Wir wollen gar nicht erst anfangen, von der Wasserscheu des europäischen Adels zu reden, auch wenn diese dafür verantwortlich war, dass das Baden zuhause hierzulande lange Zeit verpönt blieb. Heute liebt man es, auch ohne Hausangestellte, die danach die Spuren der kleinen Sintflut beseitigen, großzügig, luxuriös und nass. Trotzdem ist das Verhältnis des Menschen zu den Wassern, Schäumen und Wohlfühlblasen nicht ganz so unbelastet, wie neue Raumkonzepte und Green Design uns weiß machen wollen. In der Debatte um ein ökologisch bewusstes Gestalten des augenfällig verschwenderischen Umgangs mit Wasser und Energie lebt vieles von der Ambivalenz fort, die in der Geschichte stets mit Wasser im großen und kleinen Maßstab verbunden war, heute aber gegenwartstrunken ausgeblendet wird. Alte und neue Dämonen
Nicht nur die Griechen, bekanntlich ein Volk von Seefahrern, erfüllte das Meer mit Furcht und Abscheu, als alptraumhaft erweist sich auch die Angst vor den Wassern, die von oben über den Menschen hereinbrechen, wie sie etwa in Albrecht Dürers Aquarell „Traumgesicht" von 1525 dargestellt ist - oder, blutiger, in der berühmten Duschszene in Hitchcocks „Psycho". Selbst das Christentum kennt, trotz aller positiven Eigenschaften, die es dem Wasser als Mittel der Reinigung, Sühne und Neugeburt zuweist, das Meer als Heimstadt unheimlicher, verschlingender Dämonen. In der Apokalypse des Johannes wird sogar beschrieben, wie die Erde am Ende der Zeiten vom Meer befreit wird, weshalb die Überwindung des Atlantiks durch Kolumbus als Vorstufe einer solchen Befreiung und als Vorbote eines zweiten Erscheinens Christi gelten konnte. Unter den Zeitgenossen wurde es entsprechend als ein Ereignis gefeiert, das so bedeutsam war wie die Erschaffung der Welt.
Im Vergleich mit einer solch heilgeschichtlichen Erwartung erweisen sich heutzutage die industriell gebändigten Fluten, die sich wohlig als großer Duschregen über den Körper ergießen oder in breitem Schwall in edle Bottiche und Wannen stürzen, als recht trivial. Doch auch wenn die eschatologische Färbung unserer Beziehung zum Wasser nicht ganz verblasst ist, so haben sich doch vor allem die ambivalenten Gefühle erhalten, mit denen wir ihm begegnen. Mögen die gut gewärmten Wasser in der Werbung auch noch so sehr mit dem Wunsch nach Geborgenheit, Heilung und mit den entsprechenden Phantasien verbunden werden, in den von oben auf uns herabstürzenden Wassern schwingt verborgen noch immer die Angst vor Sintflut und Ertrinken mit. So vollendet sich das Bad heute auch als Sphäre der Harmonie und als Lebensraum präsentiert, in den Szenarien abschmelzender polarer Eismassen und dem damit verbundenen Anstieg des Meeresspiegels ebenso wie in der Furcht vor einem Energiekollaps spuken abermals die alten Dämonen. Freilich werden sie, wo das Wasser kontrolliert aus der Leitung kommt und von Blue Responsibility und Green Design die Rede ist, allesamt konsequent ins Optimistische gewendet. Segnungen der Wohlfühlzonen
Naturgemäß ist, selbst in Krisenzeiten, auf einer internationalen Bad- und Sanitärmesse nicht von Schiffbruch und Sintflut die Rede, dafür umso mehr von der Sehnsucht nach Gesundheit, Wellness und den Segnungen der Wohlfühlzonen in den trockenen und gut geheizten eigenen vier Wänden. Dort haben wir, glauben wir den wortreichen Versprechen einer vom Boden bis zur Decke auf Regeneration eingestellten Industrie, mittlerweile die Qual der Wahl. Denn womöglich müssen wir uns schon bald entscheiden, was wir aus unserer Wohnung von durchschnittlicher Größe machen wollen: eine Küche, ein Wohnzimmer oder ein Bad. Oder alles in einem? Soviel scheint klar: Waschen, Baden und Regenieren lassen sich nicht länger voneinander trennen. Das bedeutet zum einem, dass der Körperkult der Mediengesellschaft mitsamt Bodyshaping und Schönheitswahn auch am Wasserkult zeitgenössischer Badwelten nicht spurlos vorübergeht, und zum anderen, dass die modernistische weiße Zelle, die allein zum Reinigen diente, endgültig ausgedient hat.
