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Bei Petersen Tegl am Nybøl Nor dreht sich alles um eines: Ziegel, Ziegel und nochmal Ziegel.

Der Ziegler vom Nybøl Nor

Christian Petersen ist ein Ziegler mit viel Hirn und Herz. Peter Zumthor und viele Architekten weltweit wissen: Wer das Besondere sucht, kommt an Petersen Tegl nicht vorbei.
von Thomas Wagner | 24.02.2017

Weit spannt sich über dem Nybøl Nor der Himmel. Hier und da zeigt sich etwas Blau, dazwischen jagen Wattewolken. Hier, an einem nördlichen Seitenarm der Flensburger Förde, liegt die dänische Ziegelei Petersen. Die Landschaft im südöstlichen Jütland ist fast so flach wie der spiegelnde Teller des Haffs, nur hier und da sparsam garniert von einigen Wäldchen, vereinzelten Bäumen, Wiesen und Feldern.

Kaum hat man das kleine – mit hellen Ziegeln, was sonst – verkleidete Gebäude betreten, in dem sich die Büros der Ziegelei befinden, empfängt einen Christian Petersen mit ansteckend guter Laune. Es dauert nicht lange, dann wird einem klar: Der Seniorchef, der das Unternehmen 1970 von seinem Vater übernommen hat, versteht nicht nur sein Geschäft, er weiß auch, wie man andere dafür begeistern kann, ganz gleich, ob Mitarbeiter oder Kunden. Christian ist sofort voll auf Sendung. Zur Begrüßung trägt er nicht irgendwas, nein, es muss schon eine Jacke sein, die aussieht, als sei sie aus Ziegeln gemauert. Auch sonst scheint in dem Raum im Erdgeschoß die Welt komplett aus Ziegeln erbaut zu sein. Wohin man blickt, überall stapeln sich Fotografien, Ausdrucke und Bücher; Formsteine und Materialproben, an denen sich etwas zeigen lässt, liegen herum. Selbst Babys, so denkt man beim Blick auf ein gerahmtes Bild aus dem Sammelsurium, scheinen hier aus Ziegeln hergestellt zu werden. Es dauert nur Sekunden, schon kramt Christian aus der Überfülle einen blauen Ordner hervor, auf dem steht: „Petersen Tegl Strategi“. Mit einem breiten Grinsen fragt er: Wollen Sie wissen, wie meine Strategie aussieht? – Man hat noch nicht genickt, schon hat er den Ordner aufgeklappt und zeigt freudestrahlend wie ein Kind, was er enthält: Nur ein einziges Blatt, auf dem man ein menschliches Gehirn erkennt, über dem geschrieben steht: „Strategi – Brug denne !!!“.

Nicht ohne meine Ziegeljacke: Christian Petersen weiß sich zu inszenieren.
Klare Strategie: Sein Hirn gebrauchen!

Sein Hirn einschalten, immer ein Stück weiterdenken als die anderen – das ist typisch für Christian Petersen. Er liebt es, seine Gäste zu überraschen, ist stets hellwach. Er weiß seine Pointen zu setzen, erzählt eine Geschichte nach der anderen. Christian ist erkennbar ein Mensch der Tat, einer, der vor Energie nur so sprüht, aber eben auch einer, der nachdenkt, dann freilich nicht lange zögert und die Dinge vorantreibt. Die Dinge, das sind zuallererst: Ziegel.

Mit Hirn und einer guten Show allein, das beginnt der Besucher in den folgenden Stunden nach und nach immer besser zu verstehen, wäre das Geschäft mit Ziegeln freilich nicht bis in die siebte und mit seinen Töchtern nun schon in die achte Generation weitergelaufen. Seit der dänische König Christian VII am 17. Mai 1791 dem Kleinbauern Peter Andresen die Erlaubnis für den Betrieb einer Ziegelei am Nybøl Nor erteilt hat, galt es, so manchen Sturm zu überstehen. Mögen über die Jahrhunderte auch Hirn, Mut, Witz und etwas Bauerschläue dabei geholfen haben, die Ziegelei zu erhalten und auszubauen, so hat es zum Erfolg obendrein noch gebraucht, was Christian eben auch in Hülle und Fülle besitzt: Herz und Familiensinn.

Hier gibt es jede Menge Ton: An mehreren Standorten am Haff produziert Petersen Tegl hochwertige Ziegel.

