top

NACHRUF
Die Birne und noch viel mehr

Ingo Maurer inszenierte Licht und machte es gegenständlich. Nun starb der Designer, dessen freundliches Lächeln genauso in Erinnerung bleibt, wie sein Werk, dessen vermeintliche Grenzen er immer wieder spielerisch überwand.
von Thomas Edelmann | 22.10.2019

Er ist Unternehmer, Träumer, Designer in einer Person – eine Zeitlang nennt er sich "Lampenmacher" – analog etwa zum Filme- oder Liedermacher. Andere nennen ihn den Lichtpoeten. 1932 wird Ingo Maurer auf der Bodenseeinsel Reichenau geboren. Wenige Tage nach Kriegsende wird er 13 Jahre alt. Manche Kindheitserinnerungen habe er in seine Arbeiten übersetzt, erinnert er sich. So beobachtet er die Umgebung, "wenn ich bei meinem Vater im Fischerboot saß und die Lichter auf den Wellen tanzten". Und doch ist für ihn, wie viele andere Designer seines Jahrgangs, die Welt draußen als Bezugspunkt ebenso wichtig wie Heimat und Herkunft. "Ich wusste, dass ich wegwollte, hinaus in die weite Welt." Maurer wird Typograf, ausgebildet in Konstanz und in der Schweiz. In München absolviert er während der 1950er Jahre ein Grafikstudium. "Ich wollte aus diesen engen Grenzen ausbrechen, die Europa damals hatte und noch immer hat. Da hat mir Amerika sehr geholfen." 1960 emigriert er mit einer Greencard in die USA, arbeitet als freier Designer in New York und San Francisco. Amerika verwandelt den jungen Kreativen, der noch nach seiner Berufung sucht. Es wird zu seiner zweiten Heimat, die er auch im Alter regelmäßig aufsucht.

Mit "Bulb" gelingt ihm 1966 der furiose Auftakt zu seinem äußerst vielgestaltigen Lebenswerk. Es ist eine Leuchte, die die Edison’sche Glühbirne inmitten einer umgebenden Birne zelebriert. Pop-Art und Design fallen zusammen. Design kann unter Umständen auch Kunst sein. Seine Objekt-Findungen und -Erfindungen bringt Maurer in Serie. Das MoMA nahm "Bulb" 1969 in seine Sammlung auf – wie später viele weitere Entwürfe des "Licht-Magiers". Wieder zurück in Deutschland, gründet Maurer in München seine Firma "Design M". Die heute vergessenen "semiklassischen" Stilleuchten seiner ML-Kollektion aus den Seventies helfen, Experimente zu finanzieren. "It helped me to pay my bills", notiert Maurer einmal. Die Glühlampe wird zu einer Art Urmeter, zum ständigen Bezugspunkt seiner Schöpfungen, auch wenn es dabei um Hologramme oder LED-Leuchten geht.

Mit dem Import von einfachen Marktschirmen aus Verona ist er in den 1970er Jahren Vorläufer des heutigen Outdoor-Möbel-Booms. Maurer ist stets neugierig auf ästhetische Konzepte anderer Länder und Zeitzonen und auf Kooperationen. Japanische Einflüsse finden sich bei seinen "Uchiwa"-Leuchten, oder bei seinen "MaMo Nouchies", die vier Jahre Entwicklungszeit benötigten. Materialität, Technik, Handwerk und entsprechende Fähigkeiten seines Teams sind Voraussetzung, um Träume zu realisieren, bei denen andere sofort abwinken würden. Mit "Porca Miseria!", einer Leuchte aus kunstvoll berstenden Porzellantellern, stellt er den Bezug her zum fröhlichen Polterabend wie zum handfesten Ehestreit. Man kann sich an die Fotoserie "Trautes Heim" von Anna und Bernhard Blume erinnert fühlen. Stellvertretend hält Maurer für uns die Scherben in der Schwebe – inmitten einer bürgerlichen Wohlfühlatmosphäre. So erschafft er ein memento mori, das auch als Plädoyer für den sorgsamen Umgang mit Menschen und Dingen interpretiert werden kann. Als Kurator bietet er im Rahmen des eigenen Unternehmens und dessen Inszenierungen immer wieder Nachwuchsdesignern eine Plattform. Als Technik-Visionär geht er an Grenzen, etwa 1986 als Erfinder der Berührungssteuerung "Touch tronic" – lange vor den heute geläufigen Touch-Displays. Oder indem er LEDs bis hin zur leuchtenden Tapete verarbeitet. Mit der Beleuchtung von Münchner U-Bahnstationen demonstriert er, wie selbstverständlich Qualität von Licht im öffentlichen Raum wirken sollte. "Ich schätze das Vergangene, aber mich interessiert, was vor uns liegt", hat Ingo Maurer gesagt. Am 21. Oktober ist Ingo Maurer im Alter von 87 Jahren in München im Kreis seiner Familie verstorben.

Sein Optimismus, seine Fähigkeit die Welt in ihren Einzelheiten beständig neu zu erfinden und so besser zu machen, sind Ansporn für alle, die nach ihm kommen.

Die Neue Sammlung in München zeigt ab dem 15. November eine Ausstellung zum Werk Ingo Maurers:

Ingo Maurer intim. Design or what?
Die Neue Sammlung – The Design Museum
Pinakothek der Moderne
Türkenstraße 15
80333 München

15.11.2019 – 18.10.2020

Torre Velasca, Mailand, April 2019