Zurzeit ist es die Branche der Badausstatter, die mit ihren neuesten Kreationen auftritt, wobei die Fläche, die mit den Wunderwelten des zeitgenössischen Reinigens und Regenerierens gefüllt werden, immer größer wird. Wie von selbst soll sich ein Gefühl des Wohlbefindens einstellen, wo Platz in Überfülle herrscht und sich das Angenehme mit dem maßvollen Verbrauch des kostbaren Nass verbindet. Es versteht sich von selbst, dass Messen wie die ISH zum unternehmerischen Showbusiness gehören. Inszenierung gehört hier zum Geschäft. Schon deshalb kann es sich keiner der großen Hersteller leisten, sich gerade bei einer Messe, die ihren eigenen Anspruch in fast schon imperialer Weise zu untermauern sucht und sich selbst als Weltleitmesse für die „Erlebniswelt Bad" sowie für „Gebäude-, Energie-, Klimatechnik und Erneuerbare Energien" bezeichnet, bescheiden aufzutreten. Auch wenn im fünfzigsten Jahr des Bestehens der ISH bei den meisten der insgesamt 2400 Aussteller die knapper werdenden Ressourcen Wasser und Energie eindeutig im Zentrum stehen und die deutsche Sanitärwirtschaft unter dem Titel „Blue Responsibility" eine Nachhaltigkeitskampagne präsentiert, so scheint sich die Branche, von wenigen Ausnahmen abgesehen, doch schwer zu tun, die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Technik und Design, Nachhaltigkeit und Gestaltung nicht auseinander klaffen zu lassen, sondern weiter zu schließen. Neben technischen Innovationen spielt das Design auch hier zunehmend eine zentrale Rolle. Gefunden hat sie diese allerdings noch nicht, was sich daran zeigt, dass wirklich überraschende und neuartige, Ästhetik und Ökologie überzeugend zu einer Synthese verschmelzende gestalterische Vorschläge für das Bad der Zukunft nirgendwo zu finden sind. Was stattfindet, ist eine Ausdifferenzierung auf durchaus hohem Niveau. Doch auch hier wird die Krise, die keineswegs nur ein ökonomische ist, nicht lange auf sich warten lassen. Sparsame Technik, ansprechend verpackt
Was die Technik als solche angeht, so ist die Zahl der Systeme, mit denen sich Energie sparen, Wärme erzeugen und zurückgewinnen, der Verbrauch an Trinkwasser reduzieren und Armaturen in ihren Wasserverbrauch begrenzen lassen, inzwischen Legion. Die Amphoren, aus denen die Quellnymphen einst Wasser im Überfluss spendeten, werden, um ein Beispiel aus dem Badbereich zu nennen, in ihrem Durchfluss längst begrenzt. Am Stand von Dornbracht etwa lässt sich auf einem großen Touchscreen in Prozentangaben ablesen, wie viel weniger Wasser welche Armaturen heute im Vergleich zu früheren Ausführungen verbrauchen. Solche, zum größten Teil unsichtbaren Innovationen sind notwendig und wichtig, auch wenn die Blue Responsibility-Kampagne noch viel Aufklärungsarbeit wird leisten müssen, um deutlich zu machen, dass Wasser und Energieverbrauch nicht allein eine Sache der Hersteller sein kann, sondern nicht minder das Verhalten der Nutzer betrifft. Wer eine im Durchfluss begrenzte Armatur einen Tag lang laufen lässt, wird kaum Wasser sparen. Überdies sind einer weiteren technischen Verknappung enge Grenzen gesetzt, nicht nur, weil Überfluss und verschwenderische Fülle nach wie vor zu den Reizen des Marketing gehören, sondern auch weil es von alters her das fließende Wasser ist, dem in allen Kulten reinigende Wirkung bescheinigt wird. Leuchtende Armaturen Anders verhält es sich auf dem Feld des Ästhetischen. Baden ist per se ein sinnliches Erlebnis, dass damit geworben wird, ist selbstverständlich. Weshalb also all die eher peinlich wirkenden Versuche, bieder-kastenförmige Wannen in edle Hölzer zu kleiden oder durch farbige Leuchtbänder, sogenannte LED-Stripes, futuristisch aufzuhübschen, Duschkabinen in farbiges Licht zu tauchen oder Handbrausen und Mischarmaturen je nach Wassertemperatur blau oder rot zum Leuchten zu bringen? Mit Design oder mit einer zeitgemäßen Ästhetik des Regenerierens haben derart unsinnige technische Spielereien nichts zu tun, auch wenn so mancher Star der Designszene solchen Verlockungen nicht ganz widerstehen konnte. Auch wird in der Branche Design vielfach noch immer mit Dekor verwechselt, was dazu führt, dass Waschbecken einfach mit Bildern der Skyline von Shanghai oder Berlin beklebt und mit dem Stempel „urban" versehen werden. Auch vor Einhebelmischern macht der Hang zur Dekoration nicht halt; auch auf ihnen prangen Blümchenmuster. Trotz alledem lässt sich im Ganzen feststellen, dass es Qualität auf breiter Front gibt, gleichsam für jeden Zweck und für jeden Geschmack. Die Vielfalt ist verblüffend - auch wenn die Stände und die Inszenierungen der Produkte oft überraschend konventionell ausfallen. Eine Wanne bleibt eben eine Wanne, und eine Armatur eine Armatur. Und so erweist sich der Fundus an Ingredienzien, aus dem man das Neue schöpft, so begrenzt wie die Rituale, deren man sich zur Erlangung von Wohlbefinden bedient.
Sintflut oder Beobachtungen in der Wohlfühlzone Teil 1
von Thomas Wagner | 13.03.2009