Als Berlins Bürgermeister Wowereit die Stadt an der Spree unlängst zur Designhauptstadt Deutschlands ernannte, konnte man dies in der Stadt selbst kaum nachvollziehen. Sicher, es gibt dort viele Kreative (freilich aber kaum Unternehmen, die die tollen Entwürfe umsetzen könnten), aber ein übergeordnetes Konzept oder gar Sichtbares im Stadtbild war nicht zu erkennen. Da hätte der Titel „Hauptstadt der vertanen Chancen“ oder „Hauptstadt der Provinzialität“ sicher besser gepasst.
Ganz anders die Lage in der norditalienischen Stadt Turin, die vom Weltverband ICSID (International Council of Societies of Industrial Design) zur ersten World Design Capital für das Jahr 2008 ernannt wurde. Mit diesem Titel werden alle zwei Jahre weltweit Metropolen und Regionen ausgezeichnet, die sich dem Thema Design, Stadtentwicklung und Architektur besonders intensiv und innovativ widmen. 2010 wird die südkoreanische Hauptstadt Seoul diesen Titel tragen dürfen.
Wer sich in diesen Monaten also nach Turin begibt – und das kann der Autor jedem nur wärmstens empfehlen – der erlebt eine Stadt, die sich diesen Themen gleichsam ernsthaft und lustvoll hingibt: Mit einem Feuerwerk an Ausstellungen, Veranstaltungen, urbanen Interventionen und städtebaulichen Projekten. Kaum ein Ort in der Stadt, an dem einem die Themen Design und Architektur nicht begegnen. Und das Schönste ist: Design wird hier nicht als isolierte Disziplin behandelt, sondern ganz selbstverständlich mit Architektur, konkreten Projekten der Stadtentwicklung, Grafik und Mode verknüpft.
Eine große Ausstellung zum Thema Flexibilität, untergebracht in einem beeindruckenden ehemaligen Gefängnistrakt, nebenan in einer alten Markthalle eine Schau zu Turin in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die Designsammlung von Alexander von Vegesack (Direktor des Vitra Design Museums) in der ehemaligen Fiat-Fabrik Lingotto (übrigens direkt unterhalb der von Agnelli gestifteten Pinakothek mit Hauptwerken von Canaletto, Matisse, Picasso etc), Ausstellungen zu einzelnen Designern wie Roberto Sambonet in den prächtigen Sälen des Palazzo Madama, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Die Verleihung des ehrwürdigen Compasso d’Oro, des weltweit sicherlich wichtigsten Designpreises, fand nicht etwa in einem hässlichen Kongresszentrum statt (wie dies oft andernorts der Fall ist), sondern im Innenhof der fantastischen Schlossanlage von Venaria Reale, des jüngst aufwendig restaurierten ehemaligen Jagdschlosses der Savoyen-Herrscher.
Turin beweist eindrucksvoll, welchen Stellenwert Design in unserer heutigen Gesellschaft haben kann und hat sich seinen Titel World Design Capital redlich verdient. Und das ist – um es mit den Worten von Berlins Bürgermeister Wowereit zu sagen, dem ich einen Ausflug nach Turin nur ans Herz legen kann – auch gut so.