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Italianità: Flanieren unter freien Himmel.

REVIEW – MILAN DESIGN WEEK 2023: ALCOVA
Die Talente sind los!

Ein ehemaliger Schlachthof an der Porta Vittoria verwandelte sich während des Fuorisalone zu einer veritablen Designschatzkiste. Wir stellen Ihnen fünf Projekte vor, die uns vor der aufregenden Architekturkulisse besonders aufgefallen sind.
von Claudia Simone Hoff | 29.04.2023

Die von Valentina Ciuffi (Studio Vedèt) und Joseph Grima (Space Caviar) im Jahr 2018 gegründete Designplattform Alcova hat sich inzwischen als feste Größe des Mailänder Fuorisalone etabliert. Hier kann man nicht nur junge Designtalente und aufregende Projekte entdecken, die bis auf wenige Ausnahmen wenig kommerziell, dafür aber umso experimenteller sind. Den besonderen Charme der Veranstaltung machen vor allem die ständig wechselnden Orte aus, die oft verlassen sind und Teil der Architekturgeschichte der Stadt. In diesem Jahr hatten die Veranstalter mit dem ehemaligen Schlachthof "Ex Macello" an der Porta Vittoria einen veritablen Coup gelandet. Auf dem riesigen, wild begrünten Freigelände und in den verfallenen (Industrie-)Gebäuden wandelte man zwischen archaischen Keramikobjekten, leuchtenden Glasbonbons, überraschenden Korb-Kreationen, winzigen Schalen aus Vulkanerde und einem Brunnen, aus dem am Eröffnungstag tatsächlich Negroni sprudelte. In diesem Jahr gab es Projekte von über 90 DesignerInnen zu sehen – hier sind unsere Highlights!

Die 40-teilige keramische Arbeit Bul von Ae Office kreist um die Geschichte des Töpferhandwerks auf der südkoreanischen Vulkaninsel Jeju.
Die (Sitz-)Objekte Dol von Ae Office sind aus geschwärztem Kork gefertigt und wirken in Form und Material archaisch.

Ae Office: Unerforschte Insel

Eigentlich kommen Hee Choi und Myung Nyun Kim von Ae Office aus Seoul, doch seit Sommer letzten Jahres wohnen sie in Berlin und haben in Schöneberg ein Atelier bezogen. Die beiden Südkoreaner arbeiten zwar vorwiegend als Industriedesigner, doch ihnen ist das Handwerk eine Herzensangelegenheit. Mit ihren Arbeiten erzählen sie Geschichten, die immer in lokalen Kontexten verortet sind. So verbrachten Hee Choi und Myung Nyun Kim zwei Jahre auf der südkoreanischen Vulkaninsel Jeju, um sich in das dortige Töpferhandwerk zu vertiefen und mit Handwerkern vor Ort zusammenzuarbeiten. Die aus dieser Kooperation entstandene 40-teilige Kollektion von Keramikschälchen, die von typischen Wasserbehältern der Gegend inspiriert ist, zeigten sie in Alcova – Seite an Seite mit Objekten aus geschwärztem Kork. Die Kollektion "Dol" ist als Hocker oder Beistelltisch gedacht und erinnert an die Basaltsteinmauern, die auf der Insel Jeju überall zu finden sind, so die Designer.

Das Designstudio Thier & van Daalen aus Eindhoven präsentierte die mundgeblasenen Leuchtenkollektionen Grid und Bulla.
Die Wandleuchten-Serie Bulla von Studio Thier & van Daalen erinnert an einen Luftballon und wird in den Niederlanden frei geblasen.

Studio Thier & van Daalen: Leuchtende Schätze

Dass ein heruntergekommenes Industriegebäude durchaus poetische Qualitäten haben kann, zeigte Studio Thier & van Daalen mit seiner Präsentation im weitläufigen Project Space von Alcova. Iris van Daalen und Ruben Thier haben an der Design Acedemy Eindhoven studiert und arbeiten seit einiger Zeit schon im Leuchtendesign. Dabei pendeln sie scheinbar mühelos zwischen Industriedesign und handwerklicher Fertigung in Kleinserien. Während am Messestand des niederländischen Herstellers Hollands Licht auf der Mailänder Lichtmesse Euroluce ihre Leuchte Vapour zu sehen war, präsentierte das DesignerInnenpaar an der Porta Vittoria zwei Kollektionen, die in den Niederlanden gefertigt und in kleinen Geschäften und im eigenen Webshop verkauft werden: Die frei geblasene Wandleuchte "Bulla", die an einen nicht ganz perfekt geformten Ballon erinnert, sowie die Hängeleuchte "Grid". An der Unterseite mit einem geriffelten Muster versehen, wird das Licht effektvoll gebrochen. Alle Leuchten schimmern in kräftigen Farben und in Nuancen von Pastell.

