Autofahren ist eine Sache des Körpergefühls, auch wenn die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte von enormen Anstrengungen geprägt war, das Empfinden der elementaren physikalischen Kräfte zu reduzieren, die beim Fahren nun einmal wirksam sind. So sehr sich einerseits die Anzahl der Pferdestärken selbst in an sich biederen Familienkutschen erhöht hat, so wenig soll das Risiko spürbar sein, das mit ihrer Entfesselung verbunden ist. Man kann – zumindest in Deutschland – so schnell fahren wie nie zuvor, aber im Auto merkt man es kaum. Reale und gefühlte Geschwindigkeit klaffen auseinander. Erst der Unfall, der Aufprall, löscht den technisch erzeugten Schein und stellt die physische und physikalische Realität in aller Unbarmherzigkeit wieder her. Erst beim Crash wird der Körper schmerzlich all der Kräfte inne, deren er sich, je nach Automodell, lustvoll oder komfortabel überlassen hat.
Nun wird man von der Werbung nicht erwarten können, dass sie derlei Zusammenhänge aufdeckt oder gar kritisiert. Sie bearbeitet und verstärkt vielmehr den Schein. Und trotzdem schleichen sich über die ästhetischen Muster, die sie einsetzt, hier und da unfreiwillig bestimmte Aspekte dieses Geschehens in sie ein.
Verkehrsströme sind, ebenso wie Produktionsströme, immer auch Körperströme. Und so tritt der Körper in Gesellschaften, die in Bezug auf die Herstellung eines allgemeinen Wohlfühlsystems als noch weniger entwickelt gelten, deutlicher als Motor des Fortschritts, aber auch als dessen Opfer oder Verschleißteil in Erscheinung. So rasen sie also dahin, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, die nimmermüden Körpermaschinen, zu Bussen und Personenwagen verbunden wie funktionale Teile. Was sich am Morgen zu einer Einheit verbindet, hält den ganzen Tag zusammen. Menschen drehen sich wie Räder, sind Antrieb und Gefährt in einem. Sie sind zu Zahnrädern verbunden und bilden ganze Fabriken und Produktionsstraßen. Überraschenderweise handelt es sich hier aber nicht um Autowerbung. Der Mensch selbst hat sich in eine Maschine verwandelt, freilich in eine, die noch Schmerz empfindet. Allein die heilige indische Kuh bleibt in diesem Spot unbehelligt und schaut dem Treiben verwundert zu. Schnelle Linderung verspricht indes nicht die Religion, sondern die Schmerzsalbe. Und der Gesang.
Ganz anders erscheint der menschliche Körper in einem Werbespot von Audi. Auch hier gibt es keine Individuen, sind die Körper nur Teile in einem großen Ganzen. Im akrobatischen Kraftschluss bilden sie Scheinwerfer, Anlasser, Antrieb eines rasanten Gefährts. Geschickt gelenkte Menschenkraft statt abstrakter Pferdestärken. Was als Idee durchaus leicht und heiter hätte wirken können, das kippt in seiner Ästhetik aus metallisch-hartem Schwarzweiß schnell ins Bedrohliche. Wie Pleuel und Kolben um die Kurbelwelle kreisen die Turner unter dem Diktat eisiger Perfektion um die Reckstange. Wie funktionale Teile lebender Bilder, wie sie bei Massenveranstaltungen in totalitären Staaten eingesetzt werden, um die Verfügungsmacht über den Einzelnen zu demonstrieren, greift eins ins andere, unterwirft sich jeder einzelne Körper der Funktion, die ihm im großen Ganzen zugewiesen wurde. So dauert auch im Slogan „Fortschritt durch Technik“ die Vorstellung fort, der Körper lasse sich schmerzfrei in ein Maschinenteil verwandeln. Den Rest erledigt die Medizin.
So sind sie, die modernen Zeiten. Auch wenn sich seit Charlie Chaplins „Modern Times“ von 1936 vieles verändert hat, der Körper (neuerdings auch verstärkt die von Überforderung und Stress geschundene Seele) bleibt der bevorzugte Schauplatz des Fortschritts. Nicht weniger als damals, eher mehr leben die modernen Zeiten auch heute von Verschiebungen. Sie mischen Altes und Neues und schließen die unterschiedlichsten ästhetischen Muster innerhalb eines ahistorischen Raums an Bereiche an, in denen sie nicht vermutet werden. Auf diese Weise hüllen sich die mit der Wunschproduktion verbundenen Formen der gesellschaftlichen Produktion, je nach kulturellem Zusammenhang, in die unterschiedlichsten Kostümierungen.