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Symbiotisches Bauen
von Thomas Edelmann | 25.08.2011

Ab 1847 errichtete die Kunsthalle Bremen nach Plänen von Lüder Rutenberg am heutigen Standort ihr erstes Gebäude, das 1849 eröffnet wurde. „Bremen ist eine der wenigen Städte, die ihre Wallanlagen in Gänze erhalten haben," sagt Architekt Karl Hufnagel vom Büro Hufnagel Pütz Rafaelian aus Berlin. Sein Büro, bekannt etwa durch die neue Gemäldegalerie in Leipzig, setzte sich in einem zweistufigen Wettbewerb mit 351 Teilnehmern durch. Mit einigem Recht spricht Wulf Herzogenrath, der Direktor eines der ältesten auf Privatinitiative der Bürger entstandenen Kunstmuseen davon, sein Haus sei nicht nur erweitert worden. Vielmehr sei aus den Bestandsbauten des 19. Jahrhunderts und den im Westen und Osten neu angefügten Flügeln eine insgesamt neue Bremer Kunsthalle entstanden. Immerhin ein Drittel mehr Fläche hat das Kunstinstitut nun. „Wir haben alles angefasst", sagt Gerhard Harder, Vorstandsmitglied und Baubeauftragter des Kunstvereins in Bremen. „Alles angefasst" soll heißen: Zwar wurde der Altbau nicht entkernt, aber insbesondere die Haustechnik musste grundlegend erneuert werden. So gibt es in der neuen Kunsthalle keine sichtbaren Schalter oder Gerätschaften, die von der Kunst ablenken oder im Wege stehen.

In Bremen heißt das Kunstmuseum norddeutsch „Kunsthalle", obwohl es über eine eigene bedeutende Sammlung verfügt und keineswegs nur Wechselausstellungen mit Leihgaben aus aller Welt organisiert. Allerdings: Mit der Auslagerung der eigenen Bestände während der Bauzeit, in Museen in achtzehn deutschen Städten, hat sich Bremen unter dem Stichwort „Noble Gäste" für die Zukunft gute Leihkonditionen geschaffen. Träger der Kunsthalle ist seit Anbeginn nicht der Staat oder die Stadt, kein Fürst oder ein einzelner Privatsammler, sondern der Kunstverein. Und der hat mit über 7.000 inzwischen sogar eine höhere Zahl an Mitgliedern als die seit 1945 ununterbrochen im Stadtstaat regierenden Bremer Sozialdemokraten, wie Herzogenrath in einem Interview mit einigem Stolz bemerkte.

Am Eröffnungswochenende präsentierte sich die neue Kunsthalle weitgehend ohne Kunstwerke. Zu den bereits gezeigten Werken gehören „Künstlerbeiträge in der Gebäudearchitektur", etwa die transparente und sich über drei Stockwerke ziehende Installation „Above – Between – Below" von James Turrell, aber auch „A Hole in the Wall" von Wolfgang Hainke, deren Schacht Memorabilien aller Art „schluckt und nie wieder freigibt", da sie sich langsam aber beständig in einem unzugänglichen Zwischenraum zwischen Alt- und Neubau anhäufen.

Zur kostenlosen Besichtigung des neuen Hauses erschien am Samstag nicht nur das durch Kleidung und Habitus erkennbar kunstsinnige Bremer Publikum, viele kamen auch im grünen Werder-Fan-Trikot. Vormittags ins Museum, nachmittags ins Weserstadion (zur torreichen Partie Werder gegen Freiburg, die 5:3 für die Gastgeber endete). Museumserweiterungen und Neubauten haben es derzeit in Deutschland nicht gerade leicht. Und auch die Bremer mussten Fantasie aufbringen und Mäzene gewinnen, um die Erneuerung ihres Hauses bewältigen zu können. Für die Bausumme von geplanten dreißig Millionen Euro stehen nicht nur die Bundesrepublik Deutschland und die Stadt Bremen zu je einem Drittel, sondern auch die privaten bremischen Stifter Karin und Uwe Hollweg und die Familien Friedrich und Peter Lürßen ein. Für die unerwarteten Mehrkosten von rund sieben Millionen Euro will der Kunstverein eine Hypothek aufnehmen. Schon von 1996 bis 1998 hatte es einen Teilumbau der bestehenden Bauten durch den Bremer Architekten Wolfgang Dahms gegeben. Herzogenrath ließ damals neue Medienräume im Dachgeschoss entstehen, unter anderem für die Installation „Essay" von John Cage. Hinzu kam ein charakteristisches Oval, das die Eingangshalle nach oben öffnete und das im Zuge der aktuellen Umbauten wieder verschwand. Die damalige Sanierung blieb aus Geldmangel Stückwerk. Den erfolgreichen Aktivitäten der Ausstellungsmacher um Herzogenrath, die immer mehr Besucher nach Bremen lockten waren Sicherheitstechnik und Klimatisierung nicht mehr gewachsen.