Bea Pernia hat eine Kollektion von Möbelstücken entworfen, bei denen sie Marmor mit Holz kombiniert. Den Marmor suchte die Designerin im Steinbruch in Forte dei Marmi persönlich aus.
Die amerikanische Interiordesignerin Samantha Gallacher produziert unter dem Label Art + Loom seit acht Jahren handgefertigte Teppiche in Nepal.

Art + Loom & Bea Pernia: Die Kunst der Formation

Auch ein alternativer Ausstellungsort wie Alcova öffnet sich zunehmend etablierten Unternehmen und DesignerInnen, wie die Installation "The Art of Formation" im Gebäude Il Cova zeigte. Dafür hatten sich Samantha Gallacher vom Teppichlabel Art + Loom und Bea Pernia zusammengetan. Beide arbeiten in Miami als Interiordesignerinnen und bauen sich parallel weitere Geschäftsfelder auf. Während Gallacher seit acht Jahren abgepasste Teppiche in Nepal handfertigen lässt, hat Pernia vor drei Jahren ihre erste Möbelkollektion auf den Markt gebracht. Beide stellten zum ersten Mal in Mailand aus und wagen damit den Schritt nach Europa. "Alcova ist ein Veranstaltungsort, der edgy und kreativ ist", sagt Gallacher, die ihre handgeknüpften Teppiche in einem eigenen Shop im Miami Design District verkauft. Die kleine Möbelkollektion von Bea Pernia umfasst Beistelltische, ein Sideboard sowie einen Stuhl, die allesamt Holz und Marmor kombinieren.

Elisa Uberti war in der Modeindustrie tätig, ehe sie ins Handwerk wechselte.
Die französische Designerin Elisa Uberti zeigte in der charmanten Villa La Villetta Arbeiten aus Ton und Korbgeflecht, darunter auch einige Leuchten.

Elisa Uberti: Archaische Objekte

Nachdem sie einige Jahre in der Modeindustrie gearbeitet hatte, wandte sich Elisa Uberti dem Handwerk zu, genauer gesagt vor allem der Keramik. Dass dies eine ziemlich gute Idee war, zeigte die Französin mit eigenem Studio in Roubaix im villenartigen Eingangsgebäude von Alcova. In einem kleinen Raum in La Villetta hatten sich einige kugelige, sehr spielerische Wesen aus Ton, Korbgeflecht und teils mit Fransen zusammengetan – darunter Leuchten und dekorative Objekte, die sehr skulptural anmuten und in ihren haptischen Oberflächen schön miteinander harmonierten. Dabei hat sich die Designerin bei ihren Entwürfen von einer Reise nach Tansania inspirieren lassen. "Ich arbeite sehr instinktiv", sagt Elisa Uberti. "Dabei entstehen emotionale, feinfühlige und zeitlose Objekte."

Blick in die Präsentation von Atelier LUMA. Die (Stapel-)Hocker und Leuchten werden aus Bioplastik hergestellt.
Aus Palmwedeln geflochtene Sitzkissen und Teppiche aus der Kollektion Safeefah von Atelier LUMA, die in Zusammenarbeit mit Irthi Contemporary Crafts Council stammt.

Atelier LUMA: Bioregionale Entwurfspraktiken

Einen überraschenden Auftritt hatte Atelier Luma in Alcova – ein Ableger des Museums Luma Arles, dessen Fokus auf der Erforschung und dem Experimentieren mit Biodesign liegt. Die Ausstellung "Bioregional Design Practices" kreiste um die Idee der Bioregionen mit ihren eigenen, sehr spezifischen Ökosystemen und Umweltbedingungen. Atelier Luma zeigte in Mailand fünf Installationen, die aus lokal verfügbaren Materialien wie Salz, Reisstroh und Wolle in den jeweiligen Regionen gefertigt wurden. Dabei wurde das eigene Experimentierfeld in der unmittelbaren Umgebung des südfranzösischen Arles bis in die Vereinigten Arabischen Emirate ausgeweitet. Hier arbeitete Atelier Luma mit dem Irthi Contemporary Crafts Council zusammen – einer Organisation, die das einheimische Handwerk erhalten und fördern will. Das Ergebnis dieser kreativen Allianz war im Zentrum der Halle zu sehen: feine, aus Palmwedeln gewebte Teppiche und Sitzkissen. Atelier Luma verfolgt mit seiner (Biodesign-)Forschung die Idee, dass Produktionssysteme so heruntergebrochen werden sollten, dass sie sich lokalen Ressourcen und Bedürfnissen anpassen und somit auch Auswirkungen auf das soziale Gefüge einer Gesellschaft haben.

Die 5. Ausgabe der unabhängigen Designplattform Alcova fand im ehemaligen Schlachthof Ex-Macello an der Porta Vittoria statt.