NACHHALTIGKEIT
Zwischen Versprechen und Problem
Anna Moldenhauer: Herr Dr. Eisenbrand, warum haben Sie entschieden eine Ausstellung zum Thema "Plastik" zu kuratieren?
Jochen Eisenbrand: Bisher gab es in diesem Themenspektrum vorrangig Ausstellungen, die entweder die Vermüllung des Planeten thematisiert haben oder ikonische Exponate in den Fokus nahmen. Wir fanden es interessant, einmal beide Seiten zu beleuchten: die Probleme durch Plastik nicht kleinzureden, aber die gegenwärtige Dämonisierung des Materials ausbalancierter zu zeigen. Dabei ist auch die Frage interessant, wie wir zu unserem Müllproblem gekommen sind. Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem V&A Dundee und dem Maat: Museu de Arte, Arquitetura e Tecnologia aus Lissabon – und diese länderübergreifende Zusammenarbeit zeigt schon die große thematische Relevanz. Wir haben uns zudem bemüht in Form von Exponanten, Roundtables und Essays auch die Sichtweisen aus dem globalen Süden miteinzubeziehen, um so ein wenig von der westlichen Perspektive wegzukommen.
Das Thema bietet ein großes Spektrum. Für die Vermittlung haben Sie die Ausstellung in drei Abschnitte unterteilt, die sowohl die Vergangenheit, die Gegenwart und eine mögliche Zukunft beleuchten. Was war ihnen hierbei wichtig?
Jochen Eisenbrand: Mit Blick auf die Geschichte des Kunststoffes war es uns wichtig, die Entwicklung zu seiner heutigen Omnipräsenz aufzuzeigen und dabei auch die Wendepunkte zu beleuchten. Angefangen bei den Vorläufern des künstlichen Materials, die noch auf tierischen und pflanzlichen Rohstoffen basierten, wie Schellack, Guttapercha, Horn oder Schildpatt. Mit Bakelit startete dann der Übergang zu den synthetischen Kunststoffen. Die petrochemische Industrie wuchs stark, der Kunststoff zog in die Haushalte ein und die Überproduktion der Einwegkunststoffe startete. Heute haben wir eine Vielzahl unterschiedlicher Kunststoffe, die eine Herausforderung im Recycling darstellen. Interessant ist auch die gesellschaftliche Bewertung des Materials – der synthetische Kunststoff wurde in den 1950er und 1960er Jahren ja als Wundermaterial gefeiert. Für die Entwicklung der zeitgenössischen Lösungsansätze ist ein Blick in die Geschichte wertvoll. Der Raubbau an der Natur war indes in allen Phasen hoch.
Sie arbeiten seit fast 20 Jahren im Vitra Design Museum. Gab es da noch Exponate und Konzepte in der Schau, die Sie überrascht haben?
Jochen Eisenbrand: Ja, unter anderem finde ich die Frühzeit der Kunststoffe sehr interessant. Der Beginn ist voller Versprechen und dann fährt sich die Entwicklung fest in eine Richtung, die nicht die Beste ist. Ich habe einen kulturwissenschaftlichen Hintergrund und daher interessieren mich auch Alltagsphänomene – zum Beispiel als das Konzept der Convenience aufkam. Ein Bild von einem Globus der komplett in Cellophan gehüllt ist, zeugte damals für Fortschritt. Heute verbinden wir damit die Vermüllung der Umwelt. Darüber hinaus fand ich die Experimente für nachhaltige Alternativen spannend – wie von den holländischen DesignerInnen Klarenbeek & Dros, die mit Algen experimentieren. Andere interessante Beispiele sind die Forschung des britischen Start-ups Shellworks zu Kunststoffen aus Bakterien, die Pilzzellenforschung vom Karlsruhe Institute of Technology oder die Studien für einen biologischen Abbau von Plastik durch Enzyme seitens der University of Portsmouth und der ETH Zürich. Ich sehe da auch eine generelle Entwicklung im Design. Der Materialforschung kommt aktuell mehr Bedeutung zu und DesignerInnen denken vermehrt zirkulär. Sie hinterfragen die Herkunft und Wiederverwertbarkeit von Materialien. Das sind kleine Schritte und auch die Forschung für Bioplastik ist noch nicht final, da es sowohl langlebig wie auch wiederverwertbar sein soll. Dieses Ziel zu erreichen, wird nicht einfach sein, aber es ist wichtig, dass es die Ansätze gibt. Die Kernaussage der Ausstellung ist im Grunde, dass eine Idee allein nicht reichen wird. Wir brauchen eine Kombination aus vielen Ansätzen. Die wichtigste Frage ist wohl, wie wir Kunststoffe künftig nur noch dort verwenden, wo sie wirklich sinnvoll und zwingend erforderlich sind.
Sie haben über das Werk von George Nelson promoviert. Wird eine Arbeit von ihm in der Ausstellung zu sehen sein?
Jochen Eisenbrand: Natürlich musste eine Arbeit von ihm dabei sein. Ausgewählt haben wir die "Bubble Lamp", die er 1952 gemeinsam mit William Renwick entwickelt hat. Seine Inspiration für diese Leuchte waren Anwendungen von Kunststoff im zweiten Weltkrieg – der konservierende Sprühnebel wurde damals genutzt, um Kriegsschiffe und Flugzeuge in einem Kunststoffkokon einzulagern, ohne dass diese rosten würden.
Sie haben für die Recherche zahlreiche Interviews mit DesignerInnen, PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen geführt. Würden Sie sagen, wir haben eine Chance uns aus der Abhängigkeit von Plastik zu befreien?
Jochen Eisenbrand: Ich glaube wir können uns nicht komplett davon befreien. Aber wir können die Situation wesentlich verbessern und das geht nur mit der Industrie. Eine Ausstellung wie unsere kann das Bewusstsein der Besucher stärken, dass jede/r mit einem entsprechenden Konsumverhalten Einfluss darauf nehmen kann. Wenn die Nachfrage steigt, verändert sich auch das Angebot. Das sehen wir unter anderem daran, wie der Begriff der Nachhaltigkeit aktuell als Werbemittel eingesetzt wird. Für die KonsumentInnen ist es allerdings schwer zu unterscheiden, was einen seriösen Ansatz kennzeichnet, was nur Symbolcharakter hat oder einfach Betrug und damit "Greenwashing" ist. Da muss meiner Meinung nach mehr Kontrolle seitens der Legislative stattfinden. Zudem sind recycelte Produkte bislang deutlich teurer. Da braucht es andere Rahmenbedingungen – das kann nicht nur der Markt regeln.
Verdient Kunststoff Ihrer Meinung nach überhaupt das Siegel "Nachhaltig"?
Jochen Eisenbrand: Wenn man von den fossilen Ressourcen wegkommt und wirkliche Kreisläufe schafft, ja. Schwierigkeiten bestehen aber immer noch bei den Kompositmaterialien, die im Recycling schwer zu trennen sind. Beim rein mechanischen Recycling handelt es sich oft um ein Downcycling, bei dem der Moment, bis das Ganze auf der Müllhalde landet, schlussendlich nur verzögert wird. Beim chemischen Recycling wiederum hat man mehr Möglichkeiten, dafür ist aber der Energieaufwand sehr hoch. In ganz vielen Bereichen ist es auch nicht mehr denkbar ohne Kunststoffe zu arbeiten, wie etwa im Transportwesen, im Sport oder in der Medizin. Bei Alternativmaterialien, die auf Lebensmitteln wie Mais beruhen, steht zudem die Frage im Raum, ob das angesichts der ohnehin schon mangelhaften Versorgung der Weltbevölkerung in vielen Gebieten eine gute Idee ist. Hinzu kommen die riesigen Flächen, die der Anbau der Rohstoffe bedingt, die aber im Grunde nicht vorhanden sind. Das Grundproblem, quasi "des Pudels Kern", ist, dass der Kunststoff seit jeher zu günstigen Preisen in großen Mengen zur Verfügung steht und somit einer der größten Treiber der Konsumgesellschaft ist. An diese Realität haben wir uns gewöhnt und in anderen Teilen der Welt strebt man sogar noch nach diesem überzogenen Konsumlevel.
Interessant finde ich auch die unterschiedliche Wahrnehmung von "gutem" und "schlechtem" Plastik in der Gesellschaft, wie am Beispiel des Monobloc und des Panton Chairs. Beide Modelle sind aus Vollkunststoff, werden aber völlig unterschiedlich bewertet. Wie sehen Sie das?
Jochen Eisenbrand: Das fängt im Grunde schon bei dem Begriff an: wenn er positiv besetzt ist, sagt man eher "Kunststoff", wenn er negativ besetzt ist hingegen "Plastik". Ich glaube es hat mit der Wertigkeit der Gegenstände zu tun, die daraus gefertigt werden. Der Panton Chair stammt aus den 1960ern, da hat das Material in der allgemeinen Wahrnehmung von Fortschritt gezeugt. Ich denke man sieht dem Design zudem an, wieviel Liebe und Arbeit Verner Panton in die jahrelange Entwicklung des Stuhls investiert hat – das war echte Forschungsarbeit! Der Monobloc ist eine Sitzgelegenheit, die eigentlich das Ideal des Stuhls für alle erfüllt. Aber weil er so unglaublich billig ist, wird er auch schnell und leichtfertig weggeworfen. Ich finde nicht, dass man sagen kann, dass das Material Kunststoff per se schlecht ist. Es kommt eher darauf an, was man daraus macht und was nach der eigentlichen Nutzung daraus wird.
Plastik. Die Welt neu denken
26. März bis 4. September 2022
Vitra Design Museum
Charles-Eames-Str. 2
79576 Weil am Rhein
Öffnungszeiten: Täglich 12 bis 17 Uhr
Tel.: 07621 – 702 32 00