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Für den Verband der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie in Münster haben behet bondzio lin architekten einen Neubau mit textil anmutender Klinkerfassade kreiert.

Klinker-Kunst

behet bondzio lin architekten haben in Münster ein Verwaltungsgebäude errichtet, dessen Fassade aus Ziegeln wie ein Tuch im Wind zu wehen scheint.
von Uta Abendroth | 07.02.2019

Samt hat eine Strichrichtung. Fährt man mit der Hand gegen den Strich, sträuben sich die Härchen und im Flor wirken diese Stellen dunkler, glatte dagegen heller. Blickt man auf die Ziegelfassade, die das Team von behet bondzio lin architekten für die neue Geschäftsstelle des Verbandes der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie in Münster kreiert hat, meint man, die Hand ausstrecken und diesen Effekt nachahmen zu können. In der Totale wirkt es, als würden sich Teile der Außenwand bewegen – und zwar so, wie ein Tuch im Wind flattert, mit fließenden, wellenartigen Bewegungen.

Tatsächlich handelt es sich um ein raffiniertes Spiel mit Licht und Schatten, das auf die ungewöhnliche Form der verwendeten Ziegel zurückzuführen ist. Die Architekten, die Büros in Münster, Leipzig und Taiwan unterhalten, haben sich für diesen speziellen visuellen Effekt von einer Skulptur inspirieren lassen: Im Museum der bildenden Künste in Leipzig steht die Beethoven-Statue des Bildhauers und Malers Max Klinger (1857–1920). Über die Knie des Komponisten, so scheint es, wurde eine leichte Decke geworfen, die lockere Falten wirft. Die Dialektik offenbart sich im Material, denn das Tuch, so fließend es auch wirkt, ist aus Stein. behet bondzio lin architekten hat diesen textilen Look in den Neubau des Verwaltungsgebäudes am südlichen Stadtrand von Münster übertragen und damit das Thema des Verbandes auf den ersten Blick erkennbar gemacht.

Fassadendetail: Die Architekten nutzen ein parametrisches Computerprogramm zur Gestaltung der Textur der Fassade.

Für die geplante Wirkung auf der Fassade half vorab ein parametrisches Computerprogramm zur Errechnung eines Modells. Aufgrund dieser Berechnungen entwickelten die Architekten zusammen mit der Ziegelei Deppe aus Uelsen-Lemke sechs Sondersteine, die auf einem sogenannten "Normalstein" basieren. Die rechten Winkel der Längsseiten wurden um bis zu 2,5 Grad erweitert, die letzte Variante bringt es damit auf einen Winkel von 105 Grad. Alle Ziegel haben final eine fünfeckige Form. Sie sind so an der Rückseite bündig vermauert, treten aber mit ihrer Vorderseite aus der Fassade heraus und wirken wie gedreht. Durch diesen kunstvollen Umgang mit dem Klinker entsteht das raffinierte Licht- und Schattenspiel, das einer textilen Beschaffenheit gleicht. Die Herstellung der insgesamt 74.000 Klinker erforderte die Entwicklung spezieller Formen für die Drehtischpresse. Die Software war auch an dieser Stelle hilfreich: Sie errechnete die genaue Anzahl der benötigten Ziegelvarianten. Darüber hinaus wurde ein akkurater Verlegeplan für die Maurer vor Ort erstellt, die darin ablesen konnten, wo genau welcher Stein verwendet werden musste.

Doch nicht nur die Fassade stand im Fokus, auch die Mitarbeiter sollten von dem Neubau profitieren und den Ausblick in den angrenzenden Landschaftsraum genießen können. So ist der langgestreckte Baukörper nur an drei Seiten von einer geschlossenen Ziegelfassade umfasst, nach Norden öffnet sich das Gebäude fast vollständig durch eine Glasfassade. Die Ausrichtung versorgt alle Räume gut mit Tageslicht, ein zusätzlicher Sonnenschutz ist nicht nötig. Das energetisch optimierte Bürogebäude ist seit 2017 fertig und erhielt 2018 einen Award für Marketing + Architektur. Wenn auch keine textile Fassade möglich war, so haben behet bondzio lin architekten doch eine gelungene Imitation eines Textils erzielt.