Doch für die Kunsthalle Bremen war Bauen schon immer ein Abenteuer: Ganze sieben Jahre quälten sich etwa der Berliner Architekt Werner Düttmann und seine Bremer Auftraggeber mit einem Erweiterungsbau. Der sollte Platz bieten, aber möglichst unsichtbar sein und schon gar keinen Eingriff in den umgebenden Landschaftspark darstellen. Düttmann überarbeitete seinen siegreichen Wettbewerbsentwurf für „ein flach gelagertes, in seiner Gliederung auf die Topografie eingehendes Gebäude" gleich zweimal und rückte seinen Erweiterungsbau zunächst von Süden nach Westen. Realisiert wurde er später als östlich angebundener Kubus, eingegraben in die Hanglage des Grundstücks, um möglichst nicht aufzufallen, dann aber doch verkleidet mit rotem Backstein, der in starkem Kontrast stand zum Sandsteingelb der Ursprungsbauten. Der große Vortragssaal des Hauses befand sich im Tiefgeschoss. Der 1982 mit dem Preis des Bundes Deutscher Architekten (BDA) ausgezeichnete Erweiterungsbau (Jury-Begründung: „konkurriert nicht in unangemessenem Originalitätsanspruch mit dem architektonischen Pathos des alten Hauptbaus") wurde 2009 abgerissen.

An dessen Stelle treten nun zwei Erweiterungen östlich und westlich der Ursprungsbauten. Auf den ersten Blick wirkt die Gesamtanlage nun wieder symmetrisch, „eingebunden in ein neues Ganzes" wie Karl Hufnagel formuliert. Da aber schon die um 1900 entstandene erste Ergänzung der Kunsthalle von Albert Dunkel und Eduard Gildemeister wegen der Hanglage des Grundstücks leicht axial verschoben angeordnet war, orientieren sich daran auch die Ergänzungsbauten. Das Sockel- und Dachgeschoss ist zur Nutzung als Bildungs- und Büroräume verglast, die Ausstellungsgeschosse dagegen lassen das Tageslicht außen vor und sind auf ganzer Höhe mit geschliffenen Terrazzoplatten verkleidet. Umlaufende LED-Bänder auf Höhe der historischen Gesimse der Altbauten können als Träger künstlerischer Schriftinstallation dienen, oder zur Information der Besucher. Nicht sichtbar: Erdwärmepumpen sollen kombiniert mit einer Fotovoltaikanlage die Betriebskosten gering halten.

Nicht der Künstler sei im Museum das Wichtigste, sagt Herzogenrath beim Rundgang durch das Haus, „das Wichtigste ist der Besucher und seine Wahrnehmung der Kunst." Noch wenige Wochen wird der Direktor hier wirken und maßgeblich an der Neueinrichtung der Bestände beteiligt sein. Dann geht er in Pension. Zum 1. November übernimmt der Kunsthistoriker Christoph Grunenberg die Leitung. Er will sich, kündigte er an, unter anderem der Wechselbeziehung zwischen moderner Kunst und populärer Kultur mit Musik, Film, Mode und Architektur widmen.

„Wir wollten nicht eine Erweiterung gestalten, die für sich selbst spricht," erläutert Architekt Karl Hufnagel, „sondern eine organische Verbindung zwischen Alt und Neu schaffen. Sowohl im Äußeren als auch im Inneren." Aus der Struktur des Alten leite sich die Maßstäblichkeit und Materialität des Neuen ab. Lichtfolienbänder an der Decke der neu geschaffenen Ausstellungsräume etwa beziehen sich auf Fensterachsen und Türöffnungen des Altbaus. Ähnlich wie es Düttmann bereits praktizierte, halten auch die neuesten Neubauten eine gewisse Distanz zum Bestehenden. Nach außen hin bilden sie ein Ganzes, in den mittleren Stockwerken aber rückt der Neubau ein wenig vom alten ab. Die seitlichen Fassaden mit ihrem Bauschmuck, ihren Rundbögen und Gesimsen und historischen Spuren bleiben so sichtbar. Es entstehen schmale Durchblicke und womöglich Durchgänge zwischen den Bauteilen. Die Architekten fühlen sich einem Begriff vom Denkmal verpflichtet wie ihn Karl Friedrich Schinkel entwickelte. Im Zentrum steht das „verstehende" Weiterbauen, anstelle des rabiaten Eingriffs, der im Zweifel zerstört, um Eigenständigkeit zu beweisen.

Mitunter allerdings wirkt der Rückbezug zwischen Moderne und Historie ein wenig formal. So werden im Altbau Holzböden aus dunkler Räuchereiche verwendet, im Neubau dagegen helle Eiche. Das führt dazu, dass etwa der denkmalgeschützte Studiensaal des Kupferstichkabinetts, der durch ein gelungenes modernes Pendant ergänzt wurde, nun auch einen dunklen Fußboden bekam. Mit der Umgestaltung der Bremer Kunsthalle geht zweifelsohne ein Klassifizierung des Gesamtbaues einher. Und doch wird das Streben nach Qualität überall sichtbar, das Kunstverein, Museumsdirektor und Architektenteam eint. Es handelt sich hier eben nicht um einen der hohlen Versuche, neu herzustellen, was längst untergegangen war. Die neue Bremer Kunsthalle ist kein neues Stadtschloss, kein neues Fachwerkviertel und kein Kaufhaus mit historischer Fassade, sondern ein Statement für aktuelles Verständnis von zeitgenössischer Architektur, womöglich um einen Terminus von Wolfgang Pehnt zu gebrauchen, ein neuer „Anfang der Bescheidenheit".

Nach der Eröffnung der Architektur am 20. August wird ab 15. Oktober „Edvard Munch – Rätsel hinter der Leinwand" gezeigt. Eine Ausstellung, die um ein Bremer Munch-Gemälde kreist, bei dessen Restaurierung ein weiteres, darunter gespanntes zum Vorschein kam.

www.kunsthalle-bremen.de

Historischer Museumsbau mit zeitgenössischem Ostflügel, Foto: Stefan Müller, Berlin
Foto: Stefan Müller, Berlin
Mit dem neuen Studiensaal in modernen Formen wird die Fläche des Kupferstichkabinetts verdoppelt, Foto: Stefan Müller, Berlin
Foto: Stefan Müller, Berlin
Foto: Stefan Müller, Berlin
Innenansicht des Ersten Saals, Foto: Stefan Müller, Berlin
Innenansicht des neuen Studiensaals des Kupferstichkabinetts, Foto: Stefan Müller, Berlin
Ansicht der erweiterten Kunsthalle Bremen, Foto: Stefan Müller, Berlin
Ansicht der erweiterten Kunsthalle Bremen von Süden, Foto: Stefan Müller, Berlin
Foto: Stefan Müller, Berlin
Übergang zwischen moderner Ergänzung und historischem Bestand. Die Lichtfelder an der Decke nehmen Maß an den Fenstern und Türen des Altbaus, Foto: Stefan Müller, Berlin
Foto: Stefan Müller, Berlin
Helle und dunkle Hölzer als Fußbodenbodenbelag, Foto: Stefan Müller, Berlin
Blick in den historischen Studiensaal des Kupferstichkabinetts, Foto: Toma Babovic
Querschnitt durch die Kunsthalle, Zeichnung: Hufnagel Pütz Rafaelian