Schon als die Ziegelei gegründet wurde, war das 6,5 Quadratkilometer große Nybøl Nor ein idealer Ort, um Ziegel herzustellen. Entlang der Küste gab es jede Menge Tonablagerungen aus der Eiszeit, und als direkter Transportweg diente damals eine Fahrrinne zur Flensburger Förde. Um 1800 lagen die Ziegeleien dort dicht an dicht. Rund 50 waren es insgesamt, die hier produzierten; an keinem Ort in Nordeuropa gab es eine größere Konzentration. Heute sind davon nur noch sechs Betriebe übrig geblieben. Petersen Tegl aber hat sich als eine der wenigen seit seiner Gründung vor mehr als 225 Jahren von einer lokal ansässigen Ziegelei zu einem hoch spezialisierten, globalen Exportunternehmen entwickelt. Damals wie heute in enger Zusammenarbeit mit Architekten auf der ganzen Welt.

Mit Qualität und von Hand hergestellten Ziegeln allein war das nicht zu schaffen. An der Wand im Besprechungsraum hängt denn auch eine aquarellierte Zeichnung, die Christian an „seiner“ großen Maschine zeigt. Schließlich hat er sie erfunden. Weitgehend automatisiert produziert auch sie Ziegel, viele Ziegel – neben allen den speziellen, in Maß, Form und Farbe nach wie vor in Handarbeit geformten Exemplaren. Wie das im Einzelnen funktioniert, erklärt Christian später bei einem Rundgang durch die Ziegelei. Die Zeichnung zeigt aber nicht nur Christians Maschine. Im Hintergrund erkennt man auch die Bucht mit seinem Segler wieder, auf dem er gern mehr Zeit verbringen würde; und im Vordergrund auch die Bonsais, die er seit vielen Jahren geduldig züchtet. Daneben steht in schöner Handschrift „Christian & die verrückte Maschine – eine Geschichte aus Dänemark“. Sie beginnt, wie Märchen eben beginnen: „Es war einmal ein Ziegler am Nybøl Nor ...“.

Jede Menge Leitsprüche: Christian Petersen versteht es, Mitarbeiter und Kunden auf eine sympathische Art anzusprechen und ihnen seine Perspektive zu vermitteln..

Bei Christians Temperament ist es kein Wunder, dass er prägnante Sprüche, Sentenzen und Zitate liebt. Überall hängen sie an der Wand – im Flur, im Büro, aber auch in den Produktionshallen. Wie er selbst, so bringen auch sie kleine und große Einsichten kurz und bündig auf den Punkt. Sie helfen ihm dabei, seine Perspektive zu vermitteln und fordern die, die mit ihm arbeiten, immer wieder dazu auf, etwas in der aus seiner Sicht richtigen Weise anzupacken. Viele der Sprüche, die ihm gefallen und die er brauchen kann, so erzählt er, habe er einem Kalender entnommen, den er und seine Frau geschenkt bekommen hätten. Von Wilhelm Busch etwa stammt dieser: „Ein gesunder Magen bleibt immer unbeachtet: viel Arbeit, wenig Dank.“ Von dem amerikanischen Geschäftsmann Franklin B. Jones jener: „Wer noch nie anderen Leuten auf die Füße getreten ist, hat sich vermutlich noch nie von der Stelle bewegt“. Und in einer der Hallen, wo seine große Maschine Ziegel herstellt, prangt ein Schild mit der Aufschrift: „Man muss nicht verrückt sein, um hier zu sein, aber es hilft ungemein!“.

Grundlage: Mit aufbereitetem und eingefärbtem Ton fängt alles an.
Hier werden Ziegel noch immer nach jahrhundertealten Handwerkstraditionen hergestellt.
Bei handgefertigten Ziegeln wird der Ton bei jedem Exemplar von Hand in die Form gedrückt.
Je nach Serie entstehen von Hand geformte Ziegel unterschiedlichen Formats.

Ohne Zweifel einen Wendepunkt in der jüngeren Firmengeschichte von Petersen Tegl stellt im Jahr 2000 die Zusammenarbeit mit Peter Zumthor am Neubau des Kunstmuseums Kolumba des Erzbistums Köln dar. Viel hatten sie damals mit dem anspruchsvollen Architekten aus der Schweiz über seine Vorstellungen debattiert, über römische Ziegel und darüber, was denn möglich sei in Maß und Farbe. Aus dem Projekt ging am Ende nicht nur ein in Maß, Form und Farbe ganz besonderer Ziegel hervor, in der Folge entwickelte Petersen daraus auch eine umfangreiche Kollektion handgefertigter, horizontaler Baukeramik für Mauern und Pflasterungen. Heute werden die Varianten von Kolumba™ für Bauvorhaben in der ganzen Welt verwendet.

Sämtliche Kolumba™-Steine werden nach jahrhundertealten Handwerkstraditionen hergestellt: Der vorbereitete Lehm wird von Hand in Holzformen zu langgestreckten Ziegeln geformt, getrocknet und gebrannt. Die unterschiedlichen Oberflächen und vielfältigen Nuancen der Steine entstehen danach durch Temperaturunterschiede beim Brand. In der Standardversion wird Kolumba™ in den Abmessungen 52,8 mal 10,8 mal 3,7 Zentimeter geliefert, kann aber auch in individuell angepassten Maßen, besonderen Farben und Oberflächen hergestellt werden. Sollten widererwarten beim Brennen einmal Fehlfarben entstehen, so werden diese meist trotzdem abgenommen. Abwechslungsreich, lebendig und unverwechselbar machen Ziegel von Petersen eine Fassade sowieso, und an Beständigkeit sind sie ohnehin nicht zu übertreffen.

Mit Cover™ hat Petersen inzwischen zudem ein überraschend neues Ziegelprodukt im Programm, das sowohl zur Fassadenverkleidung, als auch zur Dachdeckung eingesetzt werden kann und einem Gebäude eine markant-zeitgemäße Fassade verleiht, wobei es die bekannten Vorteile von Ziegeln nutzt. Durch die Struktur der handgefertigten Steine entsteht eine harmonische Fassade, die sich gern auch mal über Dach und Wände zieht und rustikal, zugleich aber auch edel, ja geradezu exklusiv wirkt.

Aus dem für das Kolumba-Museum in Köln entwickelten Format ist eine ganze Palette von Ziegeln entstanden: Auf Mustermauern kann man sie vor Ort vergleichen.

Dass Architekten heute wieder häufiger und keineswegs nur im Norden auf ein nachhaltiges Produkt wie handgestrichene Ziegel zurückgreifen, und das nicht nur, wo es um den Bau von Villen oder Wohngebäuden geht, zeigen Beispiele wie das Europäische Hansemuseum in Lübeck oder das Turnmill Building in London. Jüngstes Beispiel: Auch beim Neubau des Kunstmuseum Basel von Christ & Gantenbein bilden schmale handgefertigte Kohlebrandziegel der Serien D91 und D11 mit einem Farbverlauf von Hell- bis Dunkelgrau die Fassade des fünfgeschossigen Baus. Petersen hat sie, wie könnte es anders sein, eigens für das Projekt angefertigt. Überhaupt gilt – und daran lässt Christian keinen Zweifel – bei Petersen: Ein Nein gibt es nicht. Alles geht! Weil Architekten und Bauherren eine enge und verlässliche Zusammenarbeit schätzen, gehört die Entwicklung von Steinen und Klinkern für Spezialaufträge, besondere Formsteine inbegriffen, längst zum Kerngeschäft der Ziegelei, die ihre Produkte heute nicht nur in zahlreiche europäische Länder, sondern in die ganze Welt, beispielsweise in die Vereinigten Staaten, nach Japan, Russland und Australien, exportiert.

Eine lange Tradition ist das eine, Erfolg in der globalisierten Gegenwart das andere. Das weiß Christian Petersen. Masse allein hilft da wenig, eher die Fähigkeit, auf Wunsch handwerklich anspruchsvolle Ziegel anbieten zu können. Schließlich beherrscht man bei Petersen als eine der wenigen Ziegeleien weltweit das Brennen mit Kohle, was den wassergestrichenen Ziegeln ein besonders nuanciertes Farbenspiel verleiht. Auch deshalb lautet einer von Christians Merksprüchen: „Tradition ist nicht die Bewahrung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ Weit spannt sich über dem Nybøl Nor der Himmel. Hier und da zeigt sich etwas Blau, dazwischen jagen Wattewolken.

Fein säuberlich aufgeschichtet auf dem Weg in den Ofen: Ziegel Rohlinge vor dem Brand.
Damit sich die Öfen leichter befüllen lassen, kann deren Hülle nach oben gehoben werden.
Die Farbe des Tons und die Temperatur, bei der er gebrannt wird, bestimmen am Ende die Farbe: Ziegel nach dem Brand.
Bei so viel Handarbeit gilt der Spruch von Wilhelm Busch: „Ein gesunder Magen bleibt immer unbeachtet: viel Arbeit, wenig Dank.“
Natur im kleinen Format, von Hand in Form gebracht: Zum Ausgleich züchtet Christian Petersen Bonsais.
Der Thron eines Zieglers ist fest gemauert: Christian Petersen weiß ihn auszufüllen.