelt. Nun haben wir ein System aus Paneelen in unterschiedlichen Größen sowie Tischen für den Heim- oder Objektbereich addiert. Die Grundidee bleibt dabei gleich: ein gebogenes Metallrohr, von dem aus die Struktur für das notwendige Zubehör nach Bedarf aufgebaut wird.

Darüber hinaus setze ich derzeit die Materialforschung mit einem neuen Fliesensystem fort, das wir für Mosaico+ perfektionieren. Wir arbeiten an neuen Produkten und Oberflächen aus Zement für Forma&Cemento: Ziel ist es, eine wohnliche Atmosphäre mit den Zementstücken zu schaffen. Auch stehen wir kurz vor der Fertigstellung eines Hauses in Neapel, in dem meine Materialforschung mit Ton, Natursteinen und traditioneller Terrakotta ihren Ausdruck findet – Materialien, die zwischen dem Industrieprodukt und der Tradition des Handgemachten balancieren. Mit Blick auf das Feld der Industrieprodukte haben wir gerade mit Muji zusammengearbeitet, das Ergebnis kommt in Kürze auf den Markt. Und viele andere Projekte sind derzeit in Arbeit, immer orientiert an der Forschung oder der Entwicklung von Projekten mit einer ganz eigenen Identität.

Ihr Mann, James Irvine, ist 2013 verstorben. Seitdem führen Sie das Studio Irvine, unterstützt von der Architektin Elisabetta Wolleb und dem Designer Ernesto Messineo. Was ist Ihre Herangehensweise im Design und wie unterscheidet sich diese von der Ihres Mannes?

Marialaura Rossiello Irvine: James habe ich kennengelernt, als ich für Danese Milano als Designberaterin tätig war. Wir haben viele Jahre gemeinsam Produkte entwickelt – eine Entwicklung mit Leidenschaft und Erfahrung fortzuführen, war unser natürlicher Ansatz. Unsere Visionen und Herangehensweisen an das Design verschmolzen mit der Zeit. Heute liegt der Schwerpunkt des Studios immer noch auf dem Produktdesign und verzweigt sich in die künstlerische Richtung. Die architektonischen Projekte hingegen sind Manifeste meiner Erforschung der Materialien und Traditionen von Orten. Die jahrelange Erfahrung meines Teams reicht vom Produktdesign mit der Präzision von Ernesto bis zum Studium des Raums mit der Vielseitigkeit von Elisabetta. Sie sind sehr geduldig mit mir und springen von einem Thema zum anderen. Zudem bereichern wir das Team regelmäßig mit jungen Talenten aus den verschiedensten Bereichen, von der Kommunikation bis zum visuellen Ausdruck. Mir gefällt es, unsere Erfahrungen und Methoden mit den zeitgenössischen Visionen der jungen Designer auszutauschen. Die Herangehensweise ist immer die gleiche: Neugierde, Präzision und viel Humor.

"P-saico" für Mosaico+
"Quilt" für Mosaico+

Sie leben in Mailand, im Herzen des Designs, und haben in Italien Architektur und strategisches Design studiert. Was braucht Ihrer Meinung nach das italienische Design der Gegenwart?

Marialaura Rossiello Irvine: Mein Ansatz ist international, aber verwurzelt in den Orten meiner Ausbildung. Ich habe in Neapel an einer der klassischen renommierten italienischen Universitäten Architektur studiert und bin an einem Ort aufgewachsen, der von historischer Schichtung geprägt ist. Mailand, als Hauptstadt des Designs, war notwendig, um Industrieprodukte und die Bedeutung der Markenidentität zu verstehen. Ich hatte dann das Glück, mit der internationalen Welt zu arbeiten, sowohl als Unternehmen als auch mit meinen Kollegen, mit denen ein ständiger Austausch stattfindet. Heute braucht italienisches Design Kühnheit, Mut. Das italienische Unternehmertum im Design war schon immer eine Referenz für Innovation, aber die Generationen folgen aufeinander und entwickeln sich weiter. Es ist notwendig, von einer tiefen Analyse der eigenen Corporate Identity auszugehen und sich nicht zu scheuen, in alternative Ideen und Designer wie Künstler zu investieren. Die Zeiten haben sich drastisch geändert, relevante Alternativen und Antworten erreicht man nicht durch eine neue Form, sondern durch Neugestaltung der Prozesse und der Identität.

Kollektion "Fusto" für Forma & Cemento