Was wäre, wenn Möbel als Open Source für alle Menschen verfügbar wären? Wenn sie an jedem Ort der Welt produziert und weiterentwickelt werden könnten? Wenn Designer keine fertigen Produkte, sondern offene Systeme konzipierten, deren Ursprung in einem virtuellen, sich wandelnden Kollektiv liegt? Die Ausstellung „The Future in the Making" der Architekturzeitschrift Domus im Palazzo Clerici – eine von vielen Ausstellungen, die in der Woche der Möbelmesse im Zentrum von Mailand zu sehen waren – geht von solchen Gedanken aus. Sie zeigt Strategien für zukünftige Produktionsprozesse im Design und stellt Beispiele aus, die schon heute mit solchen Ansätzen operieren. Die Frage jedoch, nämlich welche Qualitäten sich daraus für die Ergebnisse des Designprozesses ergeben, lässt die ansonsten gelungene Schau aus und ist stattdessen als Übersicht verschiedener Phänomene konzipiert. Sie trägt Entwicklungen und Tendenzen zusammen, die erst am Anfang stehen und in Zukunft weiter relevant werden.
Offene Netzwerke und eine neue Typologie
Der Datenfluss offener Netzwerke schaffe eine neue Typologie, meint Joseph Grima, Kurator und Chefredakteur der Domus. Allerdings zeichnet sich diese Typologie nicht durch Form oder Funktion aus, sondern durch das Netzwerk, in dem eine Anfangsidee Gestalt annimmt. Internationale Initiativen wie die offenen Werkstätten von FabLabs, in denen Designer ihre Prototypen herstellen, oder Crowdfunding-Netzwerke wie kickstarter.com, mit denen Ideen finanziert werden, haben den Zugang zu den Mitteln und die Möglichkeiten geschaffen, Projekte im Design auch außerhalb der Entwicklungsabteilungen großer Unternehmen voranzutreiben. Der „Open Design Archipelago", den die Ausstellungen vorstellten, versammelt Einzelinitiativen wie Thomas Lomées OpenStructures-Netzwerk, in dem Design zu einem offenen Puzzle verschiedener Beteiligter und Ressourcen wird, radikale Gedankenspiele von Droog, welche die Gesetze des Marktes in Frage stellen, und Technologieinstallationen wie den Prototypen „R18 Ultra Chair", in dem Clemens Weisshaar und Reed Kram gemeinsam mit Audi das Know-how des Automobilleichtbaus aufnahmen. Viele der ausgestellten Beispiele machen gerade jungen Designern Mut, ihre Projekte voranzutreiben. Über die Qualität der Ergebnisse jedoch ist dadurch noch keine Aussage getroffen, sie muss von Objekt zu Objekt aufs Neue beurteilt werden. Der Bluetooth-Lautsprecher „HiddenRadio" von Vitor Santa Maria und John Van den Nieuwenhuizen wurde auf zahlreichen Blogs gefeatured. Für seine Entwicklungskosten setzten sich die Designer das Ziel, 125.000 Dollar über Kickstarter zu sammeln und erhielten nach Ablauf der Kampagne fast eine Million Dollar von über 5.000 Sponsoren. Bis heute allerdings ist HiddenRadio noch kein fertiges Produkt. Ob die Idee für den Lautsprecher tatsächlich zum „simplest and most intuitive product ever" wird, wie auf der Crowdfunding-Webseite zu lesen ist, wird sich erst dann herausstellen, wenn die beiden Designer tatsächlich ein funktionstüchtiges, praktikables Tool vorlegen können, das seine Nutzer findet.
Trial and Error oder der Sinn des Experimentierens
Mit dem Making of – wenn auch aus ganz anderer Perspektive – beschäftigten sich auch zwei kleine Ausstellungen der ECAL im Spazio Orso. Sie gaben einen wunderbaren Einblick in die lebendige Experimentierwerkstatt der Hochschule, präsentierten Workshopergebnisse sowie Bachelor- und Masterarbeiten unterschiedlicher Klassen. „Wir wollten interessante Effekte für die Handwerkstradition mundgeblasener Objekte bei Matteo Gonet in Basel finden", so Ronan Bouroullec, der im letzten Jahr einen Glasworkshop mit zwanzig Masterstudenten in Product Design leitete und ihre Experimentierfreude anfeuerte. Holz, Stahl und Steine waren das Ausgangsmaterial für Formen und Schablonen, die die flüssige Glasmasse zu ungewöhnlichen Strukturen und Formen erstarren ließen, interessante Abdrücke auf dem fragilen Material hinterließen und in vielen Fällen den Entwicklungsprozess im fertigen Produkt erahnen lassen. Waren die Workshopergebnisse einer Aufgabe gewidmet, so öffnete sich in den vielfältigen Arbeiten der weiteren Ausstellungsräume ein breites Panoptikum an Graphik Design, Typographie, Produktdesign und Media & Interaction Design, das unter dem lockeren Namen „Too Cool For School" zusammengestellt war. Mathieu Rohrers Arbeit „Venise" aus der Produktdesign-Klasse von Jörg Bohner zeigt eine Serie an Masken aus mehrfachen Papierschichten. Je nach Faltung einzelner Abschnitte ergeben sich immer neue, auf wunderbare Weise wandelbare Gesichter. Lucien Gumys Papierturm wiederum überrascht durch den stringenten Prozess, mit dem sich die einzelnen perforierten Streifen lösen und wie eine Blume entblättern, wenn die Papiersäule an ihrem oberen Ende mit einem Gewicht beschwert wird. „Zwar ist es frustrierend, meine Arbeit zu zerstören, um sie zu schätzen", meint Lucien Gumy. „Aber ein Projekt wie dieses zu schaffen, hat wirklich Spaß gemacht."
Die Eigenschaften eines Materials erkunden, sich auf seine Stärken einzulassen und sie herauszukitzeln, um haptische Qualitäten zu schaffen, war auch das Ziel von Cyrille Verdon. Ihre beiden Vasen „Mollis" lassen sich aufgrund ihrer weichen Gummioberfläche in verschiedene Formen biegen und sind dadurch wandelbar.
Trail and Error ist das Prinzip, welches die meisten Ausstellungsobjekte sichtbar machen – als neugierige Erkundungen von Materialeigenschaften und -qualitäten. Wie mühsam dieses Prinzip der Auseinandersetzung und des Lernens sein kann, bringt das Video von Danile Catalanotto und Axel Crettenand aus der Bachelorklasse für Visuelle Kommunikation meisterhaft auf den Punkt: Einsam steht dort inmitten eines Bergmassivs ein Mensch, der verzweifelt mit einem Pickel auf einen Felsbrocken vor ihm einschlägt. Sisyphos-Arbeit möchte man glauben, und trotzdem bleiben die Experimente der ECAL meisterhafte Beispiele für die Qualität stichhaltiger Ansätze im Design. Um Finanzierungsmodelle geht es dabei gar nicht, sondern vielmehr um die Sache selbst. Vielleicht könnte die eine oder andere Arbeit der Ausstellung auch über Kickstarter als Serie finanziert werden. Die Qualität des Ergebnisses wäre dann von Anfang an gegeben.
www.domusweb.it
www.ecal.ch
www.fablabtorino.org
www.kickstarter.com
www.openstructures.net
www.dirkvanderkooij.nl