top
Selbst Obama hat einen Dogen
von Diehl Ute | 21.10.2009
Alberto Stella

Die Möbelfabrik Estel wurde 1937 von Alfredo Stella im italienischen Städtchen Thiene gegründet. Das Kurzwort „Estel" setzt sich aus dem Namen des Möbels „Estensibile Stella" zusammen - einem Schrank mit Schiebetüren, der in den sechziger Jahren die Wohnungen der Italiener eroberte und den guten Ruf und die finanzielle Basis der Firma begründete. Zu Beginn des Jahres 1980 fing Estel an, auch Büromöbel herzustellen. Heute ist Alfredo Stellas Sohn Alberto Präsident der Estel und demnächst werden seine Söhne Massimo und Matteo die Leitung übernehmen. Es handelt sich also um ein typisch italienisches Familienunternehmen. 2005 kaufte Alberto Stella den Polstermöbelhersteller "Frighetto" und die seit 1924 auf Möbel nach Maß spezialisierte Werkstatt "Contin" in Thiene. Im April 2008 bereicherte er sein Unternehmen mit fünf weiteren Marken, darunter Dino Gavinas Firma "Simon".

Ist es mutig oder einfach klug, in Krisenzeiten zu expandieren?
Alberto Stella: Es kommt für jeden Unternehmer der Tag, an dem er sich entscheiden muss, ob er stehenbleiben oder fliegen will. Ich habe den Kauf nicht bereut. Die fünf neu hinzugekommenen Marken helfen mir sogar zu überleben. Vor allem "Simon" ist sehr stabil. Na ja, auf die anderen vier hätte ich auch verzichten können. Aber sie waren nun mal mit im Paket. Mir kam es natürlich auf „Simon" an.

Mit der Marke Simon verbinden sich aber nicht nur kommerzielle Interessen. Die Firma ist sozusagen italienisches "Kulturgut". Und Sie sind jetzt für seinen Erhalt verantwortlich.
Stella: Das ist mir vollkommen klar. Ich habe mir vorgenommen, das Werk von Gavina fortzuführen und seinen Geist lebendig zu halten. Auch Knoll produziert ja heute noch Objekte von Gavina. Ich möchte Möbel herstellen, die viele Jahre überdauern und eine ästhetische und technische Dauerhaftigkeit besitzen.

Gavina hat in seiner Kollektion "Ultramobile" als erster Kunst und Design zusammengeführt. Werden Sie diese Serie erweitern?
Stella: Ja, ich habe da schon einige Künstler im Kopf, die ein neues Objekt für "Ultramobile" entwerfen könnten. Das ist ja für mich ein völlig neues Feld. Ich möchte aber auf jeden Fall korrekt sein und Gavinas Philosophie Kontinuität garantieren. Aber natürlich müssen wir auch verkaufen.

Hat es in Ihrem Betrieb Entlassungen gegeben?
Stella: Bei Estel sind 700 Leute beschäftigt. 150 davon erhalten zur Zeit Arbeitslosenunterstützung. Man kann nur schwer vorhersehen, wann sich die Situation wieder normalisieren wird. In schlechten Zeiten konzentrieren sich die Menschen wieder mehr auf das eigene Heim. Tatsächlich hat sich unsere Produktion letzthin von den Büromöbeln wieder mehr zu den Wohnmöbeln verlagert. Im letzten Jahr setzte Estel 130 Millionen Euro um. Vierzig Prozent der Produktion geht ins Ausland.

Es sind erst rund eineinhalb Jahre vergangen, seit sie „Simon" übernommen haben. Was war Ihr erster Schritt?
Stella: Ich habe mich als erstes auf Carlo Scarpa konzentriert, vor allem auf seine Tische. Tische braucht man überall. Im Büro, zuhause, für Gesprächsrunden und beim Essen. "Simon" ist ja so etwas wie eine Schatzkiste. Wenn man sie aufmacht, kommen wunderbare Sachen zum Vorschein. Wir haben bereits einen Bildband über Scarpas Tische herausgebracht.
Gemeinsam mit Scarpas Sohn Tobia bin ich dabei, an einigen Tischen, wie dem "Sarpi", kleine Verbesserungen durchzuführen. Der "Gritti" wackelt ein bisschen. Da hat Tobia jetzt eine Lösung gefunden. Wir machen die Schraubenköpfe aus Holz. Wir überlegen auch, ob wir dem marmornen „Delfi" nicht eine Glasplatte geben sollten. Natürlich verändert Tobia nur sehr ungern ein Detail, das sein Vater entworfen hat.

Welcher Tisch verkauft sich am besten?
Stella: Der "Doge". Von ihm haben wir in einem Jahr zweitausend Exemplare verkauft. Der "Doge" steht heute bei Obama, bei Berlusconi und auf dem Quirinal. Fiat-Vizepräsident John Elkann kaufte einen für sein Büro und einen für seine Privatwohnung.

Was tun Sie, wenn Möbel kopiert werden? Vermutlich ist Kazuhide Takahamas "Tulu" aus der Simon-Produktion der am meisten kopierte Stuhl auf der Welt.
Stella: Ich setze auf hohe Qualität. Das ist die beste Waffe gegen bilige Kopien. Oft tragen Fälschungen sogar zur Wertsteigerung der Originale bei. Also, ich würde da keinen Kampf beginnen. Denken Sie nur an den Bürostuhl "Aluminium Group EA 117". Dieser Stuhl ist einfach nicht umzubringen. Er hat Vitra Glück gebracht und gleichzeitig existiert eine Unmenge von Kopien. Wirklich schlimm sind nur Fälschungen von Objekten, die nicht bekannt sind.

Warum haben Sie nicht auch die letzte Schöpfung Gavinas, die Marke "Paradiso Terrestre" (Irdisches Paradies) mit ihren Produkten für den urbanen Raum gekauft?
Stella: Die Erbinnen, Gavinas Töchter, haben "Paradiso Terrestre" samt dem Namen "Simongavina" an eine andere Firma verkauft. Ich bin jetzt gezwungen, einen Prozess zu führen. Ich habe ja einige Millionen für den Namen "Simon" hingelegt und es ist ja wohl nicht möglich, dass ihn jetzt eine andere Firma auch benutzt.

Werden Sie sich auch um den Nachlass und das Archiv von Gavina kümmern?
Stella: Nein, nein, darum kümmere ich mich nicht... Die beiden Töchter von Gavina haben eine Menge Vorurteile mir gegenüber. Sie denken, das ist ein Industrieller, der nur Geld machen will. Ich habe Gavina nie persönlich kennengelernt, aber man erzählt mir, dass er sehr unbeherrscht sein konnte. Vielleicht hat dieser Wesenszug seinen wirtschaftichen Erfolg verhindert. In den sechziger und siebziger Jahren war er allerdings sehr erfolgreich.

Es war sehr hart für ihn, als er seine Fabrik an Knoll verkaufen musste.
Stella: Gavina hätte auch die Kröte runterschlucken und seine Fabrik behalten können. Aber Gavina und Scarpa waren Männer mit starkem Charakter. Und was sie geschaffen haben ist noch nach vierzig Jahren unglaublich aktuell.

Alberto